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Die Invasion der russischen Armee in der Ukraine hat auch in Österreich für eine Welle der Solidarität und vielfältige Aktivitäten der Zivilgesellschaft gesorgt. Im Beitrag werden mögliche Wechselwirkungen mit dem Arbeitsrecht ebenso beleuchtet wie die Frage der möglichen Beschäftigung ukrainischer Flüchtlinge.
Seit Beginn des Krieges engagieren sich sehr viele ÖsterreicherInnen im Rahmen von Vereinen, Blaulichtorganisationen, Kirchen oder sonstigen privaten Initiativen zur Unterstützung von Kriegsflüchtlingen bzw einer Hilfe vor Ort in der Ukraine. Im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ist festzuhalten, dass es sich dabei um keinen persönlichen Dienstverhinderungsgrund gemäß § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB handelt.
Für derartige Aktivitäten muss ein Urlaubskonsum oder Zeitausgleich vereinbart werden bzw hat das Engagement generell in der Freizeit zu erfolgen. Eine Besserstellung zB in Form einer bezahlten Freistellung für ehrenamtliche Tätigkeiten ist natürlich möglich.
Ein abweichendes Ergebnis kann es bei unmittelbarer Betroffenheit durch ein nahes Verwandtschaftsverhältnis zu ukrainischen Staatsbürgern geben: Sofern der Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang zB Behördenwege für Verwandte erledigen muss, einen Transfer von einem Bahnhof organisieren oder die Aufnahme in die Grundversorgung begleiten muss, kann dies im Einzelfall als persönlicher Dienstverhinderungsgrund zu werten sein.
Zu beachten sind auch hier die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze, wonach den Arbeitnehmer die Verpflichtung trifft, den Eintritt eines Dienstversäumnisses möglichst zu vermeiden und alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Dienstverhinderung hintanzuhalten.1
Eine der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Pflegefreistellung gemäß § 16 UrlG ist der gemeinsame Haushalt mit pflegebedürftigen erkrankten nahen Angehörigen. Als nahe Angehörige sind neben dem Partner ua alle Personen, die mit dem Arbeitnehmer in gerader Linie verwandt sind (Eltern und Großeltern bzw Kinder und Enkelkinder), definiert (§ 16 Abs 1 letzter Satz UrlG). So nun etwa die geflüchteten Eltern im gemeinsamen Haushalt in Österreich aufgenommen werden, könnte bei deren Erkrankung, die einer Pflege bedarf, ein Anspruch auf Pflegefreistellung im Ausmaß einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit gemäß § 16 Abs 1 UrlG bestehen.
Wenn in den kommenden Monaten bzw Jahren darüber hinaus geflüchtete ukrainische (Waisen-)Kinder als Adoptiv- oder Pflegekinder aufgenommen werden sollten, könnte auch für diese Personengruppen ein Anspruch auf Pflegefreistellung gebühren.
Denkbar sind auch Fälle einer möglichen Pflegekarenz bzw -teilzeit gemäß §§ 14c bzw 14d AVRAG. Der Personenkreis umfasst hier nicht nur die nahen Angehörigen gemäß § 16 Abs 1 letzter Satz UrlG, sondern es kann gemäß § 14a Abs 1 2. Satz AVRAG eine solche Maßnahme ua auch für Geschwister, Schwiegereltern oder Schwiegerkinder begehrt werden. Die zu betreuende Person muss zumindest Pflegegeld der Stufe 3 gemäß § 5 BPGG beziehen.
In bestimmten Fällen wäre auch ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenz bzw -teilzeit möglich.2
Der Antritt von Urlaub muss auch zu den oben beschriebenen Zwecken vereinbart werden. Ein einseitiger Urlaubsantritt gemäß § 7a ARG ("persönlicher Feiertag") scheidet in diesen Fällen aus, da die Vorankündigungsfrist von drei Monaten in der notwendigen Kurzfristigkeit nicht eingehalten werden kann.
Sofern der Arbeitnehmer ohne Urlaubsvereinbarung dem Dienst fernbleibt, ist im Einzelfall zu prüfen, aus welchen Gründen dies erfolgt. Eine Entgeltfortzahlung wird idR ausscheiden. Auch wenn der Einsatz für eine Nothilfeorganisation humanitär wichtig und menschlich verständlich ist, wird dies aus arbeitsrechtlicher Sicht trotzdem keinen Rechtfertigungsgrund für ein Fernbleiben darstellen. Sofern es sich um ein stundenweises oder bloß auf einen Tag beschränktes Fernbleiben handelt, wird man jedoch von keiner beharrlichen Pflichtverletzung ausgehen und bei einem bis dahin unauffälligen Arbeitsverhältnis (iSv keine Verwarnungen oÄ) keinen Entlassungsgrund sehen. Tritt beim Arbeitgeber durch das Fernbleiben ein Schaden ein, könnte sich die rechtliche Beurteilung jedoch ändern.
Im Cyberraum gibt es unabhängig vom Ukrainekrieg schon seit Langem Auseinandersetzungen, die auch mutmaßliche Angriffe aus dem Ausland auf Firmen und Behörden in Österreich betroffen haben. In der aktuellen Situation wird neben dem "realen" Krieg auch eine Auseinandersetzung auf virtueller Ebene geführt - dies betrifft primär Angriffe auf Ziele in der Ukraine bzw in Russland. Aus Sicht österreichischer Arbeitgeber kann es dazu zwei Anknüpfungspunkte geben:
Einerseits werden große Ereignisse erfahrungsgemäß oft dazu missbraucht, um mit themenspezifischen Ködern per E-Mail, Social Media, Handynachrichten oÄ die Empfänger dazu zu bringen, Schadsoftware zu installieren oder Accountdaten preiszugeben. Auch in der aktuellen Situation ist damit zu rechnen.3 Für Unternehmen empfiehlt es sich daher, die Arbeitnehmer (zB durch entsprechende E-Mails oder Schaltungen im Intranet) an den richtigen Umgang mit derartigen E-Mails und Nachrichten zu erinnern.4
Andererseits wurden seitens der ukrainischen Regierung Hacker zur Mitwirkung in der Cyberverteidigung aufgerufen. Vom Kollektiv "Anonymous" wurde sogar zum "Cyberkrieg" gegen Russland aufgerufen, an dem sich jeder beteiligen kann.5 Auf beiden Seiten werden Werkzeuge zur Mitwirkung an Denial-of-Service-Angriffen (DoS/DDoS)6 verteilt.
In diesem Zusammenhang ist firmenseitig darauf zu sensibilisieren und zu achten, dass Arbeitnehmer keine Beteiligung an derartigen Aktionen über Firmensoftware bzw -netzwerke durchführen.7 Was dann wirklich bei der Ausführung des Angriffes passiert, kontrolliert nur der Verfasser der Software, aber nicht der Arbeitnehmer selbst.
Neben möglicherweise grundsätzlichen großflächigen Schäden für die IT des Arbeitgebers können derartige Verhaltensweisen einen Entlassungsgrund darstellen8 und zudem strafrechtlich relevant sein.9
Werden in Österreich lebende Arbeitnehmer mit ukrainischer Staatsbürgerschaft zum Militärdienst eingezogen, stellt sich die Frage nach den arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Der Anwendungsbereich des Arbeitsplatz-Sicherungsgesetzes (APSG), das den Einfluss auf laufendes Entgelt, Sonderzahlungen und Urlaub, die Anrechnung auf dienstzeitabhängige Ansprüche, Kündigungs- und Entlassungsschutz sowie die Hemmung von Verjährungs- und Verfallsfristen regelt, ist grundsätzlich auf österreichische Staatsbürger eingeschränkt. Das APSG ist jedoch auch auf EU- und EWR- sowie Schweizer Staatsbürger anzuwenden. Durch Assoziations- und Kooperationsabkommen gibt es - ohne dass das APSG zur Anwendung kommt - zu berücksichtigende Regelungen für Staatsbürger einiger weiterer Länder, zB der Türkei.10
Für ukrainische Staatsbürger ist weder das APSG anzuwenden noch gibt es entsprechende Abkommen. Es sind daher nur allgemeine arbeitsrechtliche Regelungen heranzuziehen.11
Sollte ein ukrainischer Staatsbürger einem Einberufungsbefehl in der Ukraine nachkommen wollen, ist daher im Idealfall eine Lösung im Einvernehmen zu suchen. Es kann dabei zB eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden, aber auch eine Karenzierung in Form eines unbezahlten Urlaubs. Denkbar wäre ebenso eine Beendigung mit einer Wiederstellungsvereinbarung. In Anbetracht des Kriegsverlaufes sind Verwundungen der eingezogenen Soldaten oder sogar Todesfälle nicht auszuschließen, die auch vielfältige arbeitsrechtliche Fragen nach sich ziehen könnten. Aus rein arbeitsrechtlicher Sicht ist Arbeitgebern eher anzuraten, eine einvernehmliche Auflösung abzuschließen.
Ohne entsprechende Auflösung oder sonstige Vereinbarung wäre ein eigenmächtiges Fernbleiben vom Arbeitsplatz als Entlassungstatbestand oder als unberechtigter vorzeitiger Austritt mit den entsprechenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu werten.12
Ein Einrücken zur Ableistung eines Militärdienstes und die damit einhergehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedingen auch das Erlöschen der Beschäftigungsbewilligung gemäß § 7 Abs 6 Z 1 AuslBG. Zeitgleich endet die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers.13
Sollte sich ein Arbeitnehmer den Kampfhandlungen in der Ukraine freiwillig anschließen wollen, sind aus arbeitsrechtlicher Sicht vor allem zwei Aspekte relevant:
Im Rahmen der Beteiligung am Krieg könnten sich einzelne Handlungen ergeben, die - selbst wenn das Fernbleiben vom Arbeitsplatz durch eine Urlaubsvereinbarung oder eine Karenzierung zulässig ist - den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit verwirklichen oder auch als strafrechtlich relevante Handlung14 entlassungsrelevant sein können. Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitgeber zunächst vom Kriegseinsatz des Arbeitnehmers erfahren und die entlassungsrelevante Handlung auch beweisen müsste.15
Die noch größere Tragweite hat jedoch der Umstand, dass eine derartige Aktivität zum Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft führen kann:
Wenn ein österreichischer Staatsbürger freiwillig in den Militärdienst der Ukraine oder Russlands tritt, ist diesem gemäß § 32 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Ebenso die Staatsbürgerschaft zu entziehen ist Personen, die für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnehmen - hier gemäß § 33 Abs 2 StbG nur dann, wenn dadurch keine Staatenlosigkeit eintritt.16
Abgesehen von den sonstigen Rechtsfolgen des Staatsbürgerschaftsentzugs wäre eine Beschäftigung des Arbeitnehmers in Österreich mit sofortiger Wirkung nicht mehr möglich.
Die noch geltende Rechtslage erlaubt ukrainischen Staatsbürgern die Einreise nach Österreich17 und den visumsfreien Aufenthalt für zunächst bis zu 90 Tage innerhalb von 180 Tagen. Eine Beschäftigung ist grundsätzlich nur unter der Voraussetzung des Vorliegens eines einschlägigen Beschäftigungstitels gemäß AuslBG zulässig.
Der Rat für Justiz und Inneres der EU hat bereits am 3. 3. 2022 die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie (2001/55/EG) beschlossen. Da es sich um eine Richtlinie handelt, bedarf es individueller Umsetzungen im innerstaatlichen Recht. In Österreich wurden in Umsetzung der Richtlinie bereits vor Jahren entsprechende grundsätzliche Regelungen in diverse Gesetze aufgenommen.18 Details sind nun durch die Vertriebenen-Verordnung der Bundesregierung vom 11. 3. 202219 geregelt, die dem in der Verordnung näher definierten Personenkreis von Flüchtlingen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht bis 3. 3. 2023 gewährt. Hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs wurde am 11. 3. 2022 mittels Erlasses des Bundesministeriums für Arbeit20 bestimmt, dass Personen mit dem oben erwähnten Aufenthaltsrecht für Vertriebene sowohl bei Antragstellung durch den Arbeitgeber als auch im Falle der aktiven Vermittlung amtswegig eine Beschäftigungsbewilligung ohne Arbeitsmarkt-/Ersatzkraftverfahren erhalten.
Vgl Drs in Neumayr/Reissner (Hrsg), ZellKomm3 § 8 Rz 113.
Für Details zum Rechtsanspruch bzw zu Pflegekarenz bzw Pflegeteilzeit allgemein siehe etwa Hitz, Rechtsanspruch auf Pflegekarenz bzw Pflegeteilzeit - Für wen gilt das neue Gesetz? ARD 6676/5/2019.
ZB unter https://www.it-safe.at
Eine DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) ist ein Cyberangriff, der auf die Überlastung von Webservern, Online-Services oder ganzer Netzwerke zielt. Die Denial-of-Service-Attacke (DoS) ist die "abgeschwächtere" Variante davon. Vgl https://www.kaspersky.de/resource-center/threats/ddos-attacks.
Dies insbesondere, wenn Arbeitnehmer ukrainische oder russische Wurzeln haben und dadurch aus persönlicher Betroffenheit empfänglicher sein könnten.
Bei Angestellten ist davon auszugehen, dass in derartigen Konstellationen idR eine Vertrauenswürdigkeit verwirklicht wird. Die genaue rechtliche Beurteilung, ob tatsächlich ein Entlassungsgrund vorliegt, hat im Anlassfall im Detail zu erfolgen.
Spitzl/B. Gruber in Neumayr/Reissner (Hrsg), ZellKomm3 § 1 APSG Rz 5 ff.
Spitzl/B. Gruber in ZellKomm3 § 1 APSG Rz 5 ff; Rauch, Zur Anwendbarkeit des Arbeitsplatzsicherungsgesetzes auf ausländische Arbeitnehmer, ecolex 2001, 57; Trattner, Militärdienst von ausländischen Arbeitnehmern - Arbeitsplatzsicherungsgesetz gilt nur für österreichische Staatsbürger, ASoK 2000, 282; aA K. Mayr, Anwendbarkeit des Arbeitsplatz-Sicherungsgesetzes auf Ausländer, RdW 1998, 411.
Trattner, ASoK 2000, 282.
Es ergeben sich daher auch keine Fragestellungen zu einer möglichen Entgeltfortzahlung aufgrund eines Dienstverhinderungsgrundes, wobei dieser Anspruch grundsätzlich nicht gegeben wäre. Vgl Spitzl/B. Gruber in ZellKomm3 § 1 APSG Rz 8 mit Verweis auf Lindmayr, Handbuch zum Arbeitsplatzsicherungsgesetz (2005) Rz 4.
Im österreichischen Strafgesetzbuch (StGB) finden sich eine Reihe von Tatbeständen, die verwirklicht werden könnten, wie etwa die verbotene Ausfuhr von Waffen oder Angriffe gegen die Zivilbevölkerung bzw sonstige Verstöße gegen das Völkerrecht (Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw Kriegsverbrechen gegen Personen iSd §§ 321a und 321b StGB).
Die Problematik der Zustellung der Entlassungserklärung wird an dieser Stelle wegen ihrer Komplexität ausgespart.
Bei einer Kampfhandlung im Rahmen einer ausländischen Armee wird idR davon ausgegangen, dass der Soldat die Staatsbürgerschaft der Armee erhalten wird.
In diesem Zusammenhang sind bei der Einreise keine COVID-19-Bestimmungen zu beachten, da gemäß § 9 Abs 2 Z 5 COVID-19-EinreiseVO idF BGBl II 2022/85 "Personen, die auf Grund einer kriegerischen Auseinandersetzung einreisen", vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind.
Vgl § 62 AsylG idF BGBl I 2015/70 sowie diverse Landes-Grundversorgungsgesetze.
Geschäftszahl: 2022-0.178.109.