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VfGH: BWG – Verhängung hoher Geldstrafen durch die FMA

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

B-VG: Art 91

BWG: § 99d

Der VfGH hält seine bisherige Judikatur zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts vor dem Hintergrund des Art 91 B-VG mit dem bisherigen Inhalt nicht mehr aufrecht: Sie wird der Vielfalt an möglichen Sachverhalten nicht (mehr) gerecht und die Höhe der angedrohten Sanktion (Geldstrafe) allein erscheint dem VfGH nicht (mehr) als taugliches Mittel für die Abgrenzung. Außerdem hat das Rechtsschutzgefüge der Bundesverfassung durch die Schaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz mit den vollen richterlichen Unabhängigkeitsgarantien insgesamt eine tiefgreifende Veränderung erfahren.

Dies bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber künftig gänzlich frei darin wäre, welchem Organ er die Zuständigkeit zur Verhängung von Strafen überträgt. Verfassungsrechtliche Grenzen, die in diesem Zusammenhang beachtet werden müssen, ergeben sich auch weiterhin insb aus den spezifischen Zuständigkeiten der Schöffen- und Geschworenengerichte gem Art 91 Abs 2 und 3 B-VG, aus dem BVG vom 29. 11. 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684, sowie aus dem Sachlichkeitsgebot, das aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließt und exzessiven Strafdrohungen entgegensteht.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Gesetzgeber durch Art 91 B-VG nicht verpflichtet ist, Verfahren über die Verhängung der in § 99d BWG angedrohten Geldstrafen angesichts deren spezifischer Funktion im gerichtlichen Strafrecht und im Verwaltungsstrafrecht in die Zuständigkeit der ordentlichen (Straf-)Gerichte zu übertragen. Damit ist den verfassungsrechtlichen Bedenken des BVwG der Boden entzogen.

VfGH 13. 12. 2017, G 408/2016 ua

Ausgangslage

Die Entscheidung betrifft Anfechtungsanträge des BVwG zu § 99d BWG wegen eines möglichen Verstoßes gegen Art 91 B-VG; va der Strafrahmen (höchstmögliche Strafhöhe von € 3.135.494,83 pro Verstoß) erscheint dem BVwG zu hoch (auch unter Berücksichtigung des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafverfahren), als dass die Verhängung solcher Strafen der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit entzogen sein sollte (vgl ua BVwG 21. 11. 2016, W 230 2138107-1).

Entscheidung

Abstellen nur auf Strafdrohung nicht ausreichend

Der VfGH geht weiterhin davon aus, dass die Ahndung bestimmter Straftaten gem Art 91 Abs 2 und 3 B-VG der Zuständigkeit der Schöffen- und Geschworenengerichte vorbehalten ist. Im Übrigen hält aber der VfGH seine auf Art 91 B-VG gestützte Rsp zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts (unterhalb der Schöffen- und Geschworenengerichtsbarkeit; vgl zB VfSlg 12.151/1989) mit dem bisherigen Inhalt nicht aufrecht:

Die durch diese Rsp vorgenommene Grenzziehung zwischen dem gerichtlichen Strafrecht und dem Verwaltungsstrafrecht wird der Vielfalt an möglichen Sachverhalten nicht (mehr) gerecht:

-Zum Ersten überzeugt nicht, dass die Zuständigkeitsabgrenzung ausschließlich nach dem Kriterium der Strafdrohung zu erfolgen hat; dies gilt sowohl innerhalb der Strafgerichtsbarkeit als auch für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts (vgl Burgstaller, Art 91 Abs 2 und 3 B-VG, in Korinek/Holoubek ua [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 43).
-Zum Zweiten lässt das alleinige Abstellen auf die Obergrenze der angedrohten Geldstrafe für die Zuordnung zu einem der beiden Vollzugsbereiche die unterschiedliche Funktion der Geldstrafe im gerichtlichen und im Verwaltungsstrafrecht sowie die mit ihrer Verhängung jeweils einhergehenden Folgen außer Acht.
-Zum Dritten kann die schematische Orientierung an der für die Straftat vorgesehenen Obergrenze der angedrohten Geldstrafe nicht die Unterschiede zwischen juristischen und natürlichen sowie zwischen vermögenden und weniger vermögenden Personen erfassen und damit letztlich nur ein unzureichendes Urteil über die „Schwere“ einer Strafe bieten.
-Zum Vierten werden in der bisherigen Rsp des VfGH die vom Gesetzgeber mit der Zuordnung verbundenen rechtspolitischen Zielsetzungen – allen voran jene der Stigmatisierung und der Entkriminalisierung – nicht zureichend berücksichtigt.

Dadurch erweist sich die Höhe der angedrohten Sanktion im Ergebnis als kein taugliches Mittel für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts (vgl auch Miklau in ÖJZ 1991, 361).

Geändertes Rechtsschutzgefüge durch Verwaltungsgerichte

Im Übrigen hat das Rechtsschutzgefüge der Bundesverfassung durch die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz mit der Novelle BGBl I 2012/51 insgesamt eine tiefgreifende Veränderung erfahren:

Mit dieser Novelle schuf der (Verfassungs-)Gesetzgeber Verwaltungsgerichte erster Instanz, deren Mitglieder gem Art 134 Abs 7 B-VG Richter sind. Diese Richter genießen – ebenso wie die Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit – die richterlichen Garantien des Art 87 Abs 1 und 2 bzw Art 88 Abs 1 und 2 B-VG (Art 134 Abs 7 B-VG; vgl auch die Entschließungen zum AB 1771 BlgNR 24. GP, in denen ua ein einheitliches Richterbild gefordert wird; weiters VfSlg 19.825/2013).

Durch die Einräumung der richterlichen Garantien unterscheiden sich die Verwaltungsgerichte erster Instanz grundsätzlich von den zuvor bestehenden Rechtsschutzeinrichtungen in Gestalt der Unabhängigen Verwaltungssenate: Letztere waren Berufungsbehörden, die nur mit bestimmten, nicht aber mit den vollen richterlichen Unabhängigkeitsgarantien ausgestattet waren und die auch nicht der Staatsfunktion Gerichtsbarkeit zuzuordnen waren, sondern jener der Verwaltung (AB 817 BlgNR 17. GP, 4 f.).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24756 vom 05.01.2018