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Umsatzsteuerguthaben – Anspruch auf Verzugszinsen?

Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2006/112/EG: Art 90, Art 183

RL 2008/9/EG : Art 27

Im Rahmen der beiden Ausgangsfälle – verspätete Erstattung eines Vorsteuerüberhangs und nachträgliche Minderung des Entgelts wegen Uneinbringlichkeit von Kaufpreisforderungen – richtet der VwGH an den EuGH einige Vorlagefragen im Zusammenhang damit, dass im österreichischen Recht grds keine gesetzlichen Regelungen bestehen, die dem Steuerpflichtigen für die verspätete Erstattung von Umsatzsteuerforderungen Verzugszinsen einräumen. Für den VwGH stellt sich zunächst va die Frage, ob das Unionsrecht (insb Art 183 der RL 2006/112/EG [MwStSystRL]) eine unmittelbar anwendbare Regelung enthält, auf die sich der Steuerpflichtige vor dem Finanzamt und vor den Gerichten berufen kann, um Verzugszinsen wegen der verspäteten Auszahlung von Vorsteuerüberhängen zugesprochen zu erhalten.

Sollte der EuGH zum Ergebnis kommen, dass sich aus dem Unionsrecht ein unmittelbarer Anspruch auf Verzugszinsen ergibt, stellt sich für den VwGH weiters die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Zinsen zu berechnen sind (zweite Vorlagefrage).

Außerdem wird der VwGH ein Regulativ entwickeln müssen, wie dieser Anspruch umzusetzen ist. Dabei kann zwar an verschiedene Rechtsinstitute des nationalen Rechts Anlehnung genommen werden, hinsichtlich des Verhältnisses zur RL 2008/9/EG besteht aber eine Unklarheit, die der VwGH mit seiner dritten Vorlagefrage vom EuGH klären lassen will.

VwGH 24. 10. 2019, Ro 2017/15/0035, Ro 2018/15/0026 (EU 2019/0005 bis 0006)

Ausgangsfälle

Die zu Ro 2017/15/0035 anhängige Revision betrifft die verspätete Erstattung eines Vorsteuerüberhangs. Es gibt keine gesetzlichen Bestimmungen, die dem Steuerpflichtigen für die verspätete Erstattung von Umsatzsteuerforderungen Verzugszinsen einräumen. Die in der Lit gelegentlich erwähnten Bestimmungen der §§ 205 und 205a BAO sind auf einen solchen Fall nicht anwendbar. Sowohl der Wortlaut dieser Bestimmungen als auch deren Zweck und Systematik schließen eine Anwendung auf verspätet gutgeschriebene Umsatzsteuerforderungen aus (vgl VwGH 31. 3. 2017, Ra 2016/13/0034, ÖStZ 2018/320 = ÖStZB 2017/211).

Für den VwGH stellt sich daher die Frage, ob das Unionsrecht, insb Art 183 der RL 2006/112/EG (MwStSystRL; MehrwertsteuerRL) eine unmittelbar anwendbare Regelung enthält, auf die sich der Steuerpflichtige vor dem Finanzamt und vor den Gerichten berufen kann, um Verzugszinsen wegen der verspäteten Auszahlung von Vorsteuerüberhängen zugesprochen zu erhalten.

Das Revisionsverfahren zu Ro 2018/15/0026 betrifft keinen Vorsteuerüberhang und kann nicht nach Art 183 MwStSystRL beurteilt werden. Bei diesem Verfahren geht es um eine Umsatzsteuerforderung des Steuerpflichtigen gegenüber dem Finanzamt, die sich aus einer nachträglichen Minderung des Entgelts ergeben hat (wegen Uneinbringlichkeit von Kaufpreisforderungen). Hier stellt sich für den VwGH die Frage, ob eine nachträglich eingetretene Entgeltminderung als Fall einer „unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe“ beurteilt werden kann (vgl EuGH 19. 7. 2012, Littlewoods Retail Ltd, C-591/10, ÖStZB 2014/44).

Sollte die Rsp des EuGH zu „unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben“ auf einen solchen Fall anwendbar sein, stellt sich weiters die Frage, ob sich aus dem Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung ergibt, die einem Steuerpflichtigen, dem das Finanzamt in einer Situation wie im Ausgangsverfahren nicht rechtzeitig ein Umsatzsteuerguthaben gutschreibt, einen Anspruch auf Verzugszinsen einräumt, sodass er, obwohl das nationale Recht keine Verzugszinsen für vergleichbare Steuergutschriften kennt, diesen Anspruch beim Finanzamt bzw bei den Verwaltungsgerichten geltend machen kann.

Vorlagefragen

Der VwGH hat dem EuGH gem Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.Ergibt sich aus dem Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung, die einem Steuerpflichtigen, dem das Finanzamt in einer Situation, wie sie in den Ausgangsverfahren vorliegt, nicht rechtzeitig ein Umsatzsteuerguthaben erstattet, einen Anspruch auf Verzugszinsen einräumt, sodass er diesen Anspruch beim Finanzamt bzw bei den Verwaltungsgerichten geltend machen kann, obwohl das nationale Recht eine solche Zinsenregelung nicht vorsieht?

Für den Fall der Bejahung der 1. Vorlagefrage:

2.Ist es auch im Falle der durch eine nachträgliche Entgeltminderung nach Art 90 Abs 1 der RL 2006/112/EG des Rates vom 28. 11. 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entstandenen Umsatzsteuerforderung des Steuerpflichtigen zulässig, dass die Verzinsung erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraumes, der dem Finanzamt zur Überprüfung der Richtigkeit des vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Anspruches zur Verfügung steht, beginnt?
3.Hat der Umstand, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaates keine Verzinsungsregelung für die verspätete Gutschrift von Umsatzsteuerguthaben enthält, zur Folge, dass von den nationalen Gerichten bei der Bemessung der Zinsen die in Art 27 Abs 2 zweiter Unterabsatz der RL 2008/9/EG des Rates vom 12. 2. 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gem der RL 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige angeordnete Rechtsfolge auch dann zur Anwendung zu bringen ist, wenn die Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich dieser RL fallen?
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28322 vom 29.11.2019