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VwGVG: Beschwerdemitteilung an „sonstige Parteien“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VwGVG § 10

Werden in einer Beschwerde neue Tatsachen oder Beweise vorgebracht, die der Behörde oder dem Verwaltungsgericht erheblich scheinen, „so hat sie bzw hat es“ gem § 10 VwGVG „hievon unverzüglich den sonstigen Parteien Mitteilung zu machen und ihnen Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist vom Inhalt der Beschwerde Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern“.

Die Verpflichtung zur Beschwerdemitteilung nach § 10 VwGVG ist sowohl der Behörde als auch dem Verwaltungsgericht auferlegt („... so hat sie bzw hat es ...“). Bei verständiger Würdigung dieser gesetzlichen Anordnung hat zunächst die belangte Behörde, bei der die Beschwerde gem § 12 VwGVG einzubringen ist, für die Mitteilung der Beschwerde zu sorgen und hat sodann nach Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht auch dieses zu prüfen, ob den sonstigen Parteien (hier: Abgabenbehörde als Formalpartei) Mitteilung von der Beschwerde gem § 10 VwGVG gemacht wurde; erforderlichenfalls hat das VwG die Mitteilung der Beschwerde nachzuholen.

Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht dient nicht bloß der Klärung des Sachverhalts und der Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch der Klärung von Rechtsfragen. Unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Waffengleichheit hat daher die Mitteilung der Beschwerde auch im Hinblick auf darin enthaltene rechtliche Ausführungen zu erfolgen und müssen die übrigen Parteien in die Lage versetzt werden, dazu ihre Ausführungen zu erstatten um das Gericht von ihrem Standpunkt zu überzeugen.

Aus § 10 VwGVG ist auch ein Überraschungsverbot in dem Sinne abzuleiten, als ein Vorbringen von neuen Tatsachen und Beweisen zu einem späteren Zeitpunkt als mit der Beschwerde ebenfalls den übrigen Parteien vom Verwaltungsgericht mitzuteilen ist. Dies gilt auch, wenn das Verwaltungsgericht ohne ein Parteienvorbringen zur Annahme von neuen Tatsachen gelangt (hier: Ablegung eines Geständnisses).

VwGH 24. 2. 2016, Ra 2015/09/0125

Entscheidung

Zum Thema „Überraschungsverbot“ hält der VwGH weiters fest, dass im Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich alle Parteien des Verfahrens sowohl neues Tatsachenvorbringen als auch ergänzende Beweisanbote erstatten und neue rechtliche Argumente vortragen dürfen; daraus folge, dass die Möglichkeit zur Ausübung dieser Befugnis allen Parteien des Verfahrens vor dem VwG gleichermaßen eingeräumt werden muss, und weiters, dass die Parteien für ihr weiteres Vorbringen von der Beschwerde und von dem rechtlichen Rahmen in Kenntnis gesetzt werden müssen, der aus der Beschwerde hervorgeht. Ob in der Beschwerde neue Tatsachen oder Beweise geltend gemacht wurden, ist dabei nach Ansicht des VwGH nicht von entscheidender Bedeutung.

Für das Verwaltungsstrafverfahren weist der VwGH außerdem darauf hin, dass gem § 44 Abs 3 dritter Satz VwGVG den sonstigen Parteien – also allen Parteien außer dem Bf – „Gelegenheit zu geben (ist), einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen“, und eine Beschwerdemitteilung schon im Hinblick auf diese Befugnis zu erfolgen hat.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21483 vom 19.04.2016