News

VfGH: Erkennungsdienstliche Behandlung – Rechtsschutz

B-VG Art 136

SPG § 77

Der Materiengesetzgeber darf Regelungen betreffend das Verfahren der Verwaltungsgerichte nur vorsehen, wenn sie entweder zur Regelung des Gegenstandes iSd Art 136 Abs 2 B-VG erforderlich sind oder soweit das VwGVG als kodifizierendes Bundesgesetz iSd Art 136 Abs 2 B-VG dazu ermächtigt; eine solche Ermächtigung ist in § 58 Abs 2 und 3 VwGVG mangels einer vom Gesetzgeber beabsichtigten umfassenden Freistellung von der Prüfung am Erforderlichkeitsmaßstab nicht zu erblicken. Das Kriterium, dass durch Bundes- oder Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind, entspricht jenem des Art 11 Abs 2 letzter Halbsatz B-VG. Vom VwGVG abweichende Regelungen dürfen daher nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes „unerlässlich“ sind.

Der in § 77 Abs 2 erster Satz zweiter Halbsatz SPG vorgesehene, von den Regelungen der §§ 13 und 22 VwGVG abweichende generelle Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung erfüllt das Kriterium der Erforderlichkeit nicht. Der VfGH hat daher § 77 Abs 2 erster Satz zweiter Halbsatz SPG, BGBl 1991/566 idF BGBl I 2013/16, als verfassungswidrig aufgehoben.

VfGH 2. 12. 2014, G 148/2014

Entscheidung:

Schon nach der bisherigen Rsp des VfGH sind von den allgemeinen Bestimmungen der Verfahrensgesetze abweichende Regelungen überhaupt nur dann zulässig, wenn sie nicht anderen Verfassungsbestimmungen, etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechen (vgl VfSlg 15.218/1998, 17.340/2004); in dieser Hinsicht hat – so der VfGH – die durch Art 136 Abs 2 letzter Satz B-VG geschaffene Rechtslage auch nichts geändert.

Dieser Anforderung wird aber der in § 77 Abs 2 erster Satz zweiter Halbsatz SPG enthaltene generelle Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht gerecht. Dazu der VfGH:

„Da das Landesverwaltungsgericht nicht befugt ist, im Verfahren gegen die bescheidmäßige Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, muss der von der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene – anders als nach der alten Rechtslage – die erkennungsdienstliche Behandlung vorerst jedenfalls hinnehmen, selbst dann, wenn im Einzelfall [...] der damit verbundene Eingriff in seine Rechte potentiell auf einer rechtswidrigen behördlichen Entscheidung beruht. Durch diese angefochtene Regelung wird der Rechtsschutzsuchende mit dem Rechtsschutzrisiko in einem besonders grundrechtssensiblen Bereich (vgl VfGH 23. 6. 2014, G 90/2013, LN Rechtsnews 17771 vom 1. 8. 2014) bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung einseitig belastet.

Der VfGH übersieht dabei nicht, dass es Fälle gibt, bei denen das öffentliche Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr die sofortige Vollstreckung einer erkennungsdienstlichen Behandlung rechtfertigt. Diesem öffentlichen Interesse wird jedoch bereits mit der Möglichkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung durch die anordnende Behörde unter den Voraussetzungen des § 13 Abs 2 VwGVG entsprochen, sodass bei entsprechender Gefahrenprognose auch die mögliche Entstehung oder Fortsetzung eines rechtswidrigen Zustandes (siehe hiezu VfSlg 17.346/2004) etwa in Form der Begehung schwerer Straftaten nicht hingenommen werden muss und es somit einer abweichenden Regelung nicht bedarf (vgl im Übrigen die Ermächtigung des § 77 Abs 2 letzter Satz SPG). Da diese rechtliche Möglichkeit hinreicht, ist der generelle Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht erforderlich (vgl auch VfSlg 15.218/1998).“

Hinweis:

Kundmachung der Aufhebung erfolgte in BGBl I 2014/97.

Bearbeiterin: Sabine Kriwanek

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18724 vom 09.01.2015