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VfGH: Freiwillige Abfertigung – steuerliche Deckelung zulässig

Bearbeiter: Birgit Bleyer / Bearbeiter: Barbara Tuma

EStG: § 67 Abs 3 und Abs 6 idF BGBl I 2014/13

AngG: § 23

BMSVG: § 47 Abs 3, § 73 Abs 7

Mit dem AbgÄG 2014, ARD 6384/18/2014, wurde in § 67 Abs 6 EStG eine Beschränkung der begünstigten Besteuerung freiwilliger Abfertigungen vorgenommen, indem eine „Deckelung“ eingeführt wurde, die – sowohl bei der „Viertelregelung“ als auch bei der „Zwölftelregelung“ – auf ein Vielfaches der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gem § 108 ASVG abstellt. Gegen diese Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil – durch das Anknüpfen an ein Vielfaches der Höchstbeitragsgrundlage – der Versorgungs- bzw Überbrückungscharakter einer freiwilligen Abfertigung unberührt bleibt und die Progressionsverschärfung – selbst bei Überschreiten der Grenzen des § 67 Abs 6 Z 1 und Z 2 EStG – immer noch hinreichend berücksichtigt wird.

Dem Gesetzgeber kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn er die freiwillige Abfertigung nicht im selben Ausmaß steuerlich entlastet, wie eine gesetzlich vorgesehene Abfertigung: Die arbeitsrechtliche Regelung des Abfertigungsanspruchs in § 23 AngG dient dem Schutz des weisungsgebundenen Arbeitnehmers und soll dessen Versorgung für die Zeit nach Auflösung des Dienstverhältnisses absichern.

VfGH 9. 10. 2017, E 2536/2016

Ausgangsfall

Zu BFG 12. 2. 2016, RV/5100292/2015, siehe Rechtsnews 21960.

Der Beschwerdeführer war seit 1989 Vorstand einer Aktiengesellschaft. Anlässlich seines Ausscheidens aus dem Unternehmen im Jahr 2014 wurde ihm eine freiwillige Abfertigung im System der „Abfertigung alt“ ausbezahlt und (teilweise; nämlich iHv € 203.850,–) gemäß § 67 Abs 6 EStG idF des AbgÄG 2014 dem begünstigten Steuersatz von 6 % unterzogen. Der andere Teil des Betrages (iHv € 270.235,04) wurde hingegen gemäß § 67 Abs 6 EStG idF des AbgÄG 2014 nach dem regulären Einkommensteuertarif versteuert.

Maßgebliche rechtliche Grundlagen

Unter freiwilligen Abfertigungen sind solche zu verstehen, die nicht aufgrund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Vorschriften (oder sonstiger in § 67 Abs 3 EStG angeführter Dienstordnungen) zu leisten sind oder die die gesetzliche oder kollektivvertragliche Höhe übersteigen.

Die Begünstigung nach § 67 Abs 6 Z 1 EStG besteht darin, dass die freiwillige Abfertigung im Ausmaß von einem Viertel der laufenden Bezüge mit dem festen Steuersatz von 6 % zu versteuern ist (Viertelregelung). Seit dem AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13, ist die Begünstigung nach Z 1 mit dem Neunfachen der Höchstbeitragsgrundlage gem § 108 ASVG begrenzt.

Über die Viertelregelung hinaus enthält § 67 Abs 6 Z 2 EStG eine zusätzliche Begünstigung in Abhängigkeit von der nachgewiesenen Dienstzeit (gestaffelt von 2/12 bei einer Dienstzeit von 3 Jahren bis zu 12/12 bei einer Dienstzeit von 25 Jahren; Zwölftelregelung). Auch diese Begünstigung hat der Gesetzgeber mit dem AbgÄG 2014 eingeschränkt: Ergibt sich bei Anwendung der dreifachen monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gem § 108 ASVG auf die der Berechnung zugrunde zu legende Anzahl der laufenden Bezüge ein niedrigerer Betrag, ist nur dieser Betrag mit 6 % zu versteuern.

Soweit die Grenzen nach Z 1 und Z 2 des § 67 Abs 6 EStG überschritten werden, sind diese sonstigen Bezüge wie ein laufender Bezug im Zeitpunkt des Zufließens nach dem Lohnsteuertarif des jeweiligen Kalendermonats der Besteuerung zu unterziehen.

Entscheidung

Nach Ansicht des VfGH hat der Gesetzgeber seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Durch das Anknüpfen der Begünstigung des § 67 Abs 6 EStG an ein Vielfaches der Höchstbeitragsgrundlage gem § 108 ASVG bleibt der Versorgungs- bzw Überbrückungscharakter einer freiwilligen Abfertigung unberührt und die Progressionsverschärfung wird hinreichend berücksichtigt: Wenn nur ein Teil der Abfertigung begünstigt besteuert wird, tritt dadurch doch insgesamt auf die gesamte Abfertigung bezogen eine Milderung der Durchschnittsbelastung ein.

Keine unzulässige Ungleichbehandlung gegenüber GmbH-Geschäftsführern

Weiters beschäftigt sich der VfGH ausführlich mit dem Vorbringen des Bf, wonach Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft gegenüber GmbH-Geschäftsführern unzulässig benachteiligt würden. Vorstandsmitglieder sind nicht Arbeitnehmer iSd Arbeitsrechts und haben daher keinen gesetzlichen Abfertigungsanspruch nach § 23 AngG.

Den Argumenten des Bf hält der VfGH va entgegen:

-GmbH-Geschäftsführer, die nicht wesentlich beteiligt sind und im Fall des Bestehens einer gesellschaftsvertraglichen Sonderbestimmung weisungsungebunden sind, haben mangels Bestehens einer Arbeitnehmereigenschaft keinen Anspruch auf Abfertigung gem § 23 AngG; ihre Abfertigungen unterliegen ebenfalls als freiwillige Abfertigungen der Besteuerung nach § 67 Abs 6 EStG. Insoweit besteht also keine Ungleichbehandlung.
-Eine Ungleichbehandlung besteht zwar hinsichtlich weisungsgebundenen GmbH-Geschäftsführern, die Arbeitnehmer iSd AngG sind und deren gesetzliche Abfertigung gem § 23 AngG der Besteuerung zu einem Steuersatz von 6 % ohne Beschränkungen unterliegt, wohingegen die Abfertigung für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft den Beschränkungen des § 67 Abs 6 EStG unterliegt, selbst wenn sie dem Anspruch gem § 23 AngG sowohl dem Grunde wie auch der Höhe nachgebildet ist. Vor dem Hintergrund des arbeitsrechtlichen Hintergrunds des Abfertigungsanspruches gem § 23 AngG (Schutz des weisungsgebundenen Arbeitnehmers durch Absicherung seiner Versorgung für die Zeit nach Auflösung des Dienstverhältnisses) kann dem Gesetzgeber aber nach Ansicht des VfGH nicht entgegengetreten werden, wenn er die freiwillige Abfertigung nicht im selben Ausmaß steuerlich entlastet, wie eine gesetzlich nach § 23 AngG vorgesehene Abfertigung. Auch wenn die freiwillige Abfertigung in Anlehnung an § 23 AngG vereinbart sein sollte, indiziert das Nichtbestehen eines gesetzlichen Anspruchs bei Auflösung, dass einer solchen Abfertigung infolge Bestehens einer Weisungsungebundenheit nicht jener Versorgungszweck zukommt wie im Fall einer bestehenden Weisungsbindung.

Zulässige Differenzierung bei Vorstandsmitgliedern

Nach § 73 Abs 7 BMSVG unterliegen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften grundsätzlich seit 1. 1. 2008 dem „neuen“ Abfertigungsrecht. Damit kommt die Begünstigung des § 67 Abs 3 fünfter Satz EStG nunmehr auch für Vorstandsmitglieder einer AG ohne Einschränkungen zur Anwendung; Abfertigungen aus Betrieblichen Vorsorgekassen werden generell gleich behandelt.

Auch in diesem Zusammenhang kann der VfGH keine unsachliche Ungleichbehandlung von Vorstandsmitgliedern mit „Alt-Verträgen“ und jenen Vorstandsmitgliedern erkennen, die infolge Abschlusses des freien Dienstvertrages nach dem 31. 12. 2007 dem System der „Abfertigung neu“ unterliegen:

Die Ausdehnung des Systems der „Abfertigung neu“ auf Vorstandsmitglieder einer AG, freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG sowie auf Personen, die der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG unterliegen (Selbständigenvorsorge), liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und es lässt sich hieraus kein Anspruch ableiten, die steuerliche Begünstigung für Auszahlungen aus der Betrieblichen Vorsorgekasse auf Abfertigungen auszudehnen, die nicht dem System der „Abfertigung neu“ unterliegen. Auszahlungen aus der Betrieblichen Vorsorgekasse unterliegen nämlich einem besonderen Regime, das darauf abzielt, durch Wahl des Beitragssatzes und eines entsprechenden steuerlichen Rahmens zu gewährleisten, dass unter Zugrundelegung der Lebensarbeitszeit bei entsprechender Verzinsung ein Kapital angespart werden kann, das einen generellen Versorgungszweck (auch im Fall der Dienstnehmerkündigung) absichert.

Vor dem Hintergrund der Zielsetzungen der Regelung kann der VfGH auch nicht erkennen, dass der Gesetzgeber anlässlich der Erweiterung des Systems „Abfertigung neu“ auf Vorstandsmitglieder verpflichtet gewesen wäre, für die bestehenden Verträge die Möglichkeit eines Übertritts in das neue System vorzusehen. Der VfGH sieht hier auch keine unsachliche Benachteiligung gegenüber Arbeitnehmern, denen § 47 BMSVG die Möglichkeit zum vollen Übertritt in das System „Abfertigung neu“ für bestehende Dienstverhältnisse eröffnet hat, zumal hiedurch in einer besonderen Weise dem schutzwürdigen Interesse der Arbeitnehmer Rechnung getragen werden sollte, Schwächen des alten Abfertigungsrechtes zu eliminieren.

Kein Verstoß gegen Vertrauensschutz

Auch wenn die Begünstigung für die Versteuerung freiwilliger Abfertigungen nach § 67 Abs 6 EStG plötzlich und ohne Übergangsvorschrift beschränkt wurde und Steuerpflichtige in der Vergangenheit möglicherweise Vereinbarungen über eine freiwillige Abfertigung in Erwartung des unveränderten Fortbestandes der Rechtslage abgeschlossen haben, hat der Gesetzgeber nach Ansicht des VfGH mit der Neuregelung jedoch nicht rückwirkend in bestehende Rechtspositionen eingegriffen: Der zeitliche Geltungsbereich von § 67 Abs 6 EStG erstreckt sich gem § 124b Z 256 EStG nur auf Auszahlungen, die nach der Erlassung dieser Bestimmung liegen, und aus der Verfassung ist keine allgemeine Garantie dafür abzuleiten, dass sich erwartete Vorteile zukünftig auch aufgrund geänderter Rechtslage tatsächlich realisieren.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24542 vom 23.11.2017