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Zusammenschluss-Kontrolle: Nur teilweiser Kontrollwechsel als „Gründung“?

Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 139/2004: Art 3, Art 4

Der OGH hat dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind Art 3 Abs 1 lit b und Abs 4 der VO (EG) 139/2004 [über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („FKVO“)] dahin auszulegen, dass im Fall des Wechsels von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen, wobei das vormals allein kontrollierende Unternehmen weiterhin mitkontrollierend beteiligt bleibt, nur dann ein Zusammenschluss bewirkt wird, wenn dieses Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen Einheit aufweist?

OGH als KOG 31. 3. 2016, 16 Ok 1/16g

Ausgangsfall

Die Antragsgegnerin ist eine indirekte Tochtergesellschaft der S***** SE („S*****“). Die S*****-Gruppe ist ein international, auch im Straßenbau tätiger Baukonzern.

Die Asphaltmischanlage M***** („Zielunternehmen“) stellt für den Straßenbau nötigen Asphalt her und steht derzeit im Alleineigentum der T***** AG („TA“), deren Alleinaktionär die P***** AG („P*****“) ist. Die P*****-Gruppe ist ein international, auch im Straßenbau tätiger Baukonzern.

Die Antragsgegnerin und TA beabsichtigen die Gründung einer Gesellschaft nach österreichischem Recht in Form einer GmbH & Co KG, wobei beide je 50 % an der Komplementärgesellschaft und je 50% der Kommanditanteile übernehmen werden. Der Gesellschaftsvertrag wird so ausgestaltet, dass alle Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung der Einstimmigkeit bedürfen. Die neu gegründete Gesellschaft wird von TA das Zielunternehmen erwerben.

In wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist der Vorgang so zu sehen, dass die Antragsgegnerin eine Beteiligung von 50 % verbunden mit gemeinsamer Kontrolle am bereits bestehenden Zielunternehmen erwirbt, wobei der das Unternehmen bisher allein kontrollierende Veräußerer mitkontrollierend am Unternehmen beteiligt bleibt.

Die Antragsgegnerin meldete das Zusammenschlussvorhaben gem § 9 KartG bei der Bundeswettbewerbshörde an, das Kartellgericht wies allerdings den Prüfungsantrag des Bundeskartellanwalts nach § 12 Abs 1 Z 1 KartG zurück, weil die Transaktion nicht in Österreich, sondern bei der Europäischen Kommission anzumelden sei: Das Zusammenschlussvorhaben erfülle infolge Überschreitens der Schwellenwerte des Art 1 FKVO sowohl die Voraussetzung der gemeinschaftsweiten Bedeutung als auch den Zusammenschlusstatbestand des Art 3 Abs 1 lit b FKVO.

Unstrittig ist, dass das künftige Gemeinschaftsunternehmen keine Vollfunktionseigenschaft haben wird, weil es im Wesentlichen nur Konzerngesellschaften der künftigen Muttergesellschaften beliefern soll.

Entscheidung

Entscheidungswesentlich sind hier nach Ansicht des OGH va die Auslegung des Begriffs „Gründung“ in Art 3 Abs 4 FKVO und das Verhältnis von Art 3 Abs 1 lit b FKVO zu Art 3 Abs 4 FKVO. Soweit überblickbar liegt dazu keine Rsp des EuGH vor und eine zweifelsfreie Antwort auf diese Fragen ergibt sich auch nicht aus der „FusKonMitt“ (Konsolidierte Mitteilung der Europäischen Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der VO (EG) 139/2004) oder der Entscheidungspraxis der EU-Kommission. Im Besonderen hält es der OGH für (weiterhin) unklar, ob die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens durch nachträgliche Beteiligung eines oder mehrerer Unternehmen und den damit verbundenen Kontrollwechsel von bisher alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle der „Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens“ iSd Art 3 Abs 4 FKVO gleichsteht und daher das Vollfunktionserfordernis erfüllen muss, damit es anzumelden ist:

In Rn 91 FusKonMitt behandelt die Europäische Kommission nur den Fall, dass die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens den Erwerb gemeinsamer Kontrolle über ein anderes Unternehmen oder Teile von Dritten umfasst. Für diesen Fall stellt sie klar, dass solch eine Transaktion einen Zusammenschluss iSd Art 3 Abs 1 FKVO bewirkt, ohne dass das Vollfunktionskriterium geprüft werden müsste.

Ob der Wechsel von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle über ein bestehendes Unternehmen, das vorher von einer der künftig gemeinsam kontrollierenden Parteien besessen wurde, nach der FusKonMitt als anmeldepflichtiger Zusammenschluss anzusehen ist, hängt davon ab,

-ob man Rn 86 FusKonMitt folgt, die keine Beurteilung der Vollfunktionaliät des Gemeinschaftsunternehmen erfordert, oder Rn 92 FusKonMitt, die diese Prüfung verlangt, oder
-ob aus Rn 91 FusKonMitt methodisch richtig der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass in dieser Konstellation ein Zusammenschluss nur bewirkt wird, wenn das Gemeinschaftsunternehmen ein Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmens ist.

Die Praxis der Kommission in Bezug auf die Anwendung des Kriteriums der Vollfunktionalität scheint jedenfalls sehr inkonsistent zu sein, weshalb sich der OGH zur Verfahrensunterbrechung und Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH veranlasst sah.

Hinweis: Das Vorabentscheidungsersuchen ist zu C-248/16, Austria Asphalt, beim EuGH anhängig.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21603 vom 09.05.2016