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VfGH: Meldung eines verantwortlichen Beauftragten

Bearbeiter: Barbara Tuma

ArbIG § 23

B-VG Art 7

Zur Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten iSd § 9 Abs 2 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften reicht die entsprechende Meldung an das „zuständige“ Arbeitsinspektorat aus, dh an das Arbeitsinspektorat, das gem § 15 ArbIG für die Betriebsstätte oder für die Arbeitsstelle des Unternehmens örtlich zuständig ist. Die Bestellung nach § 9 Abs 2 VStG soll nämlich bloß für die Behörden nachvollziehbar und manipulationssicher erfolgen, was durch die (eine) Verständigung gewährleistet ist. Die Bestellung ist damit für jedes andere Arbeitsinspektorat und für jede Strafbehörde im Nachhinein jederzeit leicht feststellbar und nachvollziehbar.

Selbst wenn daher - wie hier - ein Reinigungsunternehmen wegen Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften bei Durchführung von Reinigungsarbeiten zum Abschluss einer Baustelle vom Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten angezeigt wird, sind nicht die handelsrechtlichen Geschäftsführer des Unternehmens zu bestrafen, wenn das Reinigungsunternehmen seinem örtlich zuständigen Arbeitsinspektorat ordnungsgemäß die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gemeldet hat.

VfGH 1. 12. 2016, E 2176/2015, E 2177/2015

Sachverhalt

Die Bf sind Geschäftsführer eines Reinigungsunternehmens, das in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird und seinen Sitz im 2. Wiener Gemeindebezirk hat. Bei Reinigungsarbeiten zum Abschluss einer Baustelle auf einem Glasdach stürzte ein Arbeitnehmer ab und verletzte sich. Aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorats für Bauarbeiten wurden die Bf daraufhin vom Magistrat der Stadt Wien wegen Verletzung des § 130 Abs 5 Z 1 ASchG iVm § 87 Abs 2 und § 160 BauV bestraft.

Das Verwaltungsgericht Wien wies die Beschwerden der Bf ab: Bei den abschließenden Reinigungsarbeiten auf einer Baustelle habe es sich um Bauarbeiten iSd § 2 Abs 3 ASchG gehandelt. Auch wenn daher beim Arbeitsinspektorat des 1. Aufsichtsbezirks, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, ein Prokurist des Unternehmens als verantwortlicher Beauftragter iSd § 9 Abs 2 VStG namhaft gemacht worden sei, sei die rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gem § 23 Abs 1 ArbIG vom Einlangen einer diesbezüglichen Mitteilung beim zuständigen Arbeitsinspektorat abhängig, und dieses sei betreffend Bauarbeiten im Gebiet des 1. bis 6. Aufsichtsbezirks das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten (§ 3 Abs 1 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke und den Wirkungsbereich der Arbeitsinspektorate). Die Bf seien daher als handelsrechtliche Geschäftsführer nicht von ihrer Verantwortung befreit.

Dagegen richten sich die vorliegenden Beschwerden gem Art 144 B-VG.

Entscheidung

Nach Ansicht des VfGH ist aus verfassungsrechtlicher Sicht der Ansicht des VwG Wien nicht zu folgen, wonach die Mitteilung über die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten (auch) an das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten als das „zuständige Arbeitsinspektorat“ iSd § 23 Abs 1 ArbIG zu richten gewesen wäre. Diese Rechtsauffassung des VwG Wien verletzt die Bf in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz:

Dazu hält der VfGH zunächst fest, dass die potenzielle Konkurrenz zweier Arbeitsinspektorate bei Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften auf Baustellen in Wien zwischen dem allgemeinen Arbeitsinspektorat und dem besonderen Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten besteht, darüber hinaus aber generell immer dann, wenn ein Unternehmen Arbeitsstellen außerhalb jenes Aufsichtsbezirks unterhält, in dem sich seine Betriebsstätte befindet (bzw die Betriebsleitung bei mehreren Betriebsstätten bzw Arbeitsstellen).

Bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des VwG Wien würde es von der Zufälligkeit des Einschreitens des allgemeinen oder des besonderen Arbeitsinspektorats abhängen, ob eine Bestrafung der gesetzlichen Vertreter nach § 9 Abs 1 VStG oder des verantwortlichen Beauftragten iSd § 9 Abs 2 VStG zu erfolgen hätte.

Daraus folgt aber nicht die Verfassungswidrigkeit von § 15 Abs 5 ArbIG und § 3 Abs 5 der Verordnung über die Aufsichtsbezirke, die das alternative Einschreiten verschiedener Arbeitsinspektorate zulassen; vielmehr ist § 23 ArbIG anders auszulegen:

§ 23 Abs 1 ArbIG sieht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten vor, dass diese „erst rechtswirksam [wird], nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist“. Schon die Einzahl im Wortlaut der Norm lässt also „die Meldung“ an ein Arbeitsinspektorat (nämlich das „zuständige“) genügen.

Das zuständige Arbeitsinspektorat ist gem § 15 Abs 1 ArbIG jenes, das für die Betriebsstätte oder für die Arbeitsstelle des Unternehmens örtlich zuständig ist. Aus § 15 Abs 2 ArbIG ergibt sich sodann, dass bei einer Tätigkeit des Unternehmens, die die Grenzen eines Aufsichtsbezirks überschreitet, jedenfalls nur ein Arbeitsinspektorat für ein Unternehmen „örtlich zuständig“ sein soll, nämlich jenes, in dessen Aufsichtsbezirk sich die Leitung dieser Betriebsstätte oder Arbeitsstelle befindet, sofern es nicht um spezifische Angelegenheiten geht, die in § 15 Abs 3 ff ArbIG abweichend geregelt sind.

Für den VfGH ist nicht erkennbar, dass demgegenüber der Begriff des „zuständigen Arbeitsinspektorates“ in § 23 Abs 1 ArbIG im Falle des Bestehens wechselnder Arbeitsstellen einen von § 15 Abs 1 und 2 ArbIG abweichenden, jeweils wechselnden Begriffsinhalt hätte, geht es doch bei § 23 ArbIG nur darum, sicherzustellen, dass die Bestellung nach § 9 Abs 2 VStG für die Behörden nachvollziehbar und manipulationssicher vor allfälligen Straftaten erfolgt (vgl dazu auch die ErläutRV 813 BlgNR 18. GP, 31). Diesem Anliegen trägt bei Unternehmen mit zahlreichen Arbeitsstellen die (eine) Verständigung an das für den Sitz der Unternehmensleitung zuständige Arbeitsinspektorat auf eine für jedes andere Arbeitsinspektorat - aber auch für jede Strafbehörde - im Nachhinein jederzeit leicht feststellbare und nachvollziehbare Weise Rechnung.

Nur diese Interpretation stellt aber auch sicher, dass in Konstellationen wie hier potenzielle Adressaten von Strafnormen des Arbeitnehmerschutzes nicht nach Maßgabe des Verwaltungshandelns der Arbeitsinspektorate jeweils verschiedene sein können; eine Konsequenz, die andernfalls zur Unsachlichkeit der Norm führen würde.

Die Gesetzesinterpretation des VwG Wien verstößt daher gegen Art 7 B-VG und es hat somit die Bestrafung der Bf als gesetzliche Vertreter trotz wirksamer Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gem § 9 Abs 2 VStG zu Unrecht bestätigt und dadurch die Bf im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher aufzuheben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23115 vom 14.02.2017