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Verbandsklage: AGB einer Bank – Vorabentscheidungsersuchen

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

KSchG: § 28, § 29

RL 2015/2366/EU: Art 4, Art 52, Art 54, Art 63

Im Fall von „Zahlungsinstrumenten, die gem dem Rahmenvertrag nur einzelne Zahlungsvorgänge bis höchstens 30 € betreffen“, können Zahlungsdienstleister mit ihren Zahlungsdienstnutzern nach Art 63 Abs 1 Buchst b RL 2015/2366/EU (ZahlungsdiensteRL) vereinbaren, dass die Nachweis- und Haftungsregelungen der Art 72 und 73 sowie Art 74 Abs 1 und 3 keine Anwendung finden sollen, wenn „das Zahlungsinstrument anonym genutzt wird oder der Zahlungsdienstleister aus anderen Gründen, die dem Zahlungsinstrument immanent sind, nicht nachweisen kann, dass ein Zahlungsvorgang autorisiert war“.

Im Ausgangsverfahren stellen sich die Vorfragen, ob es sich bei der berührungslosen NFC-Bezahlfunktion einer multifunktionalen Karte, die mit einem bestimmten zu belastenden Konto eines Zahlungsdienstnutzers verknüpft ist,

-überhaupt um ein Zahlungsinstrument iSd Art 4 Nr 14 Zahlungsdienste-RL handelt, und
-wann es – wenn dies der Fall ist – „anonym“ genutzt wird.

OGH 25. 1. 2019, 8 Ob 24/18i

Entscheidung

Die vorliegende Verbandsklage richtet sich gegen eine bundesweit tätige Bank, die im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsformblätter verwendet, ua für die Verwendung von Zahlungskarten, die mit der Funktion NFC (Near Field Communication) ausgestattet sind.

Mit diesen Zahlungskarten der Bekl können an entsprechenden Kassen kontaktlos Kleinbeträge bis 25 € ohne Eingabe eines PIN-Codes bezahlt werden. Die Zahlung höherer Beträge erfordert eine zusätzliche Authentifizierung durch Code. Die NFC-Funktion der Bankkarten wird automatisch aktiviert, wenn der Kunde die Karte zum ersten Mal benützt.

Va iZm der NFC-Funktion hat der OGH dem EuGH mit gesondert ausgefertigtem Beschluss einige Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt und im Übrigen mit Teilurteil entschieden.

Vorabentscheidungsersuchen

Vorlagefragen:

1.Sind die Art 52 Nr 6 Buchst a iVm Art 54 Abs 1 der RL 2015/2366/EU (Zahlungsdienste-RL), wonach die Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers zu einer vorgeschlagenen Änderung der Vertragsbedingungen als erteilt gilt, außer der Zahlungsdienstnutzer zeigt dem Zahlungsdienstleister seine Ablehnung vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bedingungen an, dahin auszulegen, dass eine Zustimmungsfiktion auch mit einem Verbraucher völlig uneingeschränkt für sämtliche denkbaren Vertragsbedingungen vereinbart werden kann?
2.a.Ist Art 4 Nr 14 Zahlungsdienste-RL dahin auszulegen, dass es sich bei der NFC-Funktion einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte, mit der Kleinbetragszahlungen zu Lasten des verknüpften Kundenkontos getätigt werden, um ein Zahlungsinstrument handelt?
2.b.Falls die Frage 2.a bejaht wird:
Ist Art 63 Abs 1 Buchst b Zahlungsdienste-RL (EU) 2015/2366 über die Ausnahmeregeln für Kleinbetragszahlungen und elektronisches Geld dahin auszulegen, dass eine kontaktlose Kleinbetragszahlung unter Verwendung der NFC-Funktion einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte als anonyme Nutzung des Zahlungsinstruments iSd Ausnahmeregelung anzusehen ist?
3.Ist Art 63 Abs 1 Buchst b Zahlungsdienste-RL (EU) 2015/2366 dahin auszulegen, dass sich ein Zahlungsdienstleister auf diese Ausnahmeregelung nur dann berufen kann, wenn das Zahlungsinstrument nachweislich nach dem objektiven Stand der Technik nicht gesperrt werden kann, oder eine weitere Nutzung nicht verhindert werden kann?

Anonymität – Sperrbarkeit:

Aus der bisherigen Rsp des EuGH lässt sich nach Ansicht des OGH nicht ableiten, ob „Anonymität“ iSd Art 63 Abs 1 lit b der Zahlungsdienstleiste-RL schon ausscheidet, wenn die Zahlung mittels einer Bankkarte erfolgt, die auf ein individualisiertes Bankkonto ausgestellt ist, oder ob es dazu noch eines weiteren authentifizierenden Elements (etwa PIN) bedarf.

Dies gilt auch für die Frage, inwieweit bei Beurteilung der mangelnden Sperrbarkeit iSd Art 63 Abs 1 lit a Zahlungsdienstleiste-RL auf die Vereinbarung oder auch auf die technische Machbarkeit abzustellen ist; nach Art 63 Abs 1 Buchst a Zahlungsdienste-RL (in Österreich umgesetzt durch § 57 Abs 1 Z 1 ZaDiG 2018) gelten die darin genannten Ausnahmeregeln, „wenn das Zahlungsinstrument nicht gesperrt werden oder eine weitere Nutzung nicht verhindert werden kann“. Insoweit bedarf es der Festlegung eines einheitlichen Standards durch einen allgemeinen Rechtssatz aus der Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH und geht es nicht nur um die dem nationalen Gericht vorbehaltene bloße Anwendung des Unionsrechts.

Teilurteil

Zu den sonstigen Klauseln hat der OGH zusammengefasst ua ausgesprochen:

-IZm mit der Kartensperre etwa infolge Verlust oder Diebstahl wird dem Zahlungsdienstanbieter gem § 35 Abs 1 Z 3 ZaDiG (§ 64 Abs 1 Z 3 ZaDiG 2018) keine Handlungspflicht auferlegt, sondern eine Erfolgsverbindlichkeit. Er hat – mit entsprechenden technischen Einrichtungen – dafür zu sorgen, dass eine Nutzung im selben Moment („sobald“) ausgeschlossen ist, in dem die Anzeige eines konkreten Kunden einlangt. Dieser Erfolg lässt sich nur erzielen, wenn die Sperre automatisch erfolgt und keine zusätzliche gewillkürte Handlung erfordert, bei der sich die Frage der Unverzüglichkeit stellen könnte. Zum selben Ergebnis führt im Übrigen auch eine sprachvergleichende Interpretation der umgesetzten Richtlinienbestimmungen.
Eine Vereinbarung, wonach die Sperrung vom Zahlungsdienstleister nur unverzüglich veranlasst wird, steht daher nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben.
-Eine Klausel verstößt gegen § 37 ZaDiG (§ 62 Z 14 ZaDiG 2018), wenn dem Kunden durch eine Sperre der Benutzernummer der Zugang zum Zahlungsinstrument Onlinebanking zur Gänze verweigert wird.
Diese Bestimmung legt taxativ fest, in welchen Fällen der Zahlungsdienstleister ein Zahlungsinstrument sperren darf. Neben ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtungen oder behördlichen Anordnungen kann eine solche Sperrmöglichkeit nur für den Fall vereinbart werden, dass objektive Gründe iZm der Sicherheit des Zahlungsinstruments dies rechtfertigen, dass der Verdacht einer nicht autorisierten oder betrügerischen Verwendung des Zahlungsinstruments besteht oder im Fall eines Zahlungsinstruments mit einer Kreditlinie ein beträchtlich erhöhtes Risiko besteht, dass der Zahler seiner Zahlungspflicht nicht nachkommen kann.
Nachteilige Abweichungen von § 37 ZaDiG sind nach § 26 Abs 6 ZaDiG (§ 55 Abs 2 ZaDiG 2018) gegenüber Verbrauchern und Nichtverbrauchern unwirksam. Im vorliegenden Fall umfass die unbestimmte Formulierung der Klausel aber jedenfalls auch Pflichtverletzungen als Anlass für eine Sperre der Kundennummer, die nicht unter die gesetzlich zulässigen Gründe subsumiert werden können.
-Die Verpflichtung zur Aufhebung der Sperre wird in § 37 Abs 4 ZaDiG (§ 62 Abs 4 ZaDiG 2018) allein an den Wegfall der Sperrgründe geknüpft und nicht zusätzlich von einer Antragstellung des Kunden abhängig gemacht, obwohl dies dem Gesetzgeber einfach möglich gewesen wäre.
Der jederzeitige Antrag auf Aufhebung der Sperre wird in § 35 Abs 1 Z 2 ZaDiG (§ 64 Abs 1 Z 2 ZaDiG 2018) gleich der jederzeit möglichen Verlustanzeige geregelt. Der Zahlungsdienstleister hat die geeigneten technischen Mittel bereitzustellen, damit die Sperrung oder deren Aufhebung unmittelbar wirksam werden kann. Eine Einschränkung auf lediglich persönliche schriftliche Kommunikation ist wegen der damit idR verbundenen Verzögerung nicht gesetzeskonform.
-§ 36 Abs 2 ZaDiG (§ 63 Abs 2 ZaDiG 2018) verlangt vom Karteninhaber nur eine Anzeige des Verlusts der Karte beim Zahlungsdienstleister oder einer von diesem betrauten Stelle. Die Verpflichtung, den Verlust der Karte „darüber hinaus“ in jedem Fall auch noch bei Behörde anzuzeigen, ist eine eigenständige zusätzliche Sorgfaltspflicht, die nach den Bestimmungen des ZaDiG nicht wirksam vereinbart werden kann. Zur Verhinderung des Missbrauchs einer ohnehin bereits gesperrten Karte erscheint die Anzeige nicht zusätzlich erforderlich, jedenfalls stünde der Bank selbst, wenn sie dies für zweckmäßig erachten sollte, aufgrund der Meldung des Kunden eine Anzeigeerstattung frei.
-Vernachlässigt der Zahlungsdienstleister die erforderliche Sorgfalt im Rahmen der Kohärenzprüfung, trifft ihn die schadenersatzrechtliche Haftung (2 Ob 224/13z, Punkt 2.4. mwN, Rechtsnews 18596 = RdW 2015/158; Umkehrschluss aus § 35 Abs 5 ZaDiG).
Die Zurückweisung eines Zahlungsauftrags aufgrund der Ergebnisse der Kohärenzprüfung des Kundenidentifikators, zB der IBAN, setzt zwangsläufig eine unrichtige Angabe (nämlich einer nicht existenten IBAN) bei Vornahme der Disposition voraus. Für Schäden aus unrichtigen Angaben des Zahlungsdienstnutzers, die bei sorgfaltsgemäßer Kohärenzprüfung zur Zurückweisung des Zahlungsauftrags durch den Zahlungsdienstanbieter zu führen gehabt hätten, kann daher keine (uneingeschränkte) Haftung des Kontoinhabers vereinbart werden.

Hinweis:

Die hier geltend gemachten Gesetzwidrigkeiten beziehen sich vorwiegend auf Verstöße gegen das ZaDiG idF BGBl I 2009/66. Dieses Gesetz ist während des Revisionsverfahrens außer Kraft getreten und durch das ZaDiG 2018, BGBl I 2018/17 idgF, ersetzt worden. Das ZaDiG 2018 dient der Umsetzung der RL (EU) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt („PSD II“, „Zweite Zahlungsdiensterichtlinie“).

Ändert sich die Rechtslage während des Rechtsmittelverfahrens, hat eine Parallelprüfung nach altem und neuem Recht zu erfolgen; ein Unterlassungsanspruch ist nur dann zu bejahen, wenn das beanstandete Verhalten sowohl gegen das alte als auch gegen das neue Recht verstößt. Eine Parallelprüfung nach altem Recht kann nur dann unterbleiben, wenn das Verhalten auch nach Inkrafttreten des neuen Rechts fortgesetzt wurde (vgl RIS-Justiz RS0123158 [T1, T2, T5, T7, T8]; 6 Ob 140/18h, Rechtsnews 26251 = RdW 2019/83).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27122 vom 09.04.2019