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Verbandsklage: Weiterhin Berufung auf unzulässige AGB-Klauseln?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

KSchG: § 28, § 29

TKG 2003: § 25

Wird dem Unternehmer im Verbandsprozess die Verwendung bestimmter AGB-Klauseln untersagt, ist nicht nur für die Neufassung der AGB eine angemessene Leistungsfrist zu setzen, sondern auch für das Unterlassen einer weiteren Berufung auf die unzulässigen Klauseln. Zur vollständigen Erfüllung des Unterlassungsgebots des „Sich-Berufens“ gegenüber seinen Bestandskunden muss der Unternehmer nämlich alle standardisierten Informations- und Korrespondenzwege (insb Drucksorten und Internetseiten) und seine Vertragsverwaltungsprogramme darauf überprüfen, ob sich ihr Inhalt auf eine der unzulässigen Klauseln bezieht oder darauf aufbaut, und muss erforderlichenfalls Anpassungen vornehmen. Der Unternehmer ist daher auch hinsichtlich des Verbots der weiteren Berufung auf die unzulässigen Klauseln zu aktivem Handeln verpflichtet und eine Leistungsfrist auch dafür ist daher gerechtfertigt.

OGH 27. 1. 2017, 8 Ob 132/15t

Entscheidung

Zulässige Entgeltanpassung gemäß VPI

In der etwas über 32 Seiten umfassenden Entscheidung (Verbandsklage gegen ein Telekomunternehmen) erklärt der OGH etliche Klauseln für unzulässig (va wegen Verstoß gegen das Transparenzgebot, nachteiligem Ausschluss der Rechtswirksamkeit formloser Erklärungen iSd § 10 Abs 3 KSchG, gröblicher Benachteiligung).

Als zulässig erachtete der OGH hingegen insb die sog salvatorische Klausel, die lediglich die Rechtslage wiedergibt, sowie die Klauseln zur Entgeltanpassung, die in der vorliegenden Rechtssache bereits zu einer Vorabentscheidung des EuGH geführt haben (C-326/14 = RdW 2016/16):

Im Lichte der Vorabentscheidung (C-326/14 = RdW 2016/16) hält der OGH fest, dass dem Teilnehmer auch im Telekommunikationsbereich und Anwendungsbereich des § 25 TKG kein außerordentliches Kündigungsrecht zukommt, wenn eine Entgeltänderung aufgrund einer vertraglich vorgesehenen Anpassungsklausel mittels eines objektiven Index erfolgt, der von einer staatlichen Stelle ermittelt wird (hier: Verbraucherpreisindex). Im vorliegenden Fall begründen die betreffenden Klauseln daher keinen Verstoß gegen § 25 Abs 3 TKG und keine Verschleierung der wahren Rechtslage iSd § 6 Abs 3 KSchG.

In der Anwendung eines objektiven, vom Telekomunternehmen nicht einseitig beeinflussbaren VPI ist nach Ansicht des OGH auch keine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 ABGB zu erblicken. Der Umstand, dass sich das Telekomunternehmen die Entscheidung vorbehält, trotz Überschreitens der Indexschwelle keine Entgeltänderung vorzunehmen, ist für den Verbraucher nicht nachteilig. Insbesondere bedeutet die Klausel nicht, dass damit eine Einflussnahme des Telekomunternehmens auf den Index möglich wäre. Die Freiheit, von der Geltendmachung eines bestehenden Rechts gegenüber dem Vertragspartner keinen Gebrauch zu machen, ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz.

Leistungsfrist für alle Aspekte des Verbots

Darüber hinaus hatte sich der OGH hier auch mit der Frage zu befassen, ob nicht nur für das Verwenden der Klauseln oder sinngleicher Klauseln in Neuverträgen eine angemessene Leistungsfrist zu setzen ist (hier: binnen 6 Monaten), sondern auch eine (einheitliche) Leistungsfrist für das Sich-Berufen auf die unzulässige Klausel in Altverträgen.

Hinweis:

Während es gefestigte Rsp ist, dass die Verpflichtung zur Änderung der AGB keine reine Unterlassung ist und das Gericht daher gem § 409 Abs 2 ZPO eine angemessene Leistungsfrist zu setzen hat (vgl 4 Ob 130/03a; 10 Ob 70/07b; 6 Ob 24/11i; 7 Ob 84/12x; 5 Ob 118/13h), gibt es unterschiedliche Rsp zur Frage, ob eine (einheitliche) „Leistungsfrist“ auch für die Unterlassung der Berufung auf die unzulässigen Klauseln zu setzen ist (bejahend: 4 Ob 130/03a, 10 Ob 70/07b oder 2 Ob 20/15b, RdW 2016/303 – verneinend: 5 Ob 118/13h).

Während sich der 6. Senat – fast zeitgleich – der E 5 Ob 118/13h anschließt (OGH 30. 1. 2017, 6 Ob 235/15z, LN Rechtsnews 23145 vom 17. 2. 2017), folgt der erkennende 8. Senat hier der E 2 Ob 20/15b, RdW 2016/303.

Leistungsfrist zur Überprüfung der internen Vorgänge

Das (auch hier vorgebrachte) Argument, dass das Verbot des „sich Berufens“ durch reine Unterlassung befolgt werden könne und keine aktiven konzeptiven oder logistischen Vorkehrungen erfordere (so auch nun die aktuelle E 6 Ob 235/15z), wurde bereits in der E 2 Ob 20/15b, RdW 2016/303, für nicht ausreichend erachtet.

Dieser Argumentationslinie hält der erkennende Senat hier weiters entgegen, dass sie als notorisch annimmt, dass die Unterlassung des „sich Berufens“ auf eine Klausel gegenüber einem Bestandskunden kein aktives Handeln der Bekl erfordere. Dies trifft aber nach Ansicht des Senats im Allgemeinen nicht zu:

Ein Unternehmer beruft sich schon dann auf eine Klausel, wenn sie nur Inhalt oder Kalkulationsgrundlage einer Mitteilung an den Verbraucher ist, selbst wenn es sich dabei um eine bloße Wissenserklärung handelt (vgl 4 Ob 265/02b, RdW 2003/203). Die Unterlassungsverpflichtung des „sich Berufens“ umfasst auch das Verbot, bei aktuellen Berechnungen oder Mitteilungen indirekt auf einer Rechtsposition aufzubauen, die als gesetzwidrig erkannt worden ist (vgl 4 Ob 288/02k, WRInfo 2003/118).

Die Bekl hat daher nach Ansicht des Senats zur vollständigen Erfüllung des Unterlassungsgebots des „sich Berufens“ gegenüber ihren Bestandskunden alle im Verkehr mit ihnen gebrauchten standardisierten Informations- und Korrespondenzwege (insbesondere Drucksorten und Internetseiten) und ihre Vertragsverwaltungsprogramme darauf zu überprüfen, ob sich ihr Inhalt auf eine der für unzulässig erklärten Klauseln bezieht oder darauf aufbaut, und erforderlichenfalls Anpassungen vorzunehmen. In jedem Fall ist die Bekl aufgrund des Verbots zu aktivem Handeln verpflichtet.

Rechtsdurchsetzung im Einzelfall ohnedies möglich

Für nicht erforderlich hielt der OGH in diesem Zusammenhang auch die angeregte Einholung einer Vorabentscheidung zur Frage, ob (zusammengefasst) Art 7 Abs 2 RL 93/13/EWG dahin auszulegen sei, dass er der Einräumung einer Leistungsfrist für das „sich Berufen“ auf eine unzulässige Klausel entgegensteht, weil darin die Verpflichtung verankert ist, „angemessene und wirksame Mittel [anzuwenden], um der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen“. Nicht näher dargelegt wurde dazu nämlich, inwiefern durch die gegenständliche Leistungsfrist die Angemessenheit und Wirksamkeit der vorliegenden Verbandsklage beeinträchtigt und das Ziel der RL verfehlt würde, der Verwendung unzulässiger Klauseln ein Ende zu setzen. Die Setzung einer Leistungsfrist im Verbandsprozess wirkt nicht auf die individuellen Rechtspositionen der Kunden der Beklagten ein und behindert nicht deren Rechtsdurchsetzung; der OGH kann daher auch keinen Widerspruch zur Entscheidungsbegründung des EuGH in der Rs C-618/10 (= RdW 2012/421) erkennen, die im Zuge eines Individualverfahrens gegen einen Verbraucher ergangen ist.

Anmerkung:

Obwohl die Entscheidungsgründe nicht näher auf die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung durch den einzelnen Kunden eingehen, steht diese Ansicht doch auch im Einklang mit den Mat zur – sprachlich etwas verfehlten – Erweiterung des § 28 Abs 1 KSchG mit BGBl I 1997/6 durch Anfügung des letzten Satzes, wonach „dieses Verbot [...] auch das Verbot ein[schließt], sich auf eine solche Bedingung zu berufen, soweit sie unzulässigerweise vereinbart worden ist“:

In den Mat (EBRV 311 BlgNR 20. GP 31 f) wird zwar einerseits darauf hingewiesen, dass Verbraucher die Konfrontation mit dem Unternehmer oft vermeiden und die nachteilige Vertragsklausel in Kauf nehmen; andererseits wird aber auch explizit und ausführlich darauf Bezug genommen, dass die „– durchaus sinnhaften – Unterscheidungen beim Prüfungsmaßstab“ uU dazu führen können, dass „ein und dieselbe Vertragsbestimmung im 'Verbandsprozess' nach § 28 KSchG als gesetz- oder sittenwidrig beurteilt wird, im Einzelfall – wegen der hier für den Verbraucher günstigeren Auslegung – aber nicht“ (Abstellen auf den objektiven Wortlaut der AGB-Klausel und Ausschluss einer geltungserhaltenden Reduktion im Verbandsprozess einserseits – Berücksichtigung undeutlicher Formulierungen gem § 915 ABGB in der für den Unternehmer ungünstigsten Variante im Einzelprozess andererseits).

Daraus leiten die Mat weiters ab: „Kann nun aber einer objektiv gesetz- oder sittenwidrigen Bestimmung – etwa durch begünstigende Auslegung nach § 915 ABGBim Einzelfall ein „erträglicher“ Inhalt zugeschrieben werden und kann demgemäß die betreffende Klausel dennoch vereinbart werden, so soll der Unterlassungsbefehl insoweit nicht wirken. Diesen Fall betrifft der zweite Halbsatz im zweiten Satz des § 28 Abs 1 KSchG.“

(Barbara Tuma)

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23146 vom 17.02.2017