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Arbeitsrechtliche Probleme in Zusammenhang mit den COVID-19-Maßnahmen

RA Dr. Roland Gerlach / RA Mag. Markus Löscher

Es gibt ein Thema, das in den vergangenen Tagen die Personalabteilungen bestimmt hat wie kein anderes: Kurzarbeit.

Aber auch abseits der Kurzarbeit stellen sich zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen, die wir für Sie in diesem Artikel aufarbeiten:

A) Die Umstände bestimmen, ob ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht: Klarstellungen zur Sphärentheorie und zur Reaktion des Gesetzgebers
B) Urlaub: Antworten auf Fragen aus der Praxis (einseitige Anordnung, einseitiger Widerruf)
C) Homeoffice: Wissenswertes zur "Corona-Homeoffice", wie insbesondere Kosten-tragung und Arbeitszeitaufzeichnungen
D) Freistellungen aufgrund der Pflege/Betreuung von nahen Angehörigen: Pflege-freistellung, Pflegeurlaub und Sonderfreistellung
E) Nebenbeschäftigung: Sind diese erlaubt und worauf sollte der Arbeitgeber achten?
F) Beendigung: Kündigungen, Wiedereinstellungszusagen und das AMS-Frühwarn-system
G) Überblick über sonstige gesetzliche Änderungen: Betriebsrat, Verjährungs- und Verfallsfristen, Anfechtungsfristen, steuerbegünstigte Corona-Prämie

In diesem Artikel behandeln wir diese - und noch mehr - Themen aus der Praxis und informieren Sie

a) über alles Wissenswerte abseits von Kurzarbeit und
b) geben Hinweise, Beispiele und Formulierungstipps, die Sie bezüglich COVID-19-Maßnahmen wissen sollten.

Verwendete Abkürzungen in diesem Beitrag:

AG ... Arbeitgeber//AlVG ... Arbeitslosenversicherungsgesetz//AN ... Arbeitnehmer//ArbVG ... Arbeitsverfassungsgesetz//ARG ... Arbeitsruhegesetz//AVRAG ... Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz//AZG ... Arbeitszeitgesetz//ds ... das sind//DG ... Dienstgeber//DV ... Dienstvertrag bzw Dienstverhältnis//EFZ ... Entgeltfortzahlung//EuGH ... Europäischer Gerichtshof//GewO ... Gewerbeordnung//idR ... in der Regel//iHv ... in Höhe von//iSd ... im Sinne des//KV ... Kollektivvertrag//LSD-BG ... Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz//MSchG ... Mutterschutzgesetz//mwN ... mit weiterführenden Nachweisen//ÖGK ... Österreichische Gesundheitskasse//SV ... Sozialversicherung//ua ... unter anderem//uE ... unseres Erachtens//UrlG ... Urlaubsgesetz//ZPO ... Zivilprozessordnung

A) Die "Umstände" bestimmen, ob ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht

Bei Fragen der EFZ ist zu klären: Welcher Sphäre ist ein Umstand zuzuordnen, weswegen die Arbeitsleistung nicht erbracht wird - der Sphäre des AG oder jener des AN oder keiner der beiden (dann: "neutrale" Sphäre)?


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Beispiel

Beispiele

1. Der Arbeiter Jack Daniels erscheint nicht zur Arbeit. Es stellt sich heraus, dass er aufgrund einer durchzechten Nacht nicht fähig war, seinen Dienst anzutreten ➜ Verhinderung liegt in der Sphäre des AN ➜ AN hat keinen Entgeltanspruch.
2. Der Arbeiter John Steed erscheint zur Arbeit. Es werden zu wenige Materialien geliefert, um an diesem Tag produzieren zu können. Er wird nach Hause geschickt ➜ Verhinderung liegt in der Sphäre des AG ➜ AN hat einen Entgeltanspruch.

1. Sonderfall: Die "neutrale" Sphäre

Probleme gibt es, wenn Umstände vorliegen, die keiner der beiden Sphären zuzuordnen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Umstand nicht nur den AG, sondern die Allgemeinheit trifft, wie zB Hochwasser, Erdbeben, Energiemangel oder auch Seuchen. Liegt eine Verhinderung vor, die dieser "neutralen" Sphäre zuzuordnen ist, so entfällt der Entgeltanspruch.

2. Behördliche Betriebsschließungen: ein Fall der neutralen Sphäre?

Die behördliche Betriebsschließung aufgrund einer Pandemie ist der neutralen Sphäre zuzuordnen ➜ Ohne weitere gesetzliche Regelungen entfällt der Entgeltanspruch.

Bis vor Kurzem waren daher bei behördlichen Betriebsschließungen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 anwendbar. Dieses sah spezielle Regelungen vor, wie der Verdienstentgang zu vergüten ist (§ 32).

Im COVID-19-Maßnahmengesetz ist geregelt, dass bei Betriebsschließungen per Verordnung das Epidemiegesetz nicht anzuwenden ist.

3. Das 2. COVID-19-Gesetz greift in die Sphärenregelung ein

Es wurde mit dem 2. COVID-19-Gesetz stattdessen festgelegt, dass rückwirkend ab 15. 3. 2020 die Maßnahmen aufgrund des COVID-19-Maßnahmengesetzes einen Verhinderungsgrund iSd § 1155 ABGB darstellen ➜ Konsequenz: Der AN behält daher seine EFZ, wenn er aufgrund der COVID-19-Maßnahmen seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann.

Obige Konsequenz führt in der Praxis zu der folgenden entscheidenden Frage: Wann ist der Arbeitsausfall tatsächlich ursächlich auf solche Maßnahmen aufgrund des COVID-19-Maßnahmengesetzes zurückzuführen?

Die bekanntesten Maßnahmen untersagen in ihrer bisherigen Form nicht die Arbeitsleistung an sich, sondern

a) verbieten den Kunden, dass die Geschäftsräume betreten werden (Betretungsverbote für zahlreiche Wirtschaftszweige),
b) oder machen durch die bekannte 1-Meter-Abstandregelung es de facto unmöglich, dass Dienstleistungen erbracht werden.

Es ist beim "Unterbleiben der Arbeitsleistung" daher vernünftigerweise auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen:

Entfällt die Arbeitsleistung, weil sie aufgrund von COVID-19-Maßnahmen wirtschaftlich nicht sinnvoll verwertbar ist, ist der Arbeitsausfall auf die entsprechende COVID-19-Maßnahme zurückzuführen ➜ Der AN behält daher seine EFZ.


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Das hat auch für solche Arbeitsleistungen zu gelten, die nicht sinnlos, aber aktuell nicht notwendig sind - somit Tätigkeiten, die ohne Nachteile nachgeholt werden können.

In diesen Fällen hat der AG ein Wahlrecht, ob er die Arbeitsleistungen annimmt - etwa im Homeoffice - oder stattdessen verlangt, dass der AN sein Urlaubs- und Zeitguthaben verbraucht (siehe Punkt B).

Hinweis

Hinweis

Wird ein AN - etwa aufgrund eines positiven Testergebnisses - unter behördliche Quarantäne gestellt, so ist der AG ebenso zur EFZ verpflichtet.

Der AG erhält für diese Zeit vom Bund ersetzt (§ 32 Abs 1 iVm Abs 3 Epidemiegesetz):

a) das von ihm dem AN bezahlte Bruttoentgelt,
b) die zu entrichtenden SV-DG-Anteile sowie
c) einen allfälligen Zuschlag gemäß § 21 Bauarbeiterurlaubsgesetz.

Bitte beachten Sie: Der Antrag muss bei der Bezirksverwaltungsbehörde (Bezirkshauptmannschaft oder Magistrat) binnen 6 Wochen gestellt werden!

B) Urlaub: Antworten auf Fragen aus der Praxis

1. Kann der Urlaubsverbrauch einseitig angeordnet werden?

§ 1155 ABGB wurde erweitert und sieht ein - dem österreichischen Arbeitsrecht grundsätzlich fremdes - einseitiges AG-Anordnungsrecht hinsichtlich Urlaubsverbrauch vor. Unterbleibt daher die Arbeitsleistung eines AN infolge von Maßnahmen aufgrund des COVID-19-Maßnahmengesetzes (siehe Punkt A in diesem Beitrag), hat der AN - wenn dies der AG verlangt - während dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen (Abs 3).

Dieser Verbrauch ist in dreierlei Hinsicht beschränkt (Abs 4):

1. Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr müssen nur im Ausmaß von bis zu 2 Wochen verbraucht werden.
2. Ausgenommen sind solche Zeitguthaben, die sich aus der Umwandlung von Geldansprüchen durch kollektive Rechtsquellen (zB Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung) ergeben.
3. Insgesamt dürfen nicht mehr als 8 Wochen an Urlaubs- und Zeitguthaben angeordnet werden.

Es kann jedoch keine Konsumation für Urlaubsansprüche angeordnet werden, die zum Zeitpunkt des Verbrauchs noch nicht entstanden sind (kein Urlaubsvorgriff).

2. Der Urlaubsverbrauch wurde bereits vereinbart - Was nun?

Eine oft gestellte Frage lautet: Kann der AN vereinbarte Urlaubstage einseitig zurückziehen?

- Pro-Argumente: Arbeitnehmer kann einseitig Urlaubsanträge zurückziehen

Einige Stimmen behaupten: Ja, der AN könne bereits genehmigte Urlaubsanträge einseitig zurückziehen. Begründet würde dies mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, weil die COVID-19-Maßnahmen den Erholungsmöglichkeiten des AN entgegenstünden.


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- Contra-Argumente: Arbeitnehmer kann nicht einseitig Urlaubsanträge zurückziehen

a) Der Verbrauch des Urlaubes ist in § 4 UrlG geregelt und es bedarf einer Vereinbarung zwischen AG und AN. Es kommt damit eine Vereinbarung, im Sinne eines Urlaubsvertrages, über das Ausmaß und die Lage des Urlaubsverbrauches zustande. Ein einseitiges Widerrufsrecht kommt keinem der beiden Vertragspartner zu.
b) Wenn der Gesetzgeber durch die Novellierung des § 1155 ABGB sogar ein Instrument geschaffen hat, dass der AG den Urlaub einseitig anordnen kann, dann schließt er damit implizit die "Stornierung" des bereits vereinbarten Urlaubes aus. Der AG könnte ja zugleich den widerrufenen Urlaub wieder anordnen.
c) Die Vereinbarung des Urlaubes erfolgt, nachdem AG- und AN-Interessen abgewogen wurden. Dem AN-Interesse der Erholungsmöglichkeit steht das AG-Interesse (Urlaubsverbrauch soll auf die Erfordernisse des Betriebes Rücksicht nehmen) entgegen. In den derzeitigen Krisenzeiten wird daher jedenfalls das betriebliche Interesse überwiegen.

- Schlussfolgerung

Zusammengefasst lautet unsere Rechtsmeinung: Es kann uE ein bereits vereinbarter Urlaubsantritt nicht einseitig widerrufen werden.

3. Einseitige Urlaubsverbrauchsanordnung auch bei freiwilliger Selbstquarantäne?

Daneben zeigen sich im Alltag der Personalisten immer wieder Fälle, die nicht eindeutig einer "Sphäre" oder einer Maßnahme zuordenbar sind.

Zahlreiche AN haben sich aufgrund Erkrankungen im Familienumkreis oder aufgrund Aufenthalts in einem der "Hot Spots" in freiwillige Selbstquarantäne begeben. Dies ist vor allem, um die weitere Verbreitung einzudämmen, begrüßenswert. Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch in diesen Fällen einseitig der Urlaubskonsum angeordnet werden kann.

§ 1155 ABGB regelt den arbeitsrechtlichen Annahmeverzug: Der AN ist leistungsbereit und -willig, es unterbleibt die Tätigkeit aber - auch im AG-Interesse - aus Umständen der AG-Sphäre.

Wenn aber für Umstände aus der "AG-Sphäre" der Verbrauch von Urlaubs- und Zeitguthaben verlangt werden kann, dann erst recht bei Umständen aus der "AN-Sphäre".

Unsere Rechtsmeinung: Es ist möglich, dass der AG auch bei vorsorglicher Selbstquarantäne des AN einseitig den Urlaubsverbrauch nach den Regeln des § 1155 ABGB anordnen kann.

C) Rechtliche Praxistipps zum Homeoffice aufgrund der Corona-Krise

1. Kann Homeoffice einseitig angeordnet werden?

Das Mittel, um die Krise wirtschaftlich einigermaßen zu überstehen, heißt in vielen Branchen "Teleworking". Ob in der Technologiebranche, in der Unternehmens-, Steuer- oder Rechtsberatung oder im Großteil der Personalabteilungen wirken sich die COVID-19-Maßnahmen lediglich auf den Ort aus, an dem die Arbeitsleistung erbracht wird ➜ Dieser Arbeitsort befindet sich in diesen Tagen überwiegend in den eigenen 4 Wänden.


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- Grundsatz

Homeoffice kann grundsätzlich nicht einseitig angeordnet werden. Erforderlich ist, dass der AN dem "Arbeitsortwechsel" zustimmt.

- Ausnahmen

a) Die Zustimmung kann bereits im DV geregelt sein oder
b) sich aus den sogenannten "Versetzungsklauseln" ergeben. Wenn der AG bereits in den DV das Gestaltungsrecht aufgenommen hat, den AN an einen anderen als den ursprünglich vereinbarten Arbeitsort versetzen zu können, so gilt dies auch, wenn der AG nun anordnet, dass der AN im Homeoffice tätig werden soll.
c) Sollte im DV der Dienstort bspw "regional" geregelt sein (zB "Dienstort ist Wien" oder "Dienstort ist der Bezirk Feldkirch") und liegt sowohl die Arbeitsstätte als auch die Wohnung in dieser Region (in Wien bzw im Bezirk Feldkirch), dann kann uE aufgrund dieser Vertragsklausel die Homeoffice-Tätigkeit - sofern diese ausnahmsweise für den AN nicht unzumutbar ist (zB 1-Zimmer-Wohnung) - vom AG einseitig angeordnet werden.
d) In ganz besonderen - insbesondere zumutbaren - Fällen könnte auch aufgrund der AN-Treuepflicht die Homeoffice-Tätigkeit vom AG einseitig angeordnet werden.

2. Aufwandsersatz während Homeoffice

Auch wenn der AN seine Arbeitsleistung von zu Hause aus erbringt, hat der AG die notwendigen Betriebsmittel (Laptop, [Mobil-]Telefon usw) zur Verfügung zu stellen. Es ändert sich auch an den Haupt- und Nebenpflichten nichts.

Praxistipp

Praxistipp

Weisen Sie den AN darauf hin, dass er verpflichtet ist - auch im Homeoffice - darauf zu achten, dass Datenschutz und Datensicherheit gewahrt und eingehalten werden.

Dem AN sind all jene Aufwendungen zu ersetzen, die er deshalb hat, weil er einen Heimarbeitsplatz erst einrichten bzw einen vorhandenen Arbeitsplatz entsprechend anpassen muss. Der Kostenersatz ist vertraglich gestaltbar, dh, er kann (a) vertraglich pauschaliert oder (b) sogar ausgeschlossen werden.

Fehlt eine vertragliche Regelung, gelten die gesetzlichen Bestimmungen: Demnach sind dem AN all jene Aufwendungen zu ersetzen, die ihm aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit entstehen.

Abgrenzungsprobleme ergeben sich dort, wo der AN Arbeitsmittel sowohl privat als auch beruflich nutzt.

Beispiel

Beispiel

Aufgrund der zahlreichen Videokonferenzen war Emma Peel gezwungen, die Geschwindigkeit der privaten Internetverbindung zu erhöhen und ein teureres Paket abzuschließen.

Vereinbaren AN und AG weder eine Kostenpauschalierung noch schließen sie den Kostenersatz vertraglich aus - dh, es liegt keine vertragliche Regelung hinsichtlich Kostenersatz vor -, ist eine Differenzbetrachtung anzustellen und Emma Peel erhält all jene Aufwendungen ersetzt, die ihr aufgrund von Homeoffice und aufgrund der beruflich intensiveren Nutzung des Internets entstehen.



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Hinweis

Hinweis

Um spätere Diskussionen zu vermeiden, empfehlen wir bereits vor, spätestens zu Beginn der Homeoffice-Tätigkeit, den Ersatz von Mehraufwand offen zu kommunizieren und eine vertragliche Regelung zu treffen.

3. Verpflichtung von Homeoffice für Risikogruppen

Mit dem 3. COVID-19-Gesetz wurde ein Verfahren eingeführt, mit dem Risikogruppen ermittelt werden (§ 735 ASVG) und das stufenweise wie folgt abläuft:

a) Eine Expertengruppe definiert eine allgemeine Risikogruppe (etwa anhand von Arzneimitteln, die diese Person einnehmen muss).
b) Die betroffenen Personen werden von der ÖGK verständigt.
c) Diese Personen können in weiterer Folge den Hausarzt aufsuchen, der die Risikosituation beurteilt und ein COVID-19-Risiko-Attest ausstellt.
d) Wird dem AG ein solches Attest vorgelegt, so hat der AG Folgendes zu tun:
  • Er muss den AN im Homeoffice einsetzen, oder
  • wenn dies aufgabenbedingt nicht möglich sein sollte, muss der AG geeignete Maßnahmen treffen, die mit größtmöglicher Sicherheit ausschließen, dass sich der AN mit dem Virus ansteckt.
  • Sind weder Homeoffice noch entsprechende "Ansteckungsverhinderungsmaßnahmen" möglich, dann ist der AN vom Dienst freizustellen - längstens bis 30. 4. 2020 - und er hat einen EFZ-Anspruch.

Derzeit noch ausgenommen (Stand 20. 4. 2020) von den "Risikogruppen-Regelungen" sind AN, die in Bereichen der kritischen Infrastruktur (zB Lebensmittelhandel, Pflege-, Verkehrs-, Sozial-, Gesundheitsdienstleistungen, staatliche Hoheitsverwaltung etc) beschäftigt sind, dh für diese Personen gelten die obigen Regelungen nicht, was zahlreiche Verfassungsrechtler scharf kritisieren.

Wird der AN vom Dienst freigestellt, so erhält der AG durch den zuständigen Krankenversicherungsträger (a) das an den AN fortgezahlte Entgelt sowie (b) die SV-DG-Anteile ersetzt. Der Vergütungsanspruch ist spätestens 6 Wochen nach dem Ende der Freistellung zu stellen.

Diese neue gesetzliche Regelung ist erst seit wenigen Tagen in Kraft und es ist abzuwarten, ob diese Maßnahme tatsächlich alle bürokratischen Hürden nehmen wird.

4. Arbeitsunfälle

Mit der gleichen Novelle wurde klargestellt, dass für die Dauer der COVID-19-Maßnahmen Arbeitsunfälle auch Unfälle sind, die im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit Homeoffice passieren.

Dass nun auch Homeoffice-Unfälle den Arbeitsunfällen gleichgestellt sind, hat Konsequenzen hinsichtlich

a) Leistungen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (Unfallrenten etc) und
b) Entgeltfortzahlung (eigenes Entgeltfortzahlungskontingent für Arbeitsunfälle, nicht hingegen für Freizeitunfälle)

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Praxistipp

Praxistipp

Wenn eine Homeoffice-Vereinbarung geschlossen wird, ist darin unbedingt festzuhalten, wo sich der Teleworking-Arbeitsplatz befindet (Hauptwohnsitz? Nebenwohnsitz? Wohnsitz der Partnerin/des Partners?).

In Betrieben, in denen es aufgrund der Vielzahl an Mitarbeitern nicht möglich ist, individuelle Vereinbarungen zu schließen, sollten AN zumindest aufgefordert werden bekannt zu geben, an welcher Adresse sie ihr Homeoffice eingerichtet haben.

Sollte sich ein Unfall ereignen, gelingt damit der Nachweis gegenüber der Behörde leichter, dass es sich um einen Heimarbeitsplatz mit entsprechendem Unfallversicherungsschutz gehandelt hat.

5. Zeitaufzeichnung bei Arbeitnehmern im Homeoffice, die sich in Kurzarbeit befinden

§ 26 AZG sieht vor, dass bei Arbeiten, die überwiegend in der Wohnung ausgeübt werden, nur Aufzeichnungen über die Dauer (also nicht über die Lage) der Arbeitszeit zu führen sind (= "Saldenaufzeichnung").

Bei fix vorgegebenen Arbeitszeiten müssen nur die Abweichungen vermerkt werden (= "Abweichungsaufzeichnungen").

Für all jene AG, die Kurzarbeit eingeführt haben, schreibt darüber hinaus die AMS-Kurzarbeit-Richtlinie vor, dass "Arbeitszeitaufzeichnungen (Arbeitsbeginn, -ende, -unterbrechungen) für alle von Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter zu führen und auf Verlangen dem AMS vorzulegen (sind)".

Die Kurzarbeit ändert jedoch nichts an den gesetzlichen Aufzeichnungspflichten der Arbeitszeit. Es bleibt weiterhin § 26 AZG maßgeblich, dh:

a) Es genügt weiterhin, bei einer vorgegebenen fixen Arbeitszeit auch innerhalb der Kurzarbeit nur die Abweichungen aufzuzeichnen.
b) Bitte beachten Sie, dass auch bei leitenden Angestellten und Fremdgeschäftsführern detaillierte Arbeitszeitaufzeichnungen dann zu führen sind, wenn diese Personen in die Kurzarbeit einbezogen wurden.

Erst auf Basis dieser Aufzeichnungen können die Ausfallstunden berechnet werden. Aber auch jene AG, die keine Kurzarbeit eingeführt haben, sondern nur anordnen, dass der AN seine Arbeitsleistung im Homeoffice erbringt, sollten die AN anweisen, Aufzeichnungen zu führen.

Aufgrund der jüngsten EuGH-Judikatur zur Arbeitszeitaufzeichnungspflicht ist die reine Saldenaufzeichnung wohl nicht mehr zulässig (siehe PVP 2019/53, 205 [August-Heft]: "Was ändert sich für die Praxis bei der Arbeitszeitaufzeichnung aufgrund der EuGH-Entscheidung?" von RA Mag. Markus Löscher).

Hinweis

Hinweis

1. Eine nationale höchstgerichtliche Rechtsprechung fehlt bislang.
2. Ein Teil der Lehre ist trotz der EuGH-Entscheidung der Rechtsansicht, dass die Aufzeichnung des bloßen Arbeitszeitausmaßes, also die Saldenaufzeichnung, nach wie vor zulässig ist (vgl Ralf Peschek/Valentina Herrmann-Riedler, [Keine] Auswirkungen der EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung für Österreich? ZAS 2020/6).

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6. Krankmeldung

Die COVID-19-Maßnahmen haben auch die Möglichkeiten einer Krankmeldung geändert.

Nunmehr ist es für AN möglich, telefonisch beim Arzt eine Krankschreibung zu erhalten. Auch wenn eine Krankschreibung ohne direkten Kontakt mit einem Arzt dem Missbrauch Tür und Tor öffnet, ist das ärztliche Attest für den AG in der Praxis auch in diesem Fall grundsätzlich bindend und nur schwer weiter überprüfbar. Übermittelt ein AN eine ärztliche Krankschreibung, ist der Krankenstand zur Kenntnis zu nehmen und die EFZ zu leisten.

Hinweis

Hinweis

Auch wenn Kurzarbeit beantragt wurde und der AN etwa ein wöchentliches Arbeitsausmaß von 0 Stunden hat, ist ein Krankenstand zu melden. Auch während der Zeit des Krankenstandes gebührt die Kurzarbeitsunterstützung.

D) Freistellungen aufgrund der Pflege/Betreuung von Angehörigen

1. Pflegefreistellung

§ 16 UrlG regelt einen bezahlten Freistellungsanspruch des AN, wenn dieser erforderlich ist aufgrund der ...

- notwendigen Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten nahen Angehörigen,
- notwendigen Betreuung des Kindes oder eines im gemeinsamen Haushalt lebenden leiblichen Kindes des Ehegatten (ebenso eingetragenen Partners oder Lebensgefährten) oder
- Begleitung eines erkrankten Kindes oder eines im gemeinsamen Haushalt lebenden leiblichen Kindes des Ehegatten (ebenso eingetragenen Partners oder Lebensgefährten) bei einem stationären Aufenthalt in einer Heil- und Pflegeanstalt, sofern das Kind nicht älter als 10 Jahre ist.

Der Freistellungsanspruch ist auf 1 Woche pro Arbeitsjahr beschränkt. Für die notwendige Pflege eines Kindes, das das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht der Anspruch für eine weitere Woche.

Der AN behält in dieser Zeit seinen EFZ-Anspruch und kann die Pflegefreistellung nicht nur tageweise, sondern auch stundenweise in Anspruch nehmen. Ist sie für diese 2. Woche ebenfalls ausgeschöpft, kann der AN bei weiterer notwendiger Pflege einseitig Urlaub antreten.

Hinweis

Hinweis

Detailliertere Informationen finden Sie in der 2-teiligen Serie: "Antworten auf Praxisfragen rund um die (erneuerte) Pflegefreistellung" in PVP 2013/14, 51 (Februar-Heft) und PVP 2013/21, 79 (März-Heft).

2. Sonderbetreuungszeit

§ 18b AVRAG schafft dem AG die Möglichkeit, mit dem AN eine weitere bezahlte und teilweise geförderte Dienstfreistellung zu vereinbaren. Wurden Lehranstalten (zB Schulen) und Kinderbetreuungseinrichtungen zur Gänze oder teilweise geschlossen, kann der AN mit dem AG eine


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Sonderbetreuungszeit vereinbaren für die Dauer von bis zu 3 Wochen (konsumierbar in Wochen, Tagen oder auch in Halbtagen für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr.

Die Sonderbetreuungszeit kann aufgrund der aktuellen Novelle auch vereinbart werden für Angehörige, die

a) Menschen mit Behinderung betreuen, wenn ...
  • die Einrichtungen der Behindertenhilfe oder die Lehranstalt für Menschen mit Behinderungen bzw einer höheren bildenden Schule, in der Behinderte betreut und unterrichtet werden, teilweise oder vollständig geschlossen wurden;
  • behinderte Menschen freiwillig zu Hause betreut werden;
  • die persönliche Assistenz aufgrund COVID-19 (zB Einreisebeschränkung) nicht mehr gewährleistet ist;
b) pflegebedürftige Personen betreuen, wenn die Pflege bzw Betreuung aufgrund Ausfall bspw der 24-Stunden-Pflegeperson nicht mehr sichergestellt ist.

Die vom Bund teilweise geförderte Sonderbetreuungszeit setzt voraus, dass der AN

a) persönlich die Betreuung/Pflege übernimmt und
b) seine Arbeitsleistung nicht erforderlich ist, um den Betrieb des AG aufrechtzuerhalten, und
c) er keinen sonstigen Anspruch auf bezahlte Dienstfreistellung hat.

Der Bund ersetzt 1/3 des gezahlten Entgelts (gedeckelt mit der Höchstbeitragsgrundlage), nicht hingegen die Gehaltsnebenkosten.

Der Vergütungsanspruch ist binnen 6 Wochen nach Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Buchhaltungsagentur des Bundes ( https://www.buchhaltungsagentur.gv.at/) zu stellen.

E) Nebenbeschäftigungen: Sind diese erlaubt und worauf sollte der Arbeitgeber achten?

Zahlreiche AN sind derzeit entweder vom Dienst freigestellt oder es wurde (etwa mittels Kurzarbeit) ein verringertes Arbeitszeitausmaß vereinbart. Es mehren sich die Anfragen in den Personalabteilungen, ob einer Nebentätigkeit nachgegangen werden darf.

Auch ohne einzelvertragliche Verpflichtung unterliegen Angestellte während des aufrechten DV einem Konkurrenzverbot (§ 7 AngG).

Eine derartige gesetzliche Norm existiert für Arbeiter nicht. § 82 lit e GewO enthält lediglich einen Entlassungsgrund, wenn ein abträgliches Nebengeschäft betrieben wird. Der AG kann ausdrücklich erlauben, dass der AN eine Nebentätigkeit ausübt. In diesem Fall - so unsere Empfehlung - sollten die folgenden Punkte beachtet werden:

1. Der AN sollte verpflichtet werden, dass er, trotzdem er eine Nebenbeschäftigung ausübt, die AG-Interessen zu wahren hat: Der AN ist
a) verpflichtet, die Nebenbeschäftigung unverzüglich zu beenden, sobald die Dienstfreistellung widerrufen wird, und
b) er ist darauf hinzuweisen, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse weiterhin unbeschränkt zu wahren sind.
2. Gegebenenfalls weisen Sie den AN darauf hin, dass es anlässlich der Arbeitnehmerveranlagung zu Lohnsteuer-Nachforderungen durch das Finanzamt kommen kann. Die Einkommen beider Tätigkeiten sind für die Besteuerungs-Bemessungsgrundlage zusammenzurechnen.
3. Wird die Dienstfreistellung (teilweise) aufgehoben, beachten Sie bitte, dass die Arbeitshöchstzeiten inkl Berücksichtigung der anlässlich der Nebentätigkeit geleisteten Arbeitszeit eingehalten werden.

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Hinweis

Hinweis

Übt der AN mehrere unselbstständige Tätigkeiten aus, so ist jeder AG gegenüber dem Arbeitsinspektorat verpflichtet darauf zu achten, dass die Arbeitshöchstzeiten eingehalten werden.

Die Behörde kann im Anlassfall beide AG nach den Verwaltungsstrafsätzen des AZG bestrafen, wenn die Arbeitshöchstzeiten überschritten wurden.

Praxistipp

Formulierungstipp

" [Name des Arbeitnehmers] wird gestattet, befristet während der Corona-Krise einer Nebentätigkeit nachzugehen. Der Arbeitnehmer hat jedoch über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren und zu gewährleisten, dass durch die Nebenbeschäftigung die Interessen von [Name des Arbeitgebers] gewahrt bleiben. Im Falle eines Interessenskonflikts ist die Nebentätigkeit unverzüglich zu beenden .

Ebenso ist die Nebentätigkeit zu beenden oder das Ausmaß zu reduzieren, sobald die Dienstfreistellung (teilweise) widerrufen wird. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Arbeitshöchstgrenzen unter Zurechnung der Arbeitszeit der Nebentätigkeit jedenfalls zu wahren sind und den Arbeitnehmer diesbezüglich eine Anzeigepflicht trifft.

Der Arbeitgeber weist zuletzt darauf hin, dass sich durch die Aufnahme einer weiteren Tätigkeit im Rahmen der antragslosen Arbeitnehmerveranlagungen für den Arbeitnehmer Nachzahlungen ergeben können."

F) Möglichkeiten und Risiken bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen

1. (Objektiv) betriebsbedingte Kündigungen

Kommt es aufgrund der COVID-19-Maßnahmen zu Umsatzeinbußen, sind Kündigungen oftmals nicht zu verhindern. Derartige Kündigungen wären grundsätzlich das Paradebeispiel der Rechtfertigung einer Kündigung als objektiv betriebsbedingt. Strengt der AN ein Kündigungsanfechtungsverfahren an, dann hat er nachzuweisen, dass die Kündigung sozialwidrig ist (dh, es sind die AN-Interessen wesentlich beeinträchtigt).

Kann der AG jedoch nachweisen, dass der Kündigung betriebliche Erfordernisse zugrunde liegen, weshalb der AN nicht weiterbeschäftigt werden kann, dann ist die Klage abzuweisen und die Kündigung rechtswirksam.

Ist der AG durch die Corona-Krise gezwungen, das DV zu beenden, um abzusichern bzw zu gewährleisten, dass das Unternehmen überlebt, ist die Kündigung jedenfalls betriebsbedingt gerechtfertigt.

Schwierig ist jedoch eine Prognose anzustellen, wie sich die derzeitige Wirtschaftskrise auf anstehende Kündigungsanfechtungsverfahren auswirken wird. Einerseits werden Kündigungen tendenziell eher als sozialwidrig zu qualifizieren sein (schlechtere Aussichten, in einer absehbaren Zeit von 9 bis 12 Monaten einen adäquaten Ersatzarbeitsplatz mit max 30 % Gehaltseinbußen zu finden). Andererseits wird die Interessenabwägung oftmals zugunsten des AG ausfallen.


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2. Einvernehmliche Beendigung mit Wiedereinstellungszusage ➜ Rettung in der Krise?

Um möglichst kurzfristig die Lohnkosten zu senken, ist die Kündigung - da in vielen Fällen zu träge - oft nicht die ideale Lösung. Es sind Kündigungsfristen einzuhalten und Abfertigungs- und Urlaubsansprüche auszubezahlen. Als kurzfristige Lohnkosten-Senkungsmaßnahme eignet sich die einvernehmliche Beendigung mit Wiedereinstellungszusage (Aussetzungsvereinbarung gemäß § 9 Abs 6 AlVG).

Es wird im Auflösungsvertrag vereinbart, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt das DV fortgesetzt wird (etwa "nach Aufhebung der COVID-19-Maßnahmen, frühestens jedoch am 1. 6. 2020").

Vorteile für den Arbeitgeber

- Es kann vereinbart werden, dass dienstzeitabhängige Ansprüche (Urlaub, Sonderzahlungen, Abfertigung) nicht abgerechnet und einstweilen ausgesetzt werden.
- Die Lohnkosten werden rasch (eben ab Auflösungsdatum) gesenkt.

Vorteile für den Arbeitnehmer

+ Er hat sofort ab dem Folgetag der DV-Auflösung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
+ Seine offenen Ansprüche bleiben bestehen und er hat die Möglichkeit (etwa bei Anspruch auf Abfertigung Alt), weitere Abfertigungsansprüche nach Wiedereinstellung zu erwerben.
+ Es kann vereinbart werden, dass die Sonderzahlungen mit dem Auflösungsdatum (und damit unter Umständen früher) ausbezahlt werden.
+ Es kann vereinbart werden, dass die Zeit der Unterbrechung für alle Ansprüche angerechnet wird.
Hinweis

Hinweis

Die Möglichkeit, dass Dienstzeiten zusammenzurechnen sind, kann für einzelne Ansprüche unterschiedlich sein. So können etwa Kollektivverträge eigene Anrechnungsbestimmungen bei Unterbrechungen vorsehen.

3. AMS-Frühwarnsystem (§ 45a AMFG)

Ein Kündigungshindernis, das in der Praxis leider immer wieder vernachlässigt bzw nicht ausreichend beachtet wird - mit entsprechend sehr unangenehmen Folgen -, ist die Anzeige an das AMS über beabsichtigte DV-Auflösungen (sogenannte 30-Tage-Sperrfrist). AG sind verpflichtet, mindestens 30 Kalendertage vor Ausspruch der 1. Kündigung dies dem AMS zu melden, wenn nachstehende "Schwellenwerte" überschritten werden:

Beabsichtigt der AG innerhalb eines (ständig wandernden) Zeitraumes von 30 Tagen die Auflösung...


...der Arbeitsverhältnisse von ... ... in Betrieben mit in der Regel...
... mindestens 5 AN... mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten
... 5 % der AN... 100 bis 600 Beschäftigten
... mindestens 30 AN... mehr als 600 Beschäftigten
... mindestens 5 AN, die das 50. Lebensjahr vollendet haben... unabhängig von der Betriebsgröße


Arbeitsrechtliche Probleme in Zusammenhang mit den COVID-19-Maßnahmen - Anfang Seite 116

muss er dies mindestens 30 Kalendertage (= "Wartefrist") vor dem 1. Ausspruch einer Kündigung dem zuständigen AMS melden.

Neben AG-Kündigungen sind auch vom AG initiierte einvernehmliche Beendigungen bei den Schwellenwerten des Frühwarnsystems zu berücksichtigen. Auslösendes Moment ist daher bereits die Beendigungsabsicht des AG. Folgende Arten der Beendigung lösen die AMS-Anzeigepflicht (nicht) aus:


Von § 45a AMFG erfasst Von § 45a AMFG nicht erfasst
AG-Kündigungbe­rechtigte Entlassung
vom AG initiierte einvernehmliche AuflösungBeendigung durch Zeitablauf bei befristeten Verträgen
Beendigung während des Probemonats
AN, die das DV wegen Pensionsanspruch, durch Kündigung oder einvernehmliche Lösung selbst beenden wollen.

Hinweis

Hinweis

Beide Tabellen sind dem lesenswerten Artikel von RA Markus Löscher , "Lösen einvernehmliche Beendigungen auch das AMS Frühwarnsystem (Anzeigepflicht gemäß § 45a AMFG) aus? - Und wenn ja: wann?" aus PVP 2018/73, 295 [November-Heft] entnommen.

Der AG kann - wenn wichtige wirtschaftliche Gründe vorliegen - beim AMS beantragen, dass die Sperrfrist von 30 Tagen herabgesetzt wird. Das AMS hat trotz Corona-Krise bereits mehrmals derartige Anträge abgewiesen und ausdrücklich festgehalten, dass die Wartefrist trotz der COVID-19-Maßnahmen einzuhalten ist.

Ungeklärt, da noch keinerlei nationale Rechtsprechung vorhanden, ist die Frage, in welcher "Unternehmenseinheit" die Schwellenwerte überschritten werden müssen.

Das Frühwarnsystem ist die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Massenentlassung. Wie der EuGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2015 festgehalten hat, ist der Betriebsbegriff des § 45a AMFG nicht gleichzusetzen mit jenem, den wir aus § 36 ArbVG kennen (EuGH, Rs C-80/14).

Der EuGH hat in seiner damaligen Entscheidung festgehalten: "Ein Betrieb nach der MassenentlassungsRL ist die Einheit, der die von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Dies kann im Rahmen eines Unternehmens eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität sein, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt.

Ein Betrieb im Sinne der Richtlinie muss weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen" (EuGH, Rs C-270/05).

Damit beurteilt er etwa Ladengeschäfte einer Einzelhandelskette, in denen jeweils meist weniger als 20 AN beschäftigt waren, als gesonderte Betriebe (EuGH, Rs C-80/14).


Arbeitsrechtliche Probleme in Zusammenhang mit den COVID-19-Maßnahmen - Anfang Seite 117

Personalisten, die mehrere Standorte, Filialen oder Shops betreuen, sollten hinsichtlich des Frühwarnsystems vorsichtig sein. Der EuGH scheint den "Betrieb" in der EU-Richtlinie zur Massenentlassung eng auszulegen.

Beispiel

Beispiel

- Sachverhalt:

Ein Einzelhandelsunternehmen hat insgesamt 500 Mitarbeiter in einem verzweigten Filialnetz. In einer Filiale mit 25 Mitarbeitern sollen 5 Mitarbeiter gekündigt werden.

? Frage: Ist das Frühwarnsystem auszulösen?

Antwort:

Nach dem Schwellenwertkatalog des § 45a AMFG wird das Frühwarnsystem bei 500 AN ausgelöst, wenn mindestens 5 % der DV beendet werden sollen. Der EuGH erachtet aber augenscheinlich jedes eigene Ladengeschäft als "Betrieb", Da in der betroffenen Filiale mehr als 20 Beschäftigte sind, sind die DV-Beendigungen beim AMS anzuzeigen, da der Schwellenwert (mindestens 5 AN) überschritten wird


G) Sonstige Änderungen aufgrund der COVID-19-Maßnahmen - ein Überblick

1. Verjährungs- und Verfallfristen

Der allgemeine, coronabedingte Stillstand setzt sich im Arbeitsrecht fort, in dem einige arbeitsrechtliche Fristen gehemmt bzw verlängert werden. Verjährungs- und Verfallfristen (§ 18 Abs 2 AVRAG) für DV-Ansprüche, die auf Gesetz, Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag beruhen und am 16. 3. 2020 noch nicht abgelaufen waren, werden bis 30. 4. 2020 gehemmt.

Das Gesetz sieht nicht vor, dass die Fristen nach dem 30. 4. 2020 wieder neu zu laufen beginnen, weshalb davon auszugehen ist, dass es sich um eine Fortlaufhemmung handelt. Die Zeit der Fristenhemmung bleibt daher außer Betracht.

2. Betriebsrat und andere Organe der betrieblichen Interessenvertretung

Die Tätigkeitsdauer von Organen der betrieblichen Interessenvertretung (Betriebsrat, Jugendvertrauensrat, Behindertenvertrauensperson, Sicherheitsvertrauensperson usw), deren Funktionsperiode im Zeitraum 16. 3. 2020 bis 31. 10. 2020 endet, verlängert sich bis zur nächsten Konstituierung des Belegschaftsorgans zur Wahl über den 30. 4. 2020 hinaus.

3. Kündigungsanfechtungsfristen

Darüber hinaus wurden die Fristen für Kündigungsanfechtungen nach dem ArbVG oder Gleichbehandlungsgesetz bis 30. 4. 2020 gehemmt. Endet die Anfechtungsfrist daher am oder nach dem 16. 3. 2020, so beginnt sie mit dem 1. 5. 2020 neu zu laufen.


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4. (Treue-)Prämien für die Krisenzeit

Mit dem 3. COVID-19-Gesetz wurde die Möglichkeit geschaffen, aufgrund der Corona-Krise eine zusätzliche Zulage oder Bonuszahlung zu gewähren (§ 124b Ziff 350 EStG). Diese Zahlung ist bis zu einem Betrag von € 3.000,00 steuer- und sozialversicherungsfrei.

Wichtig ist, dass diese Prämie zusätzlich geleistet und auch dem Zweck "Corona-Krise" gewidmet wird (Textmuster siehe anschließend).

Praxistipp

Formulierungstipp des Chefredakteurs:

Textmuster für Coronaprämie an Lohnverrechner einer Steuerberatungskanzlei oder selbstständigen Personalverrechnungs-/Buchhaltungskanzlei aufgrund intensiver Unterstützung der Klienten bei Coronamaßnahmen:

Gewährung einer Prämie (Coronakrise)

Sehr geehrte/r Frau/Herr ………………………,

wir leben in außerordentlich schwierigen Zeiten, die sich in einzigartiger Weise herausfordernd sowohl auf das Privatleben, als auch auf die Situation in unserem Unternehmen und in unserer Branche, auf die wirtschaftliche Situation unserer Klienten und auf das (gesellschaftliche und wirtschaftliche) Leben in Österreich auswirken.

Die Klienten benötigen während der Coronakrise einen außerordentlich erhöhten Betreuungsaufwand: Sie benötigten Unterstützung

- bei der gehaltsverrechnungstechnischen Umsetzung der coronabedingten, sich permanent veränderten arbeitsrechtlichen Regelungen (zB Sonderbetreuungszeit, Urlaubsanordnungsregelungen, Entgeltfortzahlung für Risikogruppen-Dienstnehmer etc);
- beim Antrag auf "Corona"-Kurzarbeit, der sich in der Praxis zu einem wuchernden Bürokratiemonster entwickelt hat. Ein Antrag, der ohne fachkundige Unterstützung - und damit ohne Unterstützung durch Sie - für viele unserer Klienten nicht schaffbar gewesen wäre;

Arbeitsrechtliche Probleme in Zusammenhang mit den COVID-19-Maßnahmen - Anfang Seite 119

- bei der Erstellung der für die Kurzarbeitsbeihilfe relevanten Ausfallsstundenliste, sowie Ihrer Mithilfe bei der entsprechenden Kommunikation und Korrespondenz (eAMS) mit Behörden;
- bei der Einreichung der entsprechenden Formulare, um Ansprüche auf Vergütungen (Sonderbetreuungszeit, Entgeltfortzahlung für Risikogruppen-Dienstnehmer etc) geltend zu machen,
- uvm, wobei wir in diesem Schreiben nur die vier zeitraubendsten und wichtigsten Unterstützungsleistungen anführten.

Sie haben aufgrund der obigen Unterstützungsleistungen für zahlreiche unserer Klienten einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung des durch die Corona-Krise sehr belasteten wirtschaftlichen Systems geleistet.

Durch Ihre klientenspezifische Unterstützung insbesondere beim Bürokratiemonster "Corona"-Kurzarbeit haben Sie mitgeholfen, dass Unternehmerexistenzen und Arbeitsplätze gerettet werden konnten.

Nicht nur die Geschäftsleitung dankt Ihnen aus ganzem Herzen für Ihren Einsatz, sondern auch der Staat, als Repräsentant des Systems, zu dessen Funktionieren Sie durch Ihren Einsatz mit beigetragen haben.

Sie erhalten zusätzlich zu den monatlich laufenden (regulären) Entgelten eine einmalige, nicht wiederkehrende "Corona-Sonderprämie" in Höhe von brutto € ………… [max. brutto € 3.000,00]. Die Prämie ist unser Dankeschön und sie soll auch eine kleine Abgeltung für die aufgrund der Corona-Krise für Sie entstandenen arbeitsmäßigen Erschwernisse und Anstrengungen sein.

Der Staat dankt Ihnen für Ihren Beitrag am Funktionieren des Systems dadurch, dass diese Prämie begünstigt mit der ……………. -Abrechnung [Angabe des Abrechnungsmonats oder der Abrechnungsmonate, wenn die Prämie aus Gründen der Liquidität in Teilbeträgen ausbezahlt werden soll] ausbezahlt wird, und zwar lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei.

Wir sind stolz, Sie in unserem Team zu haben, und wünschen Ihnen und allen Ihnen nahestehenden Personen vor allem: Bleiben Sie gesund.

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie weiterhin alles Gute.


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Ort, Datumdie Geschäftsleitung

Artikel-Nr.
PVP 2020/25

27.04.2020
Heft 4/2020
Autor/in
Roland Gerlach

RA Dr. Roland Gerlach ist Rechtsanwalt und Gründungspartner der auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei GERLACH | Littler.

Markus Löscher

RA Mag. Markus Löscher ist Rechtsanwalt und Gründungspartner der auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei Littler.