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VfGH: Wiederaufnahme nach dem VwGVG

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

B-VG Art 7

VwGVG § 32

Es ist verfassungswidrig, die Wiederaufnahme gem § 32 Abs 1 VwGVG davon abhängig zu machen, dass eine Revision beim VwGH gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts nicht mehr zulässig ist. Der VfGH hat daher in § 32 Abs 1 VwGVG, BGBl I 2013/33, die Wortfolge „eine Revision beim VwGH gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und“ wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip als verfassungswidrig aufgehoben. Die aufgehobene Wortfolge ist nicht mehr anzuwenden.

VfGH 13. 12. 2016, G 248/2016, G 337/2016, G 383/2016

Zum Gesetzesprüfungsantrag VwGH 3. 5. 2016, Ra 2015/18/0213 (A 2016/0004), LN Rechtsnews 22041 vom 27. 7. 2016.

Entscheidung

Der Gesetzgeber darf bei der Regelung der (Prozess-)Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines Verfahrens nicht unsachlich vorgehen und muss auch die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips beachten. Dies bedeutet ua, dass er, soweit er die Wiederaufnahme eines Verfahrens vorsieht, diese nicht von vornherein verunmöglichen darf.

Eben dies bewirkt nach Ansicht des VfGH aber die angefochtene Wortfolge in § 32 Abs 1 VwGVG iVm der subjektiven Frist für den Wiederaufnahmeantrag gem § 32 Abs 2 erster Satz VwGVG: Muss der Wiederaufnahmswerber das Verstreichen der Revisionsfrist oder die Entscheidung des VwGH über die Revision abwarten, wird in vielen Fällen die zweiwöchige (subjektive) Frist für die Einbringung eines Wiederaufnahmsantrags bereits abgelaufen sein (vgl überdies die absolute Frist von drei Jahren gem § 32 Abs 2 dritter Satz VwGVG). Dadurch ist in all jenen Fällen eine Wiederaufnahme des Verfahrens von vornherein nicht möglich und die angefochtene Wortfolge in § 3 2 Abs 1 VwGVG verstößt gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip .

Nach Ansicht des VfGH scheidet auch die Auslegung aus, die der VwGH in seinen Erkenntnissen vom 28. 4. 2016, Ro 2016/12/0007, und vom 3. 8. 2016, Ra 2016/12/0059, 0068, vorgenommen hat und wonach das Verwaltungsgericht den Eintritt der Bewilligungsvoraussetzung des § 32 Abs 1 zweiter Halbsatz VwGVG abzuwarten habe. Auch ein solches Zuwarten bis zur Entscheidung des VwGH über die Revision hält der VfGH für unsachlich und mit dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar.

Die angefochtene Wortfolge in § 32 Abs 1 VwGVG ist nach Ansicht des VfGH aber auch als solche unsachlich und steht in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip (dh unabhängig von der Regelung der [subjektiven] Frist des § 32 Abs 2 VwGVG): Der Ausschluss der Wiederaufnahme eines Verfahrens (insb beim Wiederaufnahmetatbestand des § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG) ist nur dann und solange gerechtfertigt, wenn bzw bis der Wiederaufnahmswerber neue Tatsachen oder neue Beweise im laufenden Verfahren (mit welchem Rechtsmittel auch immer) noch geltend machen kann. Da erstens eine Revision an den VwGH nicht in jedem Fall, sondern nur in näher geregelten Fällen zulässig ist (vgl Art 133 Abs 4 B-VG), und zweitens im Verfahren vor dem VwGH grundsätzlich ein Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) gilt, ist es verfassungswidrig, die Wiederaufnahme gem § 32 Abs 1 VwGVG davon abhängig zu machen, dass eine Revision beim VwGH gegen das Erkenntnis des VwG nicht mehr zulässig ist.

Da die angefochtene Wortfolge in § 32 Abs 1 VwGVG aus den genannten Gründen gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip verstößt, musste sich der VfGH mit ihrer Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot gem Art 18 B-VG nicht mehr auseinandersetzen.

Hinweis:

Die Aufhebung wurde in BGBl I 2017/2 kundgemacht.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22989 vom 23.01.2017