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VfGH: Verfahrenshilfe ausschließlich in Verwaltungsstrafsachen?

EMRK Art 6

VwGVG § 40

Der VfGH geht vorläufig davon aus, dass das VwGVG die Beigebung eines Verfahrenshelfers lediglich in Verwaltungsstrafsachen vorsieht. Diese Rechtslage scheint nach Ansicht des VfGH Art 6 EMRK zu widersprechen, er prüft daher von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit von § 40 VwGVG, BGBl I 2013/33.

VfGH 9. 12. 2014, E 599/2014

Entscheidung

Verfahrenshilfe nur in Verwaltungsstrafverfahren

§ 40 VwGVG entspricht weitgehend § 51a VStG idF vor BGBl I 2013/33 (RV 2009 BlgNR 24. GP, 8) und ist dementsprechend im zweiten Abschnitt des dritten Hauptstücks („Verfahren in Verwaltungsstrafsachen“) des VwGVG enthalten. Weitere Regelungen zur Gewährung von Verfahrenshilfe vor den Verwaltungsgerichten enthält das VwGVG nicht.

Aus dieser Rechtslage scheint - so der VfGH - zu folgen, dass die Beigebung eines Verfahrenshelfers ausschließlich in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen in Betracht kommt. Dafür spreche zunächst der Wortlaut des § 40 VwGVG, der in seiner Terminologie erkennbar auf das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen abstellt. In dieselbe Richtung würden die systematische Stellung des § 40 VwGVG im Abschnitt über das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen sowie die Erläuterungen zu § 51a VStG idF vor BGBl I 2013/33 gehen, wonach diese Bestimmung die „Verfahrenshilfe [vor den unabhängigen Verwaltungssenaten] in Verwaltungsstrafangelegenheiten“ (RV 1090 BlgNR 16. GP, 18) regelt. Der VfGH geht daher vorläufig davon aus, dass das VwGVG die Beigebung eines Verfahrenshelfers lediglich in Verwaltungsstrafsachen vorsieht.

Bedenken in Bezug auf Art 6 EMRK

Diese Rechtslage scheint Art 6 EMRK zu widersprechen. Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten umfasst auch zahlreiche unter den Zivilrechtsbegriff des Art 6 Abs 1 EMRK fallende Angelegenheiten und der VfGH kann vorläufig nicht erkennen, dass das Konzept der Beigebung eines Verfahrenshelfers ausnahmslos in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen der Auslegung des Art 6 EMRK durch den EGMR entspricht.

Insbesondere scheint dem VfGH die Regelung des § 40 VwGVG außerhalb von Verfahren in Verwaltungsstrafsachen keine Prüfung des Einzelfalles dahingehend zuzulassen, dass zB aufgrund der Komplexität des Verfahrens die Beigebung eines Verfahrenshelfers im konkreten Fall erfolgen kann.

Dem rechtspolitischen Anliegen eines auch für unvertretene Parteien einfach handhabbaren Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten werde zwar anscheinend dadurch Rechnung getragen, dass bspw § 9 VwGVG Anforderungen an eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht normiere, die auch „ein durchschnittlicher Bürger […] ohne Unterstützung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter erfüllen kann“ (AB 2112 BlgNR 24. GP, 7), bzw dass - über die subsidiäre Anwendbarkeit des AVG (§ 17 VwGVG) - auch die Vorschrift über die Manuduktionspflicht für nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertretene Parteien anwendbar sei.

Dennoch scheint es dem VfGH aufgrund der Vielzahl von Angelegenheiten, die den Verwaltungsgerichten zur Entscheidung übertragen sind, nicht ausgeschlossen, dass in bestimmten Verfahren die Beigebung eines Verfahrenshelfers unumgänglich erscheint, zumal die Bedeutung der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten für die Bf - auch angesichts des durch BGBl I 2012/51 neu eingeführten Systems der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des damit auch verbundenen beschränkten Zuganges zum VwGH - gestiegen sein dürfte.

Ist aber die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers ausnahmslos nicht möglich, dürfte auch das aus Art 6 EMRK abgeleitete Recht auf effektiven Zugang zu einem Gericht für jene Personen beeinträchtigt sein, die mangels finanzieller Mittel für eine anwaltliche Unterstützung ihre Ansprüche in bestimmten Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nur erschwert durchsetzen können. Diese Rechtslage scheint daher Art 6 EMRK in der Auslegung durch den EGMR nicht zu entsprechen.

Der VfGH geht vorläufig davon aus, dass die sieben Absätze des § 40 VwGVG, die die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers näher regeln, eine untrennbare Einheit bilden. Der VfGH hat daher beschlossen, § 40 VwGVG, BGBl I 2013/33, von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Hinweis:

Der Volltext der Entscheidung ist derzeit auf der Homepage des VfGH (www.vfgh.gv.at) unter „Prüfungsbeschlüsse und Vorlagen“ - „Prüfungsbeschlüsse“ abrufbar.

Bearbeiterin: Sabine Kriwanek

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18780 vom 19.01.2015