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Verbandsklage: Verbraucherkreditvertrag - Negativzinsen

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

KSchG: § 6, § 28, § 28a, § 29

1. § 28a KSchG erweitert den Anwendungsbereich der Verbandsklagen auf gesetzwidrige Geschäftspraktiken von Unternehmern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern. Die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage besteht auch in einem Verbandsprozess gem § 28a KSchG.

Gemäß § 28a Abs 1 KSchG kann ua auf Unterlassung geklagt werden, wer im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern iZm Verbraucherkreditverhältnissen „gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot“ verstößt und dadurch die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt. Es kommen auch gesetzliche Gebote oder Verbote nach dem ABGB in Frage; wesentlich ist aber, dass es sich um bestimmte gesetzliche Verbote oder Gebote handeln muss.

Die „Pflicht zur Vertragstreue“ stellt kein ausreichend bestimmtes gesetzliches Gebot iSd § 28a Abs 1 KSchG dar und kann daher nicht Gegenstand einer Verbandsklage nach § 28a KSchG sein.

2. Gemäß § 6 Abs 1 Z 5 KSchG sind für den Verbraucher besonders solche Vertragsbestimmungen iSd § 879 ABGB nicht verbindlich, nach denen „dem Unternehmer auf sein Verlangen für seine Leistung“ ein höheres Entgelt zusteht, als das bei der Vertragsschließung bestimmte (Anm: Ausnahmen hier nicht relevant). § 6 Abs 1 Z 5 KSchG erfasst schon von seinem Wortlaut her nur Entgelt, das der Verbraucher dem Unternehmer zu zahlen hat, nicht jedoch Zahlungen des Unternehmers an den Verbraucher.

Im Allgemeinen gehen Vertragsparteien, die eine Zinsgleitklausel vereinbaren, bei Vertragsabschluss davon aus, dass der Kreditnehmer als Entgelt für die Zurverfügungstellung eines Geldbetrags für die jeweilige Zinsperiode Zinsen zu zahlen hat und dass eine rechnerische Entwicklung des Zinsniveaus ins Negative (lediglich) dieses Entgelt - allenfalls bis auf Null - reduzieren wird. Ein redlicher Kreditnehmer kann regelmäßig nicht von vornherein damit rechnen, dass der Kreditgeber einer Zahlungspflicht in Form von „Negativzinsen“ zustimmen wird und damit möglicherweise weniger zurückerhält als er zur Verfügung gestellt hat.

OGH 21. 3. 2017, 10 Ob 13/17k

Sachverhalt

Die bekl österreichische Bank verwendet Zinsgleitklauseln, die an den „LIBOR“ (London Interbank Offered Rate) gebunden sind. Im Februar 2015 versandte sie an ihre Fremdwährungskreditnehmer ein Schreiben, in dem sie zu diesen Zinsgleitklauseln klarstellte: Wird der Sollzinssatz rechnerisch negativ, wird nicht dieser zur Anwendung gebracht, sondern ein Sollzinssatz von 0 (0,00001 %) - und zwar aufgrund der Rechtsauffassung, dass bei Kreditverträgen prinzipiell nicht der Kreditgeber, sondern der Kreditnehmer Zinsen zu zahlen hat. Der Kreditnehmer erhält also für den Kredit jedenfalls keine Zinszahlung von der Bank „(zB Indikator - 1,3 % und Aufschlag 1,2 % = Sollzinssatz 0,00001 %, nicht - 0,1 %)“.

Gestützt auf § 28a KSchG erhob der VKI Unterlassungsklage: Die Bekl habe mit den Schreiben vom Februar 2015 eine rechtswidrige Vorgangsweise konkret angekündigt, sodass eine vorbeugende Unterlassungsklage zulässig sei. Sie kündige damit einen Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG und gegen die bspw aus § 871 ABGB abzuleitende Pflicht zur Vertragstreue an.

Die Klage blieb vor dem BerufungsG und dem OGH erfolglos, auch wenn die Revision zulässig war, weil höchstgerichtliche Rsp zur Frage fehlte, ob Mitteilungen an Konsumenten über einen Aspekt der AGB-Auslegung, der ein allfälliges künftiges Streitpotential in sich berge, eine von § 28a KSchG umfasste verbotene Geschäftspraxis darstelle.

Entscheidung

Verbandsklage nach § 28a KSchG

Zweck der Verbandsklage nach § 28a KSchG ist, Verhaltensweisen zu unterbinden, die im Widerspruch zum geltenden innerstaatlichen Recht stehen (10 Ob 28/14m, RdW 2014/764, mit Hinweis auf den Erwägungsgrund 4 der RL 2009/22/EG). § 28a KSchG zählt die für eine Unterlassungsklage maßgebenden Schutzbereiche taxativ auf (hier: Verbraucherkreditverhältnisse).

Diese Bestimmung enthält aber weder eine taxative noch eine bloß demonstrative Aufzählung jener gesetzlichen Verbote und Gebote innerhalb der einzelnen Schutzbereiche, deren Verletzung einen Unterlassungsanspruch auslösen kann. Sie bezweckt nach Ansicht des OGH damit einen über die Richtlinien hinausgehenden Schutz, indem alle weitergehenden gesetzlichen Maßnahmen erfasst werden, die dem Schutz der Verbraucher in den einzelnen Schutzbereichen dienen.

Es kommen daher auch gesetzliche Gebote oder Verbote nach dem ABGB in Frage (Eccher in Klang3, KSchG § 28a Rz 2 mwH; Langer in Kosesnik-Wehrle, KSchG4 §§ 28-30 Rz 32b). Die Gesetzesmaterialien erwähnen etwa die für die Rückabwicklung maßgeblichen Bestimmungen des Bereicherungsrechts, die Gefahrtragungsvorschriften im Besitzrecht und bei den einzelnen Rechtsinstituten sowie das Schadenersatzrecht (ErläutRV 1998 BlgNR 21. GP 33).

Dieser Zweck ändert jedoch nichts daran, dass es sich - schon aus Gründen der Rechtssicherheit - um bestimmte gesetzliche Verbote oder Gebote handeln muss, so der OGH. Der vom Kl herangezogene Grundsatz der Vertragstreue wird aber nicht in einem solchen bestimmten Ge- oder Verbot normiert. Dabei handelt es sich vielmehr um eines von mehreren maßgebenden Prinzipien des Rechtsgeschäftsrechts, das in verschiedenen Bestimmungen des Privatrechts seinen Ausdruck findet. Die Pflicht zur Vertragstreue ist eine Konsequenz freier Bindungsentscheidung: Haben die Vertragspartner ihre Entscheidung ausreichend frei getroffen, so resultiert daraus eine Bindung an den Vertrag („pacta sunt servanda“) sowie die Pflicht zur Erfüllung des Vertrags. Die Rechtsordnung berücksichtigt daher, dass die Vertragsfreiheit Voraussetzung der Vertragstreue ist, indem sie die Vertragstreuepflicht in Fällen abschwächt (zB Lösungsrechte normiert), in denen die Vertragsfreiheit - etwa durch Zwang oder wirtschaftliche Unterlegenheit - eingeschränkt ist (zB §§ 870, 879 ABGB; § 6 KSchG).

Vor diesem Hintergrund stellt die „Pflicht zur Vertragstreue“, die der vom Kl aus beispielsweise genannten Bestimmungen des ABGB ableitet, kein ausreichend bestimmtes gesetzliches Gebot iSd § 28a Abs 1 KSchG dar.

„Negativzinsen“

Zwar steht der Wortlaut einer bestimmten, allenfalls für alle betroffenen Kreditnehmer übereinstimmenden Zinsgleitklausel im konkreten Fall nicht fest; da aber schon ganz allgemein gem § 914 ABGB für die Auslegung von Verträgen va die Absicht der Parteien zu erforschen ist, darf nach Ansicht des OGH nicht überbewertet werden, dass sich aus dem Wortlaut der Zinsgleitklausel allenfalls rechnerisch die Möglichkeit jedweden Zinssatzes ergibt:

Die Unzulässigkeit der Nullverzinsung von Spareinlagen hat der OGH damit begründet, dass verzinsliche Spareinlagen typischerweise Vermögensbildungs- und Gewinnerzielungsfunktion haben. Eine Nullverzinsung widerspricht diesen elementaren und gesetzlich angelegten Zwecken einer Spareinlage diametral (5 Ob 138/09v, RdW 2010/36; RIS-Justiz RS0125504).

Im hier vorliegenden „typischen Fall“ sind sich die Parteien eines Verbraucherkreditvertrags regelmäßig darüber einig, dass der Kreditnehmer als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Kreditvaluta (laufend) Zinszahlungen zu leisten hat. In keinem Fall rechnet ein Kreditnehmer - gemessen am Maßstab eines redlichen Erklärungsempfängers - bei Vertragsabschluss damit, zu irgendeinem Zeitpunkt während der Kreditlaufzeit Zahlungen vom Kreditgeber zu erhalten (dies gerade auch nicht bei der von Leupold, VbR 2015/53, 82, geforderten objektiven ex-ante-Betrachtung). Ebenso wenig ist der Kreditgeber zu irgendeiner Zeit gewillt, irgendwelche Zahlungen an den Kreditnehmer zu leisten. Es besteht insofern beim Kreditvertrag allgemein ein übereinstimmender Parteiwille über Vertragsgegenstand und Vertragsinhalt, der eine - irreführend als „Negativzinsen“ bezeichnete - Zahlungsverpflichtung der kreditgebenden Bank an den Kreditnehmer ausschließt. Dieser übereinstimmende Parteiwille geht als natürlicher Konsens einer jeden Auslegung vor (5 Ob 237/13h mwH; RIS-Justiz RS0017741; RS0017839 [T1]).

Dem Argument, die Parteien des Verbraucherkreditvertrags hätten bei Vertragsabschluss nicht im Mindesten daran gedacht, dass sich der Referenzwert ins Negative entwickeln könne, erwidert der OGH, dass die Auslegung eines einzelnen Vertrags zu dem Ergebnis führen kann, dass die Bank „Negativzinsen“ zu leisten hat. Im Allgemeinen gehen Vertragsparteien bei Vereinbarung einer Zinsgleitklausel aber davon aus, dass eine rechnerische Entwicklung des Zinsniveaus ins Negative (lediglich) das Entgelt für die Zurverfügungstellung des Kredits - allenfalls bis auf Null - reduzieren wird (vgl Kronthaler, Zak 2016, 129). Ein redlicher Kreditnehmer kann regelmäßig nicht von vornherein damit rechnen, dass der Kreditgeber - entgegen der Vorstellung, ein Entgelt für seine Leistung zu erhalten - einer Zahlungspflicht in Form von „Negativzinsen“ zustimmen wird und damit möglicherweise weniger zurückerhält als er zur Verfügung gestellt hat (vgl § 989 Abs 2 ABGB).

Da § 6 Abs 1 Z 5 KSchG schon von seinem Wortlaut her nur Entgelt erfasst, das der Verbraucher dem Unternehmer zu zahlen hat, wird der Schutzzweck des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG nicht verletzt, wenn die bekl Bank durch die beabsichtigte Vorgangsweise die vertragliche Pflicht ihrer Kunden, Zinsen als Entgelt für die Gewährung eines Kredits zu zahlen, auf gleichsam Null reduziert und auf diese Weise das Interesse ihrer Kunden wahrt, dass ihnen (allgemein) rückläufige Refinanzierungskosten zugute kommen (Koitz-Arko, Zinsgleitklauseln bei Verbraucherkrediten, ÖBA 1998, 10 mwH). Nach den Feststellungen wird dem Kunden durch diese Vorgangsweise kein „Risiko“ iZm den Refinanzierungserwägungen der Bekl überwälzt (so aber Kolba, VbR 2015/28, 48; Haghofer, VbR 2016/41, 62), sondern er wird lediglich (nahezu) vollständig von seiner Verpflichtung befreit, Sollzinsen als Entgelt für die Gewährung eines Kredits zu zahlen. Die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage, ob der Kunde verpflichtet ist, wenigstens den vereinbarten Fixaufschlag zu zahlen (vgl dazu zB Zöchling-Jud, ÖBA 2015, 318; Graf, ÖBA 2016, 722; B. Koch, VbR 2015/104, 140), stellt sich im vorliegenden Fall nicht, weil die Bekl ohnedies zu einer Senkung der vereinbarten Zinsen bis gleichsam Null bereit ist.

Veröffentlichung des klagsabweisenden Urteils

Die von der Bekl beabsichtigte Vorgangsweise wurde vom Kl in Medien und auf seiner Website in Frage gestellt. Er riet Verbrauchern in diesem Zusammenhang, der Vorgangsweise der Bekl zu widersprechen. Der Meinungsstreit ist einem breiten Publikum bekannt geworden und wird auch öffentlich ausgetragen, insb auch in zahlreichen fachlichen Publikationen. An der Veröffentlichung des klageabweisenden Urteils besteht nach Ansicht des OGH daher ein berechtigtes Interesse (Ermächtigung zur Veröffentlichung im redaktionellen Teil einer Samstagsausgabe der Kronen Zeitung, bundesweite Ausgabe).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23444 vom 19.04.2017