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Auskunftspflicht des Versicherers nach § 3 VersVG

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VersVG: § 3

Gem § 3 Abs 3 Satz 1 VersVG kann der Versicherungsnehmer „jederzeit Abschriften der Erklärungen fordern, die er mit Bezug auf den Vertrag abgegeben hat“. Von dieser Bestimmung sind daher nur Erklärungen umfasst, die vom Versicherungsnehmer oder in seinem Namen abgegeben wurden. Der Versicherungsantrag unterliegt als eine vom Versicherungsnehmer abgegebene Erklärung unzweifelhaft § 3 Abs 3 VersVG.

Ist der „Versicherungsschein“ (die Polizze) abhanden gekommen oder vernichtet, kann der Versicherungsnehmer nach § 3 Abs 2 VersVG vom Versicherer die Ausstellung einer „Ersatzurkunde“ verlangen. Dies bedeutet, dass er auch eine bloße Abschrift der Polizze begehren kann. Da mit den jeweils vereinbarten Klauseln der Versicherungsbedingungen der Inhalt des Versicherungsvertrags näher determiniert wird, sind sie Teil des Versicherungsscheins (der Polizze), der die Beweisurkunde über den vollständigen Inhalt des Versicherungsvertrags ist. Die Abschriften der Versicherungsbedingungen, die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegen, sind daher wie die Polizze nach § 3 Abs 2 VersVG auszufolgen.

Der Nebenleistungsanspruch nach § 3 VersVG besteht während des Vertrags jederzeit, nach seiner Beendigung nur bis zur vollständigen Abwicklung, also so lange, bis keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag mehr geltend gemacht werden können, solche also noch nicht verjährt sind. Der Versicherungsnehmer muss in der Klage darlegen, dass ihm noch ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zustehen könnte.

Bei bekannt unklarer Rechtslage (hier betr Auswirkungen einer unrichtigen Belehrung über das Rücktrittsrecht) hat der Versicherer nach Treu und Glauben seiner Nebenleistungspflicht nach § 3 VersVG jedenfalls solange nachzukommen, bis Klarheit durch Gesetz und/oder Judikatur geschaffen wird. Er muss es dem Versicherungsnehmer ermöglichen, seine Rechtsposition zu wahren, wofür die Kenntnis der in § 3 VersVG genannten Urkunden Voraussetzung sein kann.

OGH 31. 10. 2018, 7 Ob 221/17a

Sachverhalt

Der Kl schloss mit der Bekl einen Lebensversicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn 1. 9. 2003 und Leistungsbeginn 1. 9. 2013. Der Kl entschied sich gegen die Verrentung, sodass ihm am 1. 9. 2013 die Kapitalabfindung iHv 24.922,51 € ausbezahlt wurde.

Mit Klage vom 26. 5. 2017 begehrt der Kl Zug um Zug gegen Zahlung/Sicherstellung von 4 € ihm folgende Abschriften zu übermitteln bzw Informationen zu erteilen:

1.Versicherungsantrag;
2.Klauselverzeichnis;
3.Langtext der Klauseln;
4.Allgemeine und Besondere Bedingungen zum gegenständlichen Versicherungsvertrag;
5.Einzahlungsdaten (Datum und Höhe) und die Summe der Einzahlungen;
6.Wertstand des Vertrags zum letzten Jahres- bzw Monatsultimo;
7.sämtliche Erklärungen, die über den Inhalt des Versicherungsantrags in Bezug auf das gegenständliche Versicherungsverhältnis abgegeben wurden.

Er benötige diese, um vertragliche und gesetzliche Schadenersatzansprüche beurteilen und sie gegebenenfalls gerichtlich geltend machen zu können. Die Ansprüche wegen unrichtiger (Rücktritts-)Belehrung und wegen (eventuell) möglicher Anfechtung des Vertrags wegen Arglist seien noch nicht verjährt.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren wegen Verjährung ab, der OGH gab der Revision teilweise Folge.

Entscheidung

Abschriften

Da mit dem Begriff „Klauseln“ die Versicherungsbedingungen bezeichnet werden, war das Begehren zu den Punkten 2. und 3. nach Ansicht des OGH so verstehen, dass der Kl eine Abschrift der Polizze verlangt. Er gab somit der Klage hinsichtlich der Übermittlung von Abschriften des Versicherungsantrags, der Polizze, der Allgemeine und Besondere Bedingungen zum Versicherungsvertrag und sämtlicher Erklärungen des Versicherungsnehmers statt, die über den Inhalt des Versicherungsvertrags in Bezug auf das gegenständliche Versicherungsverhältnis abgegeben wurden. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Erklärungen – also Erklärungen, die nicht vom Versicherungsnehmer stammen – wies der OGH das Mehrbegehren des Punkt 7 ausdrücklich ab, weil § 3 Abs 3 VersVG nur vom Versicherungsnehmer oder in seinem Namen abgegebene Erklärungen umfasst.

Ebenfalls abgewiesen wurde vom OGH das Begehren auf „Abschriften bzw Information“ in Bezug auf Einzahlungsdaten (Datum und Höhe) und die Summe der Einzahlungen sowie über den Wertstand des Vertrags zum letzten Jahres- und Monatsultimo (Punkte 5 und 6); dieses Begehren besteht ebenfalls nicht zu Recht, weil es nicht Erklärungen des Versicherungsnehmers zum Gegenstand hat.

Unklare Rechtslage

Der Lebensversicherungsvertrag wurde unstrittig per 1. 9. 2013 abgerechnet und die Kapitalabfindung ausbezahlt. Allfällige Ansprüche aus der Abrechnung könnten daher frühestens nach drei Jahren verjähren. Die Fragen, wann die hier in Frage stehenden Ansprüche verjähren und ob allenfalls für die Geltendmachung der Nebenleistungspflicht nach § 3 VersVG eine absolute Frist gilt, wenn innerhalb dieser keine Anhaltspunkte für den Versicherer bestehen, dass danach noch ein Rechtsanspruch des Versicherungsnehmers bestehen könnte, mussten hier mangels Relevanz nicht näher untersucht werden.

Kurz nach Abrechnung des Lebensversicherungsvertrags erging die E EuGH 19. 12. 2013, C-209/12, Endress, Rechtsnews 16452, zu einem deutschen Ausgangsverfahren. Danach steht Art 15 Abs 1 der RL 90/619/EWG idF der RL 92/96/EWG iVm Art 31 der RL 92/96/EWG einer nationalen Regelung entgegen, nach der ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist. Die Auswirkungen des Endress-Urteils auf Lebensversicherungsverträge wurden auch in der Lit vielfach diskutiert (vgl nur Caks in ÖBA 2014, 670; Leupold in VbR 2014/88; Schwintowski in VbR 2014/111; Armbrüster in NJW 2014, 498).

Der Bekl als Lebensversicherer musste damit zwangsläufig weit vor Ablauf von drei Jahren nach Abrechnung des Lebensversicherungsvertrags (September 2016) bekannt sein, dass aufgrund der Entscheidung des EuGH eine unklare Rechtslage dazu besteht, ob und unter welchen Voraussetzungen den Versicherungsnehmern allfällige Ansprüche wegen unterbliebener/unrichtiger Rechtsbelehrung über ihr Rücktrittsrecht auch noch danach zustehen. Ebenso klar war, dass zur Beurteilung von solchen Ansprüchen auch Auskünfte über den Versicherungsvertrag iSv § 3 VersVG nötig werden können.

In diesem Zusammenhang kommt der Grundsatz von Treu und Glauben zum Tragen und der Versicherer muss seiner Nebenleistungspflicht nach § 3 VersVG jedenfalls solange nachkommen, bis Klarheit durch Gesetz und/oder Judikatur geschaffen wird.

Eine umfassende Klärung der Rechtslage ist bislang noch nicht erfolgt. So hat der OGH im Hinblick auf dass Vorabentscheidungsersuchen des BGHS Wien vom 12. 7. 2018 (anhängig zu Rs C-479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua) sein Verfahren zu 7 Ob 144/18d bis zur Entscheidung des EuGH unterbrochen (siehe Rechtsnews 26450). Er bezog sich ua auch auf die Vorlagefrage betr Zulässigkeit des Rücktritts nach Kündigung des Vertrags und Auszahlung des Rückkaufswerts, somit nach vollständiger Erfüllung der beidseitigen Pflichten.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26449 vom 05.12.2018