News

Versicherungsvermittler: versteckter Provisionsausgleich durch Seminarvertrag

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB § 879

KSchG: § 6, § 28, § 29

VersVG § 176

Nach § 176 Abs 6 VersVG hat der Vermittler in den Fällen des Abs 5 leg cit (insb Beendigung einer kapitalbildenden Lebensversicherung vor Ablauf von 5 Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit) Anspruch auf jenen Teil der Provision samt Nebengebühren, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) und dem Zeitraum von 5 Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) entspricht. Eine Vereinbarung, wonach dem Vermittler ein höherer Provisionsanspruch zusteht, ist unwirksam.

Die Vermittlungsprovision für eine kapitalbildende Lebensversicherung ist im Fall der vorzeitigen Beendigung unabhängig davon zu aliquotieren, ob die Vorsorgekonzepte als Brutto- oder Nettopolizze ausgestaltet sind.

Der Schutzzweck des § 176 Abs 6 VersVG besteht darin, zu verhindern, dass der Rückkaufswert durch Abschlusskosten unangemessen vermindert wird.

Im vorliegenden Fall liegt eine verpönte Umgehung des § 176 Abs 6 VersVG und damit ein Verstoß gegen § 879 Abs 1 ABGB vor: Das Vorsorgekonzept basiert auf einer kapitalbildenden Lebensversicherung und ist mit einem „separaten“ Seminarvertrag verbunden. Bei kundenfeindlichster Auslegung der hier maßgeblichen Klauseln ist davon auszugehen, dass der Kunde den Seminarvertrag nur abschließt, weil er annimmt, dass er die Seminare kostenlos besuchen kann; beendet er allerdings den Versicherungsvertrag innerhalb von 5 Jahren, muss er das Entgelt für den nicht kündbaren Seminarvertrag sofort zur Gänze zahlen. Dadurch wird der Provisionsverlust des Versicherungsvermittler kompensiert, den er durch eine Beendigung innerhalb von 5 Jahren erleidet, bzw wird der Konsument abgehalten, den Lebensversicherungsvertrag innerhalb von 5 Jahren - auch aus berechtigten Gründen - zu beenden, muss er doch umgehend den Seminarpreis zahlen. Der Schutzzweck des § 176 Abs 6 VersVG darf jedoch nicht durch den Abschluss eines „separaten“ Seminarvertrags ausgehöhlt werden, der lediglich der „Kundenbindung“ dient und wirtschaftlich ein Äquivalent für den Provisionsverlust des Versicherungsvermittlers bildet.

OGH 2. 7. 2015, 7 Ob 73/15h

Entscheidung

Konkret hatte der OGH im vorliegenden Verbandsprozess erstmals fünf Klauseln dieses Seminarvertrags zu prüfen, der von einem Versicherungsvermittler iZm dem vermittelten Vorsorgekonzept angeboten wird.

Die beanstandeten Klauseln (Klauseln 1 - 5) verknüpfen ua die Zahlungsmodalitäten des Seminarvertrags mit einem Vertrag über ein Vorsorgekonzept (ua einer kapitalbildenden Lebensversicherung), sodass die Seminare kostenlos sind, solange das Vorsorgekonzept den Vereinbarungen gemäß aufrecht ist. Zirka ein Drittel der Kunden, die mit dem Versicherungsvermittler ein Vorsorgekonzept abgeschlossen haben, schließen mit ihm auch den Seminarvertrag ab. Dass auch nur ein Kunde den Seminarvertrag ohne ein Vorsorgekonzept abgeschlossen hat, wurde nicht festgestellt.

Nach Ansicht des OGH dient der Seminarvertrag hier allerdings nur dazu, der Bekl innerhalb von 5 Jahren ihren Provisionsanspruch iZm der Vermittlung einer kapitalbildenden Lebensversicherung zu wahren. Die Klauseln widersprechen daher § 176 Abs 6 VersVG, verstoßen gegen § 879 Abs 1 ABGB und sind damit nichtig.

Der OGH erachtet die Klauseln allerdings zum Teil auch aus anderen Gründen als unzulässig:

-Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot gem § 6 Abs 3 KSchG liegt vor, weil für den Verbraucher der konkrete Seminarinhalt für die acht Seminare unklar ist, für die er immerhin 3.990 € zu zahlen hat, und er gezwungen ist, sich die notwendigen Informationen aus dem Seminarvertrag, der Broschüre und der Homepage „zusammenzusuchen“, um vor der Anmeldung zur Teilnahme am Seminar Informationen zu den Themen zu bekommen.
-In Anbetracht dessen, dass mit der Finanzierung der vertraglich geschuldeten Leistungen [die Seminare] praktisch keine Kapitalbindung einhergeht, ist nach Ansicht des OGH die sechsjährige Bindung an die Seminarverträge sachlich nicht gerechtfertigt iSd § 6 Abs 1 Z 1 KSchG [Bindung des Verbrauchers während einer unangemessen langen Frist an den Vertrag].
-Eine gröbliche Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB sieht der OGH darin, dass einige Klauseln zu einer Einschränkung der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten des Konsumenten führen, der sich dadurch aus finanziellen Gründen verpflichtet fühlt, am Vertrag über das Vorsorgekonzept trotz gerechtfertigter Auflösungs- oder Beendigungsgründe oder berechtigter Änderungswünsche festzuhalten.
-Zudem liegen - so der OGH - keine sachlichen Gründe iSd § 879 Abs 3 ABGB vor, die Stundung (Klausel 2) oder den Verzicht (Klausel 3) auf den Seminarpreis von der Bevollmächtigung zur Einholung von Auskünften in den ersten 5 Jahren der „Zahldauer“ der Vorsorgekonzepte abhängig zu machen (Klausel 5 iVm Z 8 des Seminarvertrags). Damit wird das Recht des Kunden nach § 8 Abs 1 Z 2 DSG 2000 verletzt, seine Zustimmung zur Verwendung seiner Daten jederzeit zu widerrufen und damit die Unzulässigkeit der weiteren Verwendung der Daten zu bewirken. Der bloße Widerruf der Vollmacht zur Einholung von Auskünften und damit auch nicht-sensibler Daten betreffend das Vorsorgekonzept löst die Zahlung des Seminarpreises in voller Höhe aus, wodurch mit Klausel 5 der Rechtsanspruch des Kunden im Sinn einer gröblichen Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB in verpönter Weise sanktioniert wird.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20120 vom 28.08.2015