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Umkleidezeiten in Krankenanstalten sind Arbeitszeit

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

AZG § 2 Abs 1 Z 1

Die Zeit, die ein Arbeitnehmer vor seinem Eintreffen an der Arbeitsstätte zum Anziehen seiner Arbeitskleidung benötigt, ist im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten. Haben die Dienstnehmer einer Krankenanstalt (Ärzte und Pflegepersonal) auf Weisung des Arbeitgebers im Dienst aber nicht nur die für die Berufsgruppe vorgesehene Dienst- und Schutzkleidung zu tragen, sondern wurde auch angeordnet, dass die Dienstkleidung ausschließlich im Krankenhaus zu wechseln ist und bei betrieblichen Wäscheausgabestellen zur Reinigung abgegeben und wieder abgeholt werden muss, geht dies über die bloße Möglichkeit des Umkleidens im Betrieb hinaus. Die Umkleidezeiten und die damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten sind in diesem Fall primär im Interesse des Dienstgebers gelegene arbeitsleistungsspezifische Tätigkeiten, die ein solches Maß an Fremdbestimmung aufweisen, dass es gerechtfertigt ist, sie als (zu entlohnende) Arbeitszeit anzusehen.

OGH 17. 5. 2018, 9 ObA 29/18g

Entscheidung

Bisherige Judikatur und Literatur

Zur vorliegenden Feststellungsklage des Zentralbetriebsrats nach § 54 Abs 1 ASGG erinnert der OGH zunächst daran, dass die Arbeitszeit beginnt, sobald der Arbeitnehmer in Entsprechung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung seine Arbeit aufnimmt oder dem Arbeitgeber zur Aufnahme der Arbeit zur Verfügung steht. Die Verfügbarkeit des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers innerhalb eines bestimmten Zeitraums unabhängig von einem bestimmten Arbeitserfolg ist dem Arbeitsvertrag auch wesensimmanent.

In zwei E hat der OGH festgehalten, dass die Zeit, die ein Arbeitnehmer vor seinem Eintreffen an der Arbeitsstätte zum Anziehen seiner Arbeitskleidung benötigt, im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten ist (OGH 4. 9. 2002, 9 ObA 89/02g und OGH 4. 9. 2002, 9 ObA 133/02b, ARD 5385/2/2003 [Zirkusmusiker: Anziehen der Uniform vor einer Vorstellung im Wohnwagen]). Konstellationen, in denen dies allenfalls anders zu sehen wäre – etwa die Notwendigkeit einer aufwändigen Kostümierung – müssten behauptet und bewiesen werden.

Diese Rsp indiziert die Notwendigkeit einer Differenzierung.

Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den Ansichten in der Lit schließt sich der OGH im vorliegenden Fall insbesondere den Erwägungen von Mazal an (Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 [66 ff]), der das An- und Auskleiden in Krankenanstalten ua im Hinblick auf die hygienischen Verpflichtungen des Krankenanstaltenträgers dem Arbeitszeitbegriff zurechnet: Diese könnten – anders als etwa beim Personal eines Verkehrsunternehmens – nicht bloß durch fachgemäße Reinigung erfüllt werden, sondern setzten auch eine Lagerung der Dienstkleidung bis unmittelbar vor Dienstbeginn voraus, die den hygienischen Ansprüchen genügt.

Umkleidezeit ist hier Arbeitszeit

Für den vorliegenden Fall hebt der OGH hervor, dass die Arbeitnehmer nicht nur arbeitsvertraglich verpflichtet sind, Dienstkleidung zu tragen, sondern dass sich diese Verpflichtung – anders als in den E 9 ObA 89/02g und 9 ObA 133/02b – aufgrund einer Anordnung des Arbeitgebers auch darauf erstreckt, die Dienstkleidung ausschließlich im Krankenhaus zu wechseln. Damit kann der Arbeitnehmer auch nicht mehr entscheiden, ob er die Dienstkleidung zuhause oder im Betrieb an- und ablegt, sondern hat dafür eine von ihm einzuhaltende konkrete räumliche Vorgabe des Arbeitgebers. Dass der Weisung des Arbeitgebers eine öffentlich-rechtliche Rechtsvorschrift zugrunde liegt, unterstreicht dabei nur, dass der Umkleidevorgang vor Ort primär in seinem Interesse liegt.

Die arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Umkleiden vor Ort geht hier weiters mit der Verpflichtung zum Abholen und Zurückgeben der Dienstkleidung im Betrieb einher, sie umfasst daher auch die damit verbundenen Wegstrecken zwischen den Umkleidestellen, Wäscheautomaten und der eigentlichen Arbeitsstelle. All das geht über die bloße Möglichkeit des Umkleidens im Betrieb hinaus. Ist ein Arbeitnehmer aber so weit gebunden, dass er bei einer solchen Handlung auch über seinen Aufenthaltsort nicht selbst entscheiden kann, ist ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung gegeben, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den Arbeitgeber zu bejahen ist.

Zählt das Umkleiden einschließlich der Wegzeiten damit aber bereits zu den Erfüllungshandlungen des arbeitsvertraglich Geschuldeten, trifft es entgegen der Ansicht des Arbeitgebers nicht zu, dass die Dienstnehmer während des Umkleidens und der Wegzeiten nicht in der Lage wären, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Sollte dem die Erwägung zugrundeliegen, dass die vertraglichen Verpflichtungen auf die „Kernarbeit“ im eigentlichen Sinne einzuschränken seien, würde der Begriff der Arbeitszeit unzureichend erfasst.

Angesichts der festgestellten Weg- und Umkleidezeiten ist auch keine „Atomisierung des Arbeitszeitbegriffs“ zu befürchten (vgl Resch, Umkleidezeit und Beginn der Arbeitszeit, RdW 2015, 109 ff, 111 ff). Auch die vermeintliche Beliebigkeit der Dauer des Umkleidens spricht nicht gegen die Wertung als Arbeitszeit, weil das Tempo einer Arbeitsleistung idR eine individuelle Komponente hat und „Trödeln“ grundsätzlich nicht mit der Disqualifikation der geleisteten Zeit als Arbeitszeit zu sanktionieren ist. Ob sich Arbeitnehmer dann gegen ein Drängen des Arbeitgebers auf rasches Umkleiden wehren würden, ist hier ebenso wenig zu beurteilen wie allfällige Unterbrechungen der Arbeitszeit (Rauchpausen oä) vor Aufnahme oder nach Beendigung der Arbeit auf den Stationen.

Zusammenfassend sind die Umkleidezeiten und die damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten im vorliegenden Fall arbeitsleistungsspezifische Tätigkeiten, die primär im Interesse des Dienstgebers liegen. Sie weisen ein solches Maß an Fremdbestimmung auf, dass es gerechtfertigt ist, sie als Arbeitszeit iSd § 2 Z 1 KA-AZG bzw § 32 Abs 1 NÖ L-BG und § 14 Abs 1 Nö LVBG anzusehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25590 vom 25.06.2018