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VfGH: Verbandsverantwortlichkeit zulässig

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VbVG § 3

Die Verantwortlichkeit einer juristischen Person für (rechtswidriges und schuldhaftes) Verhalten einer natürlichen Person ist aus verfassungsrechtlicher Sicht dann nicht zu beanstanden, wenn ein hinreichender Konnex zwischen der juristischen Person und jenen natürlichen Personen besteht, deren Verhalten ihr zugerechnet wird. Diesen verfassungsrechtlich gebotenen Kriterien entsprechen die Regelungen des § 3 VbVG (Verantwortlichkeit für Entscheidungsträgertat bzw Mitarbeitertat). § 3 VbVG konkretisiert in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise – sowohl den sachlichen Zusammenhang zwischen der Anlasstat und der Sphäre des Verbandes als auch die sachlichen Zurechnungsmerkmale zwischen der Anlasstat und den Verbandsorganen.

In der Ausgestaltung der Verbandsverantwortlichkeit liegt weder eine Zurechnung „fremder“ Schuld noch eine Erfolgshaftung oder eine Schuldvermutung zu Lasten des Verbandes. Vielmehr ergibt sich die Verbandsverantwortlichkeit aus dem dargestellten Zusammenhang von Verband und Führungsebene und dem Umstand, dass der Verband stets nur durch Zurechnung des Handelns der Entscheidungsträger als eines seiner Organe handeln kann.

VfGH 2. 12. 2016, G 497/2015, G 679/2015

Ausgangslage

Eine Gesellschaft sowie das LG Wels hatten die Aufhebung des VbVG bzw seines § 3 (bzw Teilen davon) gefordert. Präjudiziell war nur § 3 VbVG, nicht aber das (gesamte) VbVG. Eine Aufhebung des gesamten Gesetzes wäre lediglich im Fall eines untrennbaren Zusammenhangs sämtlicher Bestimmungen möglich. Ein solcher Zusammenhang wurde hier jedoch nicht dargetan und war für den VfGH auch nicht erkennbar.

Soweit die Anträge § 3 VbVG zum Gegenstand haben, wies sie der VfGH ab, im Übrigen wies er sie als unzulässig zurück.

Entscheidung

Vorbringen der Antragsteller

Verbände sind strafrechtlich zu belangen, wenn deren Entscheidungsträger oder Mitarbeiter, sohin natürliche Personen, die entweder Organfunktion innehaben (Entscheidungsträger – § 2 Abs 1 VbVG) oder Arbeitsleistungen für den Verband erbringen (Mitarbeiter – § 2 Abs 2 VbVG), rechtswidrig und schuldhaft handeln und dieses Verhalten dem Verband nach den Kriterien des § 3 Abs 1 VbVG zuzurechnen ist.

Vor diesem Hintergrund behaupten die Antragsteller zunächst einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot (Art 7 B-VG) und das daraus abzuleitende Schuldprinzip („eines der wesentlichen Aufbauprinzipien einer rechtsstaatlichen Strafrechtsordnung“), weil der Verband bei Straftaten eines Entscheidungsträgers gem § 3 Abs 2 VbVG für die Schuld eines anderen einzustehen habe und für diese sanktioniert werde, wobei nicht einmal ein Organisations- oder Auswahlverschulden des belangten Verbandes vorliegen müsse. Auch sei es unsachlich, dass Verbände für Vorsatzdelikte ihrer Entscheidungsträger einzustehen hätten, obwohl die Verbandsverantwortlichkeit in den Gesetzesmaterialien mit dem Vorwurf der Fahrlässigkeit begründet werde.

Bei der Verantwortlichkeit für Straftaten von Mitarbeitern werde nach § 3 Abs 3 Z 2 VbVG auf das Verhalten eines Entscheidungsträgers abgestellt, wodurch ebenfalls eine verfassungsrechtlich verpönte Zurechnung fremden Handelns erfolge. Auch in diesem Zusammenhang fehle der Regelung insoweit die Sachlichkeit, als dem Verband im Fall einer Vorsatztat des Mitarbeiters gem Z 1 vorsätzliches Handeln angelastet werden könne, während auf Entscheidungsträgerebene gem § 3 Abs 3 Z 2 VbVG bloß Fahrlässigkeitskomponenten verlangt würden.

Hinreichender Konnex

Dieser Argumentation folgt der VfGH nicht und hält fest, dass die Regelungen des § 3 VbVG den verfassungsrechtlich gebotenen Kriterien betreffend den hinreichenden Konnex zwischen der juristischen Person und den natürlichen Personen entsprechen.

Die Verbandsverantwortlichkeit hängt nämlich in beiden Fallkonstellationen des § 3 VbVG – sowohl nach Abs 2 (Entscheidungsträgertat) als auch nach Abs 3 (Mitarbeitertat) – vom Vorliegen eines der beiden (oder auch beider) Merkmale ab, die in Z 1 und Z 2 des Abs 1 festgelegt sind (Tatbegehung zugunsten des Verbandes oder Verletzung von Verbandspflichten); damit wird ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Verband und der Straftat hergestellt.

Darüber hinaus verlangen die Regelungen für beide Fallgruppen – § 3 Abs 2 VbVG im Hinblick auf die Verantwortlichkeit für eine Tat eines Entscheidungsträgers, § 3 Abs 3 VbVG für eine Anlasstat eines Mitarbeiters –, dass ein Entscheidungsträger entweder die Tat selbst begangen oder die Begehung der Tat eines Mitarbeiters durch näher umschriebene Sorgfaltsverstöße zumindest erheblich erleichtert hat. Damit konkretisiert § 3 VbVG aber nach Ansicht des VfGH – in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise – sowohl den sachlichen Zusammenhang zwischen der Anlasstat und der Sphäre des Verbandes als auch die sachlichen Zurechnungsmerkmale zwischen der Anlasstat und den Verbandsorganen.

Da der Verband in jedem Fall (nur) durch seine Entscheidungsträger agieren kann, kommt in der Straftat eines Entscheidungsträgers die Verbandsverantwortlichkeit ohne weitere Voraussetzung zum Ausdruck, in der Straftat eines Mitarbeiters hingegen erst durch den Sorgfaltsverstoß eines Entscheidungsträgers, der die Tat zumindest wesentlich erleichtert, ohne dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Rolle spielt bzw geprüft werden muss, ob allfällige weitere – an der Straftat unbeteiligte – Entscheidungsträger ein Fehlverhalten gesetzt haben oder nicht. Letztlich liegt es im Verantwortungsbereich des Verbandes, Entscheidungsträger auszuwählen, die für ein gesetzmäßiges Verhalten des Verbandes sorgen.

Recht auf ein faires Verfahren

Auch die von den Antragstellern im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK) vorgebrachten Bedenken treffen nach Ansicht des VfGH nicht zu.

Auch auf Verbände sind jene Grundsätze des Art 6 EMRK anzuwenden, die Verfahrensgarantien betreffen (Fairnessgebot). Diese Gewährleistungen hat der Gesetzgeber nach Ansicht des VfGH aber hinlänglich berücksichtigt: Es gelten grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften über das Strafverfahren, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind (§ 14 Abs 1; §§ 13, 22 ff VbVG); Entscheidungsträger und einer Straftat verdächtige Mitarbeiter sind als Beschuldigte zu laden und zu vernehmen (§ 17 Abs 1 VbVG), sie haben Äußerungs- und Verteidigungsrechte und es bestehen richterliche Informationspflichten (§ 17 Abs 2 VbVG).

Auch das Sanktionensystem hält der VfGH für angemessen und verhältnismäßig, weil Maßnahmen wie das Absehen von der Verfolgung (§ 18 VbVG), der Rücktritt von der Verfolgung (Diversion – § 19 VbVG) sowie spezifische Milderungsgründe (§ 5 Abs 3 VbVG) eine einzelfallgerechte staatliche Reaktion ermöglichen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22830 vom 23.12.2016