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VfGH: Rechtsschutz bei Schubhaft

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

BFA-VG § 22a

B-VG: Art 18, Art 83, Art 130

§ 22a Abs 1 Z 1 bis Z 3 BFA-VG ordnet eine Form des Rechtsschutzes an, die erfordert, dass hinsichtlich eines oder mehrerer - im Einzelnen in Art 130 B-VG vorgesehener - Beschwerdegegenstände (Schubhaftbescheid, Festnahme oder Anhaltung) ein einheitlicher Beschwerdeschriftsatz eingebracht wird. Nach § 22a Abs 2 BFA-VG hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

§ 22a Abs 1 Z 3 (Schubhaft) und Abs 2 BFA-VG entsprechen nicht den verfassungsgesetzlichen Anforderungen des Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG, weil das Fehlen ausdrücklicher einheitlicher Verfahrensregelungen im Hinblick auf die damit unmittelbar verbundenen zentralen Fragen des Rechtsschutzes dem Gebot der präzisen Regelung nicht genügt.

Die Bestimmungen des § 22a Abs 1 BFA-VG stehen insgesamt in einem untrennbaren Zusammenhang. Der VfGH hat daher diese Bestimmung ebenso wie Abs 2 BFA-VG ( BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/68) zur Gänze als verfassungswidrig aufgehoben.

VfGH 12. 3. 2015, G 151/2014, G 172/2014, G 184-185/2014

Sachverhalt

Hinweis:

Zum Prüfungsbeschluss VfGH 26. 6. 2014, E 4/2014, siehe LN Rechtsnews 17662 vom 15. 7. 2014.

Mit dem zu G 172/2014 protokollierten Antrag begehrte der VwGH, § 22a Abs 1 bis 3 BFA-VG idF BGBl I 2013/68 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit den zu G 184/2014 und G 185/2014 protokollierten Anträgen begehrte der VwGH, § 22a Abs 2 und 3 BFA-VG idF BGBl I 2013/68 als verfassungswidrig aufzuheben.

Entscheidung

Keine klare Regelung zum Verfahrensrecht

Ordnet der Gesetzgeber eine Form des Rechtsschutzes wie in § 22a Abs 1 BFA-VG an, hat er - so der VfGH - gleichzeitig eine klare Regelung hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrensrechts zu treffen.

Während die Vorgängerbestimmung des § 83 Abs 2 FPG durch den Verweis auf die §§ 67c bis 67g sowie § 79a AVG idF BGBl I 2011/100 klargestellt habe, dass in einem Verfahren aufgrund einer Beschwerde gegen Schubhaftbescheid, Festnahme oder Anhaltung ausschließlich das Verfahren über Beschwerden wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzuwenden war, bestimme § 22a BFA-VG indes nicht, welches gemeinsame Verfahren für diese Beschwerde zur Anwendung kommen soll. Aufgrund der gesetzlichen Regelung sei ua nicht klar erkennbar, wo das Rechtsmittel einzubringen ist; dies habe in der Folge auch Bedeutung für die Zuständigkeit.

Gemäß § 22a Abs 1 Z 3 BFA-VG werde letztlich zwar allein das Bundesverwaltungsgericht zur inhaltlichen Entscheidung über die Schubhaftbeschwerde berufen. Das Gesetz enthalte jedoch - vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Entscheidung getroffen hat, eine einheitliche Beschwerde vorzusehen - keine normative Anordnung der Anwendbarkeit des Verfahrensrechts für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

Ohne derartige gesetzliche Regelungen ist aber nach Ansicht des VfGH fraglich, wo Prozesshandlungen einzubringen sind, die sich gegen Schubhaftbescheid, Festnahme und Anhaltung richten, und welche Fristen für die Erhebung der Beschwerde zur Verfügung stehen. Bei Anwendbarkeit des § 14 VwGVG bestünde auch zunächst eine sachliche Zuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur inhaltlichen Behandlung der Beschwerde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung. Die Bestimmbarkeit der Einbringungsstelle habe zudem Auswirkungen auf die Bemessung der verfassungsrechtlich angeordneten Entscheidungsfrist von einer Woche (zum Beginn des Fristenlaufes bei Einlangen einer Schubhaftbeschwerde bei der „zuständigen Behörde“ siehe VfSlg 18.081/2007).

Zusammenfassend hielt der VfGH daher fest, dass das Fehlen ausdrücklicher einheitlicher Verfahrensregelungen im Hinblick auf die damit unmittelbar verbundenen zentralen Fragen des Rechtsschutzes dem Gebot der präzisen Regelung nicht Genüge tut und § 22a Abs 1 Z 3 und Abs 2 BFA-VG den verfassungsgesetzlichen Anforderungen des Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG nicht entsprechen (vgl VfSlg 13.816/1994).

Da die Bestimmungen des § 22a Abs 1 BFA-VG insgesamt in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, war diese Bestimmung ebenso wie Abs 2 leg cit zur Gänze aufzuheben. Ein Eingehen auf die weiteren Bedenken des Prüfungsbeschlusses hinsichtlich § 22a Abs 1 und 2 BFA-VG erübrigte sich daher.

Entscheidung über Anhaltung und Schubhaft

Die im Prüfungsbeschluss des VfGH geäußerte vorläufige Annahme, dass § 22a Abs 3 BFA-VG mit Art 130 B-VG nicht in Einklang stehe, wurden vom VfGH hingegen nicht aufrechterhalten:

§ 22a Abs 3 BFA-VG ordne an, dass das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über eine Schubhaftbeschwerde gem § 22a Abs 1 Z 3 BFA-VG in jenen Fällen, in denen die Anhaltung noch andauert, „in der Sache“ zu entscheiden und dabei Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen hat. Angesichts der besonderen Konstellation der Schubhaft, bei der die einzelnen Akte aufeinander bezogen sind und die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anhaltung im Hinblick auf Art 5 Abs 4 EMRK und Art 6 Abs 1 PersFrSchG auch die Überprüfung der formellen und materiellen Voraussetzungen und damit die Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Bescheides erfordert, begegnete eine derartige Übertragung von Aufgaben keinen verfassungsrechtlichen Bedenken des VfGH. Mit § 22a Abs 3 BFA-VG, der dem Bundesverwaltungsgericht die Aufgabe überträgt, aus Anlass einer Beschwerde gem § 22a Abs 1 Z 3 BFA-VG die Verwaltung zu kontrollieren, werde der verfassungsgesetzliche Rahmen des Art 130 B-VG nicht überschritten.

§ 22a Abs 3 BFA-VG steht mit den Bestimmungen der Abs 1 und Abs 2 leg cit nach Auffassung des VfGH nicht in einem untrennbarem Zusammenhang: Der Bestimmung komme nämlich insofern eine eigenständige normative Bedeutung zu, als sie das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, jedenfalls aus Anlass jeder Beschwerde iZm Schubhaft, sofern die Anhaltung andauert, einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Anhaltung zu treffen.

Hinweis:

Der Volltext der Entscheidung ist derzeit auf der Homepage des VfGH (www.vfgh.gv.at) unter „Aktuelle Informationen“ abrufbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19300 vom 13.04.2015