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Vergabe von Aufträgen auf Basis einer Rahmenvereinbarung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

BVergG 2006: § 150, § 151, § 152, § 334

1. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auf Basis einer Rahmenvereinbarung dürfen die Parteien keinesfalls substanzielle Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vornehmen (hier: Lieferung von Impfstoffen – substanzielle Änderungen im konkreten Auftrag durch Erwartung eines rund zehnfachen Warenumsatzwerts bezogen auf nur eine von drei Standortkategorien und jährliche Impfaktion statt flexibler Belieferung, was den Bietern jeweils eine wesentlich andere Kalkulation erlauben würde).

2. Kann die erbrachte Leistung oder ein erbrachter Leistungsteil nicht mehr oder nur wertvermindert zurückgestellt werden (hier: bereits verabreichte Impfstoffe), hat das Bundesverwaltungsgericht gem § 334 Abs 4 BVergG 2006 auszusprechen, dass der Vertrag nur soweit aufgehoben wird, als Leistungen noch ausständig oder erbrachte Leistungen noch ohne Wertverminderung rückstellbar sind. In dem Umfang des missbilligten Vertrages, der einer Rückabwicklung nicht zugänglich ist, verbleibt als einzige Sanktionsmöglichkeit des rechtswidrigen Verhaltens des Auftraggebers die Verhängung einer Geldbuße.

Dem Auftraggeber kommt kein Antragsrecht auf bloß teilweise Aufhebung des Vertrages statt seiner Nichtigerklärung zu, weil er sonst durch (willkürliches) Unterlassen der entsprechenden Antragstellung auch die Verhängung der alternativen Sanktion der Geldbuße verhindern könnte.

Hinsichtlich der Verhängung einer Geldbuße bedarf es – mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen – auch keines darauf abzielenden Antrags der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren und die Vergabekontrollbehörde muss dem Auftraggeber auch nicht explizit eine Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen.

VwGH 18. 3. 2015, 2012/04/0070

Entscheidung

Zudem hat der VwGH zusammengefasst ua ausgesprochen:

Rahmenvereinbarung – substanzielle Änderung

Für die Vergabe von Aufträgen auf Basis einer Rahmenvereinbarung gelten ausschließlich § 150 Abs 2, § 151 und § 152 BVergG 2006 sowie die in diesen Bestimmungen verwiesenen Paragrafen. Da eine Rahmenvereinbarung ein Instrument der Auftragsvergabe darstellt, in dem die Bedingungen für die konkrete Leistungserbringung erst nachträglich fixiert oder nachträglich modifiziert werden können, kommt § 152 Abs 1 BVergG 2006 besondere Bedeutung zu (spezielle Ausformulierung des Diskriminierungsverbots): Danach dürfen bei der Vergabe der öffentlichen Aufträge auf Basis einer Rahmenvereinbarung die Parteien keinesfalls substanzielle Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vornehmen.

Substanzielle“ Änderungen der Bedingungen einer Rahmenvereinbarung wären etwa Änderungen des Leistungsgegenstandes, die (für den Abschluss der Rahmenvereinbarung) wesentlich andere Angebote oder einen stark veränderten Bewerber- oder Bieterkreis zur Folge gehabt hätten (vgl zu allem RV 1171 BlgNR 22. GP, 94 f).

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine substanzielle Änderung vorliegt, ist va auf die Gleichbehandlung und den Transparenzgrundsatz zu achten. Die Rsp des EuGH betreffend die Zulässigkeit nachträglicher Vertragsänderungen bietet Anhaltspunkte für die Ausmittlung der Grenze zwischen einer Abänderung bzw Konkretisierung der Leistungsverpflichtung, die dem Charakteristikum der Rahmenvereinbarung entspricht, und einer unzulässigen substanziellen Vertragsänderung. Um die Transparenz der Verfahren und die Gleichbehandlung der Bieter sicherzustellen, sind nach dieser EuGH-Rsp Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags während seiner Geltungsdauer als Neuvergabe des Auftrags iSd RL 92/50/EWG anzusehen, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrags erkennen lassen. Als wesentlich könne eine Änderung angesehen werden, wenn sie Bedingungen einführe, die – im ursprünglichen Vergabeverfahren – die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt hätten. [Anm d Red: Die RL 92/50/EWG wurde durch die RL 2004/18/EG mit 31. 1. 2006 aufgehoben; diese wird wiederum durch die RL 2014/24/EU mit Wirkung zum 18. 4. 2016 aufgehoben.]

Im vorliegenden Fall unterscheiden sich die Merkmale des Warenlieferungsauftrages (betreffend FSME-Impfstoffe) schon deshalb substanziell von den Anforderungen der Rahmenvereinbarung, weil die Erwartung des rund zehnfachen Warenumsatzwerts bezogen auf nur eine von drei Standortkategorien zu einer erheblich anderen Kalkulation führen wird als die Zugrundelegung der aufgrund der Rahmenvereinbarungsbedingungen in Aussicht stehenden Umsätze.

Während die Rahmenvereinbarungsbedingungen überdies den Auftragnehmer zu einer in Hinblick auf Ware, Umfang und Termin flexiblen Belieferung einer Vielzahl von Standorten verpflichten, erlaubt die abgerufene Lieferung des Impfstoffbedarfs für eine jährliche Impfaktion grundsätzlich eine langfristige Planung und führt zu einem kalkulierbaren Warenumsatz innerhalb einer kurzen Zeitspanne.

Es ist daher davon auszugehen, dass bereits diese unterschiedlichen Anforderungen im Falle einer Ausschreibung des benötigten FSME-Impfstoffes einen zumindest stark veränderten Bieterkreis im Vergleich zur Rahmenvereinbarung zur Folge gehabt hätten, weshalb die Vergabe der verfahrensgegenständlichen Lieferaufträge auf Basis der Rahmenvereinbarung wegen der damit verbundenen substanziellen Änderung gegen § 152 Abs 1 BVergG 2006 verstieß.

Rückabwicklung bei Vertragsaufhebung

Eine Nichtigerklärung nach § 334 Abs 2 erster Satz BVergG 2006 hat nur zu erfolgen, wenn in diesem Absatz und in den Abs 4 und 5 leg cit nicht anderes bestimmt ist.

§ 334 Abs 4 BVergG 2006 bestimmt, dass das Bundesvergabeamt [nunmehr: Bundesverwaltungsgericht] auszusprechen hat, dass der Vertrag nur soweit aufgehoben wird, als Leistungen noch ausständig oder erbrachte Leistungen noch ohne Wertverminderung rückstellbar sind, wenn die erbrachte Leistung oder ein erbrachter Leistungsteil nicht mehr oder nur wertvermindert zurückgestellt werden kann.

Auch wenn das in § 334 Abs 2 zweiter Satz BVergG 2006 normierte Absehen von der Nichtigerklärung des Vertrages im Oberschwellenbereich von einem darauf gerichteten Antrag des Auftraggebers abhängig ist, verlangt § 334 Abs 4 BVergG 2006 für das mit der bloß teilweisen Aufhebung des Vertrages einhergehende Absehen von seiner Nichtigerklärung keinen Antrag des Auftraggebers. Andernfalls könnte das (willkürliche) Unterlassen der entsprechenden Antragstellung durch den Auftraggeber, der die Leistung aus dem Vertrag erhalten hat und nicht mehr zurückstellen kann, auch die Verhängung der alternativen Sanktion der Geldbuße verhindern. Dies würde Art 2d Abs 2 iVm Art 2e Abs 1 RechtsmittelRL 89/665/EWG (RechtsM-RL) widersprechen, wonach für den Fall, dass die Wirkung der Aufhebung auf die Verpflichtungen beschränkt ist, die noch zu erfüllen sind, dafür Sorge zu tragen ist, dass alternative Sanktionen Anwendung finden, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 334 Abs 4 BVergG 2006 betreffend das Nichtvorliegen der Möglichkeit der Zurückstellung der Leistung gegeben sind, sind in rechtlicher Hinsicht die Vorschriften des Zivilrechts betreffend die Rückabwicklung nach Nichtigerklärung eines Vertrages wegen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot gem § 879 Abs 1 ABGB heranzuziehen. Die Rechtsfolgen entsprechen jenen der Kondiktion nach den §§ 1431 und 1437 ABGB.

Der Leistungsgegenstand mag im Fall der Lieferung von FSME-Impfstoff durch generelle Merkmale festgelegt sein und daher zunächst eine Gattungsschuld darstellen. Spätestens mit dem Zeitpunkt der Erfüllung tritt jedoch die Konzentration (oder Konkretisierung) der Gattungsschuld ein, was dazu führt, dass diese nunmehr als Stückschuld behandelt wird. Damit hat im Falle einer auf Wiederherstellung des vorigen Zustands in Natur gerichteten Kondiktion der Empfänger einer unbegründet erlangten Sache diese zurückzugeben, was für Gattungssachen aber nur solange gilt, als diese unterscheidbar im Machtbereich des Empfängers vorhanden sind.

Im vorliegenden Fall wurden Teile der gelieferten FSME-Impfstoffe verabreicht. Die verfahrensgegenständliche Warenlieferung wurde durch die Erfüllung konkretisiert und ist von diesem Zeitpunkt an als Stückschuld zu behandeln. Diese Stücke befinden sich aufgrund ihrer Verabreichung an die Patienten nicht mehr im Machtbereich des Empfängers und können nicht zurückgestellt werden. Die Rückstellung eines Teiles der erbrachten Leistung ist daher iSd § 334 Abs 4 BVergG 2006 nicht möglich, weshalb im Umfang der Erfüllung der Verträge von der Aufhebung abzusehen ist.

Geldbuße

Art 2e Abs 1 der Rechtsmittel-RL (RL 89/665/EWG idF RL 2007/66/EG) verlangt als Rechtsfolge der festgestellten Vergaberechtswidrigkeit die Unwirksamkeit des betreffenden Vertrages oder die Verhängung einer alternativen Sanktion. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 334 Abs 4 erster Halbsatz BVergG 2006 ist nicht mit Nichtigerklärung (ex tunc) des Vertrages iSd § 334 Abs 2 erster Satz BVergG 2006 vorzugehen, sondern der Vertrag nur soweit aufzuheben, als Leistungen noch ausständig sind oder erbrachte Leistungen ohne Wertminderung rückstellbar sind. In dem Umfang des missbilligten Vertrages, der einer Rückabwicklung nicht zugänglich ist, verbleibt als einzige Sanktionsmöglichkeit des rechtswidrigen Verhaltens des Auftraggebers die Verhängung einer Geldbuße. Um den Anforderungen der RechtsmittelRL gerecht zu werden, ist daher auch dieser Fall unter § 334 Abs 7 BVergG 2006 zu subsumieren und insoweit mit der Verhängung der Geldbuße vorzugehen. Für den Auftraggeber verbleibt in diesem Fall keine Wahlmöglichkeit (vgl auch RV 327 BlgNR 24. GP, 38).

Mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen bedarf es keines auf die Verhängung einer Geldbuße abzielenden Antrags der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren und die Vergabekontrollbehörde muss dem Auftraggeber auch nicht explizit eine Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen.

Die Festsetzung einer Geldbuße ist eine Ermessensentscheidung, bei der neben den gesetzlichen Bemessungsfaktoren die Umstände des Einzelfalls und der Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Es handelt sich um eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände, nicht um das Ergebnis einer schlichten Rechenoperation.

Voraussetzung für die rechtmäßige Ausübung des Ermessens ist, dass der Sachverhalt in den für die Ermessensübung maßgebenden Punkten ordnungsgemäß und hinreichend vollständig ermittelt wurde.

Um die Überprüfbarkeit des bei der Ausmessung der Geldbuße geübten Ermessens zu gewährleisten, hat die Behörde ausgehend von konkreten Feststellungen zu den Sachverhaltsgrundlagen, die in die Ermessensentscheidung erschwerend oder mildernd einfließen, darzulegen, weshalb die Höhe der im Einzelfall verhängten Geldbuße den gesetzlichen Anforderungen des § 334 Abs 7 BVergG 2006 betr Wirksamkeit, Angemessenheit und Eignung zur Abschreckung entspricht.

Gemäß § 334 Abs 7 BVergG 2006 beträgt die Höchstgrenze für die zu verhängende Geldbuße im Oberschwellenbereich 20 % der Auftragssumme. Als Auftragssumme ist die Summe aus Gesamtpreis zuzüglich Umsatzsteuer (vgl § 2 Z 26 lit a BVergG 2006) des vergebenen Vertrages oder auch Vertragsteiles (bei teilweisem Absehen von der Aufhebung des Vertrages iSd § 334 Abs 4 BVergG 2006) zu verstehen. Die an der jeweiligen Auftragssumme orientierte Höchstgrenze des Ermessensspielraums für die Behörde ist ein unverzichtbarer Parameter für die Ausmittlung der Geldbuße.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19545 vom 22.05.2015