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Verwendung des Kreuzes bei Versammlungen

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

EMRK: Art 9, Art 11

VslgG: § 6

Die Verwendung des Kreuzes bei Versammlungen (hier: eines Vereins von Tierschützern am Karsamstag vor Kirchen) ist als Mittel zu Kritik und Diskurs zulässig.

Überschreitet der Einsatz dieses Mittels die von § 188 StGB (Herabwürdigung religiöser Lehren) normierte Schwelle, dann ist die Gefährdung auch des öffentlichen Wohls iSd § 6 VslgG gegeben und die Untersagung einer derartigen Kundgebung nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Für eine zulässige Untersagung der Versammlung reicht es jedoch nicht aus, diese bloß auf den Einsatz eines Kreuzes als Symbol in örtlicher Nähe von Kirchen und die dadurch möglicherweise hervorgerufene „Verstörung“ von Kirchenbesuchern zu stützen (hier: Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Verletzung von Strafgesetzen verneint).

VfGH 11. 3. 2015, E 717/2014

Entscheidung

Zudem hat der VfGH zusammengefasst (unter Beachtung der Rsp des EGMR) ua Folgendes ausgesprochen:

-Der Karsamstag und die an diesem Tag traditionellen christlichen Feierlichkeiten sind ebenso wie das Totengedenken zu Allerheiligen als religiöser Gebrauch durch Art 9 EMRK grundrechtlich geschützt. Diese Religionsausübungsfreiheit gegen gezielte Störungen durch Dritte zu schützen, ist der Staat verpflichtet.
-Diese Verpflichtung des Staates kann nach Lage des Falles - nach der gem Art 11 Abs 2 EMRK verpflichtend vorgesehenen Durchführung der Interessensabwägung - auch zur Untersagung einer Versammlung bzw Kundgebung führen. Bei widerstreitenden Interessen haben die zuständigen Behörden eine Interessensabwägung verpflichtend durchzuführen.
-Nach der Judikatur des EGMR ist gem Art 9 EMRK unter dem Titel „Religionsausübungsfreiheit“ auch der Schutz religiöser Gefühle vor Beleidigung durch Dritte zu verstehen.
Dem EGMR geht es in seinen Urteilen aber nicht oder gerade nicht um Beschränkungen inhaltlicher Kritik, sondern bloß um die Art und Weise, wie diese inhaltliche Kritik vorgetragen wird. Es scheint ihm gerade darum zu gehen, dass nicht nur subjektive Empfindungen einzelner Personen geschützt werden, sondern vielmehr darum, ob durch eine Versammlung, die zeitgleich mit der Ausübung der Religionsfreiheit gem Art 9 EMRK erfolgt, der „religiöse Friede“ insgesamt gefährdet wird.
Die Gefährdung des „religiösen Friedens“ will der EGMR in einem weiten Sinn verstanden wissen, nämlich der Gefährdung der Aufrechterhaltung der Ordnung des Gemeinschaftslebens (vgl dazu Grabenwarter in ZaöRV 1995, 128 [149]).
-Bei der Untersagung von Versammlungen zudem auch sämtliche Aspekte des Einzelfalles zu prüfen. Dann und nur dann kann die Untersagung gerechtfertigt sein.
-Der VfGH hat in seinem Erkenntnis VfSlg 19.349/2011 = VfGH 9. 3. 2011, G 287/09 = LN Rechtsnews 10764 vom 16. 3. 2011 (Anbringung von Kreuzen in NÖ Kindergärten) festgehalten, dass das „Kreuz […] ohne Zweifel zu einem Symbol der abendländischen Geistesgeschichte geworden“ ist, aber die „Deutung des Symbols des Kreuzes dahingehend, dass es als Ausdruck eines Staatskirchentums verstanden werden kann,“ ausscheidet.
Dies beachtend und unter der Maßgabe, dass in einem demokratischen, von der Freiheit der Ausübung aller Grundrechte geprägten Rechtsstaat sichergestellt sein muss, dass Überzeugungen im Rahmen der Gesetze Ausdruck verliehen werden kann, geht der VfGH daher davon aus, dass auch die Verwendung des Kreuzes bei Versammlungen als Mittel zu Kritik und Diskurs zulässig ist. Überschreitet der Einsatz dieses Mittels die von § 188 StGB normierte Schwelle, dann ist die Gefährdung auch des öffentlichen Wohls iSd § 6 VslgG gegeben und die Untersagung einer derartigen Kundgebung nicht nur zulässig, sondern sogar geboten.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19301 vom 14.04.2015