News

Speditionsversicherung: Verpflichtung zur Streiteinlassung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: §§ 914 f

EV: Art 6

In den vorliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Speditionsmantelpolizze (EV) ist als Obliegenheit nach dem Versicherungsfall geregelt, dass der Versicherungsnehmer bei Inanspruchnahme auf Schadenersatz - ohne Weisung des Versicherers - die erforderlichen Verteidigungsmittel zu ergreifen hat (Art 6.c EV). Erhebt ein Kunde des versicherten Spediteurs gegen diesen Klage, muss sich demnach der versicherte Spediteur bereits ohne Zutun der Versicherung in das Verfahren vor dem Gericht einlassen. Dazu wäre der Versicherungsnehmer nur dann nicht verpflichtet, wenn ihm der Versicherer zu erkennen gibt, dass dies nicht erforderlich wäre.

Im vorliegenden Fall wurde der Transportauftrag von einer Subunternehmerin des versicherten Spediteurs durchgeführt und das transportierte Gut aus der Obhut der Subunternehmerin gestohlen. Der Versicherer wies den versicherten Spediteur mehrmals darauf hin, dass er seiner Subunternehmerin den Streit verkünden müsse, wenn er von seiner Kundin in Anspruch genommen werde; an einem Obsiegen der Kundin zumindest im Ausmaß der „CMR-Haftung“ bestehe kein Zweifel, weil die Ware im Gewahrsam der Erfüllungsgehilfin gestohlen worden sei. Bei dieser Sachlage liegt eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des versicherten Spediteurs vor, wenn er über die Klage der Kundin ein Versäumungsurteil ergehen lässt.

OGH 27. 1. 2016, 7 Ob 174/15m

Sachverhalt

Die Kl ist im Transportgeschäft tätig und hat bei den Bekl eine Speditions- und Rollfuhrversicherung abgeschlossen.

Die Beklagten bilden unter der Geschäftsführung der Erstbeklagten eine Versicherungsgemeinschaft und haften aus dieser Versicherung nach Quoten. Sie werden vom Versicherungsbüro ***** GmbH (in der Folge: „Versicherungsbüro“) vertreten.

Auf das Versicherungsverhältnis kommen der „Speditionsversicherungsschein SVS“ („SVS“) idF ab 1. 6. 2007 und die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Speditionsmantelpolizze (EV)“ zur Anwendung. Gem Art 6 EV gehört es zu den Obliegenheiten des Spediteurs, für die Abwendung und Minderung des Schadens Sorge zu tragen; er ist „insb verpflichtet, die Rechte gegenüber den beteiligten Spediteuren und Frächtern und die Regreßrechte der Versicherer zu wahren, sowie die Ansprüche bei den beteiligten Spediteuren und Frächtern zu verfolgen. [...] Gegen Zahlungsbefehle oder gegen Verfügungen von Verwaltungsbehörden auf Schadenersatz hat er, ohne die Weisung der Versicherer abzuwarten, fristgerecht Widerspruch zu erheben oder die erforderlichen Rechtsmittel zu ergreifen.“

Den Transport von Textilien von Hamburg nach Rom im Auftrag einer Kundin (der I***** GmbH mit Sitz in Hamburg) übertrug die Kl einer Subunternehmerin, aus deren Obhut die Waren dann gestohlen wurden. Die Kl behielt Transportentgelte der Subunternehmerin iHv ca 96.000 € zurück; eine Aufrechnung mit dem Wert der gestohlenen Waren erfolgte nicht.

Das Versicherungsbüro hatte der Kl mehrfach von der Einbehaltung der Transportentgelte abgeraten und sie mehrmals darauf hingewiesen, dass sie der Subunternehmerin den Streit verkünden müsse, falls sie vom Versicherer der Kundin gerichtlich in Anspruch genommen werde; in diesem Zusammenhang führte das Versicherungsbüro in seinem E-Mail vom 29. 7. 2011 aus, dass an einem Obsiegen des Versicherers der Kundin gegen die Kl zumindest im Ausmaß der „CMR-Haftung“ iHv 33.550,92 € kein Zweifel bestehe, weil die Ware im Gewahrsam ihrer Erfüllungsgehilfin gestohlen worden sei. Das Versicherungsbüro wies die Kl darauf hin, dass sie das Versicherungsbüro zu verständigen habe, wenn der Versicherer der Kundin weitere Schritte setze.

Tatsächlich brachte der Versicherer der Kundin eine Klage gegen die Kl beim Landgericht Hamburg ein (auf Zahlung von 42.806,80 € sA). Die Kl ließ die Monatsfrist zur Einbringung einer Verteidigungsanzeige ungenutzt verstreichen, weil sie dies für aussichtslos hielt, und teilte dem Versicherungsbüro erst nach Ablauf dieser Frist mit, dass ein Verfahren anhängig sei. Auch vom Versäumnisurteil verständigte der Vertreter der Kl das Versicherungsbüro erst ca eine Woche vor Ablauf der dreiwöchigen Einspruchsfrist und riet dem Versicherungsbüro, bei der Kl das genaue Zustelldatum zu erfragen, falls es einen Einspruch erheben wolle.

In seinem Antwortschreiben ging das Versicherungsbüro von Leistungsfreiheit infolge mutwilliger Verletzung der Obliegenheit nach Art 6.c EV aus.

Die Kl unternahm keine Schritte gegen das Versäumnisurteil.

Entsprechend den Haftungsquoten begehrt die Kl von den Bekl nun im Wesentlichen den Ersatz der titulierten Forderungen von insg 46.282,81 € sA aus der Speditions- und Rollfuhrversicherung. Der Betrag von 42.806,80 € entspreche dem Wert des gestohlenen Gutes. Dieser Schaden sei bereits vor der Klagsführung in Hamburg dem Grunde und der Höhe nach von allen Beteiligten außer Streit gestellt worden. Es habe daher kein Grund für eine - weitere Kosten verursachende - Bestreitung des Klagebegehrens bestanden.

Das ErstG wies das Klagebegehren ab. Das BerufungsG gab der Klage statt; es bejahte zwar einen Verstoß gegen Art 6.c EV, diese Obliegenheitsverletzung sei jedoch nicht grob fahrlässig erfolgt.

Der OGH gab der dagegen erhobenen Revision Folge und stellte das abweisende Urteil des ErstG wieder her.

Entscheidung

Obliegenheitsverletzung

Nach Ansicht des OGH hätte sich die Kl bereits ohne Zutun des Versicherungsbüros in das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg einlassen müssen. Dass dies nicht erforderlich wäre, sei ihr von den Bekl nicht zu erkennen gegeben worden: Der Vertreter der Bekl hatte vielmehr mehrmals eindeutig zu erkennen gegeben, dass im Fall einer gerichtlichen Inanspruchnahme durch den Versicherer der Kundin ein Verfahren durchzuführen und dabei der Subunternehmerin der Kl der Streit zu verkünden sein werde. Auch dem Antwortschreiben des Versicherungsbüros auf die Verständigung vom Versäumungsurteil ist nach Auffassung des OGH kein Verzicht auf die Setzung von Verteidigungshandlungen zu entnehmen.

Wie schon die Vorinstanzen geht der OGH daher von einer Obliegenheitsverletzung der Kl aus, weil sie zunächst die Frist zur Einbringung einer Verteidigungsanzeige ungenützt verstreichen ließ und sodann keinen Einspruch gegen das Versäumnisurteil erhob.

Grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung

Auch eine grobe Fahrlässigkeit der Kl bei der jeweiligen Obliegenheitsverletzung bejahte der OGH:

Zur Einbringung einer Verteidigungsanzeige wäre die Kl schon nach dem klaren Wortlaut der Versicherungsbedingungen ohne Einholung einer Weisung der Versicherer verpflichtet gewesen.

Außerdem habe das Versicherungsbüro zuvor mehrmals klar zu erkennen gegeben, dass es eine Streiteinlassung wünsche, wobei es auch wiederholt darauf verwies, dass die Kl ihrer Subunternehmerin den Streit zu verkünden habe. Damit im Einklang habe es die Kl auch aufgefordert, sie über weitere Schritte des Versicherers der Kundin zu verständigen. Aus dem E-Mail des Versicherungsbüros vom 29. 7. 2011 (betr zumindest die „CMR-Haftung“ iHv 33.550,92 €) folge jedenfalls nicht, dass eine Bestreitung eines namhaften Betrags von über 9.000 € (auf den Wert der gestohlenen Güter; Anm) von vornherein keine Erfolgsaussichten hätte. Abgesehen davon, dass es auf die Einschätzung der Kl betr die Erfolgsaussichten nach Art 6 EV gar nicht ankommt, habe die Kl die Aussichtslosigkeit einer Streiteinlassung also auch ohne Grundlage angenommen. Die Kl hätte eine Streiteinlassung nur nach Einholung eines entsprechenden Einverständnisses durch die Bekl unterlassen dürfen, verständigte das Versicherungsbüro jedoch erst nach Ablauf der Frist für die Einbringung der Verteidigungsanzeige. Vor diesem Hintergrund könne das Verhalten der Kl nur als völlige Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen der bekl Versicherer an einer Verfahrensführung gewertet werden.

Aufgrund der Versicherungsbedingungen wäre die Kl zusätzlich verpflichtet gewesen, von sich aus einen Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu erheben. Über das Vorliegen des Versäumnisurteils wurde das Versicherungsbüro zwar noch innerhalb der Einspruchsfrist - allerdings ohne Bekanntgabe des Zustelldatums - verständigt. Nach Ansicht des OGH ist dem Antwortschreiben jedoch zu entnehmen, dass das Versicherungsbüro offenbar irrtümlich davon ausging, dass es nicht mehr möglich wäre, noch erfolgreich „in das Verfahren zu gelangen“; der (aufrecht erhaltene) Wunsch, ein Verfahren durchzuführen, komme aber unzweifelhaft im Schreiben zum Ausdruck. Damit hätte aber die Kl nicht weiter untätig bleiben dürfen, sondern wäre zur fristgerechten Einsprucherhebung verpflichtet gewesen. Angesichts dieser Umstände beruht - so der OGH - ihre Untätigkeit wiederum auf völliger Gleichgültigkeit gegenüber den ihr gegenüber auch erklärten Interessen der bekl Versicherer an einer Verfahrensführung.

Kausalitätsgegenbeweis

Der Kausalitätsgegenbeweis wurde von der Kl nach Auffassung des OGH nicht erbracht.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21402 vom 05.04.2016