Rechtsprechung / Arbeitsrecht

Beurteilung von Arbeitskräfteüberlassung bei reinen Inlandssachverhalten: Keine Änderung der bisherigen Rechtsprechung (Langfassung)

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

Trotz der gegenteiligen Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-586/13, Martin Meat, zur grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung und der überwiegend ablehnenden Haltung der Literatur hält der OGH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass es bei rein innerstaatlichen Sachverhalten bei der Prüfung, ob eine Arbeitskräfteüberlassung oder die Erbringung von Dienstleistungen aufgrund von Werkverträgen vorliegt, nicht in jedem Fall einer Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände des Sachverhalts bedarf, sondern es für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung bereits ausreicht, wenn nur eine der vier alternativen Tatbestandselemente in § 4 Abs 2 Z 1 bis 4 AÜG erfüllt ist. Der strikte Wortlaut des § 4 Abs 2 AÜG lässt das Erfordernis einer Gesamtbetrachtung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH für rein innerstaatliche Fälle de lage lata nicht zu.

Wäre im konkret zu beurteilenden Fall auch unter Annahme eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes die Entsende-RL anzuwenden, liegt durch die Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung auch keine Inländerdiskriminierung vor.

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Im vorliegenden Fall um geltend gemachte Entgeltansprüche ist als Vorfrage strittig, ob die Klägerin im Auftrag ihrer beklagten Arbeitgeberin in Erfüllung eines Werkvertrages bei der B**** AG tätig war oder ob - wie von der Klägerin behauptet - eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (und damit der KV-Arbeitskräfteüberlassung zur Anwendung kommt).

Die beklagte Arbeitgeberin schloss im Jahr 2009 mit der B**** eine als "Rahmen-Werkvertrag" bezeichnete Vereinbarung über "Bügelflaschenreparatur" - konkret das Sortieren von Flaschen und das Reparieren von beschädigten Verschlusskappen - ab. Als Leistungsort wurde die B**** vereinbart. Weiters vereinbart wurde, dass die Beklagte von der B**** einen Hubstapler anmietet, dass der Preis pro Flasche € 0,024 beträgt und dass die Arbeitnehmer der Beklagten keinen Weisungen der B**** Folge leisten müssen. Die Tätigkeit der Klägerin umfasste die Sortierung von Bierflaschen mit Reparatur/Austausch der Schnellverschlüsse, vorbereitend einer nachfolgenden Befüllung durch die B****. Der Arbeitsort der Klägerin befand sich in einer Halle der B****, wo die Klägerin und weitere Mitarbeiter der Beklagten an eigenen Tischen Flaschen kontrollierten und reparierten. Es waren dort auch Dienstnehmer der B**** tätig, die teilweise ebenfalls Flaschen kontrollierten und reparierten. Für den Fall, dass von Seiten der B**** dringend zusätzliche Flaschen benötigt wurden bzw eine überwiegende Reparatur von Flaschen erforderlich war, kontaktierten die zuständigen Lagerleiter die von der Beklagten für das Objekt B***** eingesetzte verantwortliche Mitarbeiterin, die dann der Klägerin und den übrigen Mitarbeitern der Beklagten die entsprechenden Weisungen erteilte. Das für die Tätigkeit der Klägerin und ihrer Kollegen erforderliche Spezialwerkzeug wurde in der Werkstatt der B**** hergestellt von dieser zur Verfügung gestellt.

Die Vorinstanzen gingen vom Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung aus, weil die Beklagte im Unternehmen der B**** kein eigenständiges, unterscheidbares und ihr zurechenbares Werk iSd § 4 Abs 2 Z 1 AÜG geliefert habe. Für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung reiche es bereits aus, wenn schon einer der in § 4 Abs 2 AÜG genannten Fälle verwirklicht sei.

Der OGH ließ die Revision zu, weil die Rechtsprechung des OGH zu § 4 AÜG vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-586/13, Martin Meat, einer Überprüfung bedarf. In seiner ausführlichen Entscheidung hält der OGH aber weiterhin an seiner ständigen Rechtsprechung zur Beurteilung von Arbeitskräfteüberlassung fest. Er begründete dies (stark gekürzt) wie folgt:

Maßgebliche Rechtsgrundlage

Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz gilt nach seinem § 1 Abs 1 für die Beschäftigung von Arbeitskräften, die zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen werden. Überlassung von Arbeitskräften ist gemäß § 3 Abs 1 AÜG die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist gemäß der - ebenso der Stammfassung des AÜG entstammenden und mit "Beurteilungsmaßstab" überschriebenen - Bestimmung des § 4 AÜG der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend (Abs 1). Nach § 4 Abs 2 AÜG liegt Arbeitskräfteüberlassung "insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber

1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder
2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder
3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder
4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet".

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (450 BlgNR 17. GP 17) soll § 4 AÜG "eine Orientierungshilfe zur Verhinderung von Umgehungen bieten". Zu § 4 Abs 2 AÜG führen die Gesetzesmaterialien wie folgt aus: "Abs 2 befaßt sich speziell mit dem Werkvertrag, der erfahrungsgemäß am häufigsten zur Umgehung der bei der Arbeitskräfteüberlassung zu beachtenden Regeln Verwendung findet. Sofern ein für den Werkvertrag typisches Merkmal nicht vorhanden ist (Z 1, 2 und 4) oder ein für den Werkvertrag völlig untypisches Merkmal (Z 3) gegeben ist, wird das Vorliegen des Tatbestandes der Arbeitskräfteüberlassung angenommen. Auch wenn für die Klassifizierung als Werkvertrag an sich bereits die Kombination einzelner für den Werkvertrag typischer Sachverhaltselemente ausreichend sein mag, muß zur Abgrenzung von der Arbeitskräfteüberlassung die Erfüllung sämtlicher im Regelfall zutreffenden Merkmale (einschließlich des Fehlens bestimmter, auf eine Arbeitskräfteüberlassung hinweisenden Sachverhaltselemente) verlangt werden, um der Erfahrung Rechnung zu tragen, daß häufig die Überlassung von Arbeitskräften den eigentlichen Zweck des Werkvertrages bildet."

Bisherige Rechtsprechung von VwGH und OGH

In der Rechtsprechung setzte sich bislang insbesondere der VwGH mit § 4 AÜG iVm § 2 Abs 2 AuslBG auseinander. Der VwGH betonte mehrfach, dass Arbeitskräfteüberlassung gemäß § 4 Abs 2 AÜG auch dann vorliege, "wenn Arbeitskräfte unter den in dieser Bestimmung genannten Bedingungen Arbeitsleistungen im Betrieb eines Werkherstellers in Erfüllung eines Werkvertrages erbringen" (vgl zB VwGH 17. 11. 2004, 2001/09/0236, ARD 5567/2/2005). Für die Abgrenzung zwischen Werkverträgen, deren Erfüllung im Wege einer Arbeitskräfteüberlassung iSd § 4 Abs 2 AÜG stattfindet, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, erachtete der VwGH in einigen Entscheidungen grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung der Unterscheidungsmerkmale als notwendig. Das Vorliegen einzelner, auch für das Vorliegen eines Werkvertrags sprechender Sachverhaltselemente sei in diesem Sinne nicht ausreichend, wenn sich aus den Gesamtumständen unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Interessenlage Gegenteiliges ergebe (vgl ebenso zu § 4 AÜG iVm § 2 Abs 2 AuslBG VwGH 18. 11. 1998, 96/09/0281, ARD 5045/7/99).

Andererseits hat der VwGH in seinem - oft als "Leitentscheidung" zu § 4 AÜG iVm § 3 ASVG bezeichneten - Erkenntnis VwGH 22. 10. 1996, 94/08/0178, ARD 4797/9/96, hervorgehoben, dass § 4 AÜG klarstelle, dass selbst für den Fall des Vorliegens eines gültigen Werkvertrags zwischen Entsender und Beschäftiger dem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitnehmerüberlassung vorliegen könne, und zwar dann, wenn es den Vertragspartnern nach der atypischen Gestaltung des Vertragsinhalts erkennbar gerade auf die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften ankomme, und dass § 4 Abs 2 AÜG typisierend nach der Art unwiderleglicher Vermutungen festlege, wann dies jedenfalls der Fall sei. Bei Erfüllung jedes einzelnen der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG (argumento "oder") liege jedenfalls dem wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung iSd § 3 Abs 1 AÜG durch den Werkunternehmer als Überlasser (iSd § 3 Abs 2 AÜG) an den Werkbesteller als Beschäftiger (iSd § 3 Abs 3 AÜG) vor. Wenn in den im zweiten Halbsatz des § 4 Abs 2 AÜG genannten Fällen keines der Tatbestandsmerkmale der vier Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt sei, aber dennoch einige der in diesen vier Ziffern genannten oder ihnen gleichwertige Tatbestandsmomente gegeben seien, so schließe dies (argumento "insbesondere") nicht das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung aus. Die Arbeitskräfteüberlassung hänge dann aber - entsprechend dem § 4 Abs 1 AÜG - von einer jeweils im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung ab, ob dem wirtschaftlichen Gehalt nach dennoch die Überlassung von Arbeitskräften im Vordergrund stehe. In der Leitentscheidung führte der VwGH für seine Auffassung auch ins Treffen, dass die Gesetzesmaterialien eindeutig davon ausgingen, dass schon dann, wenn auch nur eines der Tatbestandsmerkmale der Z 1 bis 4 des § 4 Abs 2 AÜG gegeben ist, Arbeitskräfteüberlassung anzunehmen sei.

Die Rechtssätze dieser Leitentscheidung wurden vom VwGH in der Folge seiner ständigen Rechtsprechung zu § 4 AÜG sowohl iVm § 3 ASVG als auch § 2 Abs 2 AuslBG bzw § 7d AVRAG zugrunde gelegt (vgl aus vielen etwa VwGH 10. 3. 1998, 95/08/0345, ARD 4945/14/98, oder VwGH 21. 7. 2016, Ra 2016/11/0090, ARD 6519/8/2016).

Dieser Rechtsprechung schloss sich auch der erkennende Senat des OGH in der Entscheidung OGH 25. 8. 2014, 8 ObA 7/14h, ARD 6420/8/2014, an: Der Gesetzgeber stelle mit der Verwendung des Wortes "oder" in § 4 Abs 2 AÜG klar, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt schon dann der einer Arbeitskräfteüberlassung sei, wenn auch nur eines der demonstrativ aufgezählten Tatbestandselemente zutreffe. Diese Beurteilung sei unabhängig davon, ob die Vereinbarung zwischen dem Dienstgeber und seinem Auftraggeber zivilrechtlich als Werkvertrag einzustufen sei. Der Gesamtbeurteilung des Sachverhalts iSd § 4 Abs 1 AÜG bedürfte es nur dann, wenn durch den Tatbestand nicht ohnehin bereits einer der gesetzlichen Vermutungsfälle nach § 4 Abs 2 AÜG (in Verbindung mit dem Einleitungssatz dieser Bestimmung) zur Gänze erfüllt sei, sondern nur einzelne Elemente oder nicht in der Aufzählung enthaltende Umstände auf ein Leiharbeitsverhältnis hindeuteten.

Ablehnung der Judikatur in der Literatur

In der Literatur wurde seit Erlassung des AÜG fast ausnahmslos die Ansicht vertreten, § 4 Abs 2 AÜG müsse abweichend von seinem Wortlaut im Sinne einer Gesamtbetrachtung verstanden und danach entschieden werden, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliege. Dementsprechend stieß die an den Wortlaut des § 4 Abs 2 AÜG anknüpfende Rechtsprechung zumeist auf Ablehnung, dies auch insofern, als den Höchstgerichten vorgeworfen wurde, sich mit den Argumenten der herrschenden Lehre nicht befasst zu haben (vgl ua Andexlinger in RdW 1988, 391 ff; ders in ecolex 1997, 111 f; Kerschner in DRdA 1989, 134; Geppert, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz [1989] 56; Schrammel, Rechtsfragen der Ausländerbeschäftigung [1995] 89 f; Sacherer in Sacherer/B. Schwarz, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz² [2006], 133; ders in ZAS 2015/44; Rebhahn/Schörghofer in wbl 2012, 372; Schörghofer in ecolex 2015, 588; Rauch in ASoK 2016, 130; Schopper in ZRB 2017, 3 ff; Tinhofer in ZAS 2017, 127; Tomandl, Arbeitskräfteüberlassung³ [2017] 19 ff; Schrank in Schrank/Schrank/Lindmayr, Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz [2017] § 2 LSD-BG Rz 13; Mazal in FS Krejci 1597 f, 1604 ff).

Vereinzelt wurde der Rechtsprechung aber auch zugestimmt bzw für eine Mittellösung eingetreten (vgl Schindler in Brodil, Diener fremder Herren [2016] 81 [83 f]; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ [2018] § 4 AÜG Rz 5 f; Schneller in DRdA 2013, 436).

Hinweis

Hinweis: Eine ausführliche Zusammenfassung der unterschiedlichen Literaturmeinungen findet sich im Volltext der Entscheidung.

Rechtsprechung des EuGH und Änderung der Rechtsprechung in grenzüberschreitenden Fällen

Der EuGH führte in seinem Urteil vom 18. 6. 2015, C-586/13, Martin Meat, ARD 6454/7/2015, das die Folgen einer Verletzung des AuslBG betraf, wie folgt aus:

"Für die Feststellung, ob ein Vertragsverhältnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende als Arbeitskräfteüberlassung im Sinne von Art 1 Abs 3 Buchst c der Richtlinie 96/71/EG (...) über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen einzustufen ist, ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, ob der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den eigentlichen Gegenstand der Dienstleistung, auf den sich dieses Vertragsverhältnis bezieht, darstellt oder nicht. Einen Hinweis darauf, dass ein solcher Wechsel nicht der eigentliche Gegenstand der betreffenden Dienstleistung ist, stellen grundsätzlich ua der Umstand dar, dass der Dienstleistungserbringer die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich vereinbarten Leistung trägt, sowie der Umstand, dass es dem Dienstleistungserbringer freisteht, die Zahl der Arbeitnehmer zu bestimmen, deren Entsendung in den Aufnahmemitgliedstaat er für sachgerecht hält. Hingegen erlaubt der Umstand, dass das Unternehmen, dem die betreffende Leistung zugutekommt, kontrolliert, ob diese vertragsgemäß ist, oder allgemeine Anweisungen an die Arbeitnehmer des Dienstleistungserbringers erteilen kann, als solcher nicht die Schlussfolgerung, dass eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt."

Aufgrund dieses Urteils des EuGH änderte der VwGH mit seinem Erkenntnis VwGH 22. 8. 2017, Ra 2017/11/0068, ARD 6569/5/2017, in grenzüberschreitenden - und damit von der Entsende-RL erfassten - Fällen seine Rechtsprechung (statt vieler weiterer Entscheidungen vgl nur jüngst VwGH 25. 2. 2020, Ra 2018/11/0111, und VwGH 13. 7. 2020, Ra 2020/11/0099, ARD 6719/9/2020). Aus dem Urteil des EuGH ergebe sich, dass für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, aus unionsrechtlicher Sicht "jeder Anhaltspunkt" zu berücksichtigen sei und somit unter mehreren Gesichtspunkten (nach dem "wahren wirtschaftlichen Gehalt") zu prüfen sei. Im Speziellen seien dabei entsprechend dem Urteil des EuGH die Fragen von entscheidender Bedeutung, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle "gewährleistungstaugliche" Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werks jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten.

Anpassungsbedarf bei Inlandsfällen?

In der Literatur ist strittig, ob das Urteil des EuGH in der Rs Martin Meat, C-586/13, auch zu einer Änderung der Rechtsprechung zu Inlandsfällen zwingt. Dabei wird als Ausgangspunkt der Diskussion allgemein anerkannt, dass in reinen Inlandssachverhalten weder die europäischen Grundfreiheiten noch die Beitrittsverträge oder die Entsende-RL unmittelbar relevant sind und die Leiharbeits-RL einer weiteren nationalen Definition von Arbeitskräfteüberlassung nicht entgegensteht.

Nach überwiegender Ansicht käme es bei Beibehaltung der bisherigen nationalen Rechtsprechung bei Inlandssachverhalten und damit - abhängig davon, ob ein Auslands- oder ein Inlandssachverhalt vorliegt - einer gespaltenen Auslegung im Fall, dass nach dem Wortlaut des § 4 AÜG eine Arbeitskräfteüberlassung vorläge, nach den Kriterien des EuGH hingegen nicht, zu einer sachlich ungerechtfertigten Inländerdiskriminierung, weil österreichische Unternehmer strenger behandelt würden als im Ausland ansässige. Eine sachliche Rechtfertigung der Diskriminierung sei nicht ersichtlich und könne insbesondere nicht in einem höheren Arbeitnehmerschutz erblickt werden, der durch eine grenzüberschreitende Tätigkeit auch unterlaufen werden könnte. Um die Inländerdiskriminierung hintanzuhalten dürfe eine Arbeitskräfteüberlassung auch bei Inlandssachverhalten nur dann angenommen werden, wenn eine Arbeitskräfteüberlassung aufgrund einer Gesamtbetrachtung im Sinne des Urteils des EuGH in der Rs Martin Meat vorliege, somit nicht bloß deshalb, weil einer der Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt sei (vgl ua Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung - Langfristige Überlassung, Payrolling und die Abgrenzung zum Werkvertrag [2015] 208 ff; ders in DRdA 2018/28; Gleißner in Brodil, Diener fremder Herren [2016] 99 [101 f]; Brodil/Th. Dullinger in ZAS 2017/2; Krömer in ecolex 2017, 1187; Laback in Schrattbauer, AÜG [2020] § 4 Rz 31; Niksova in ZAS 2018/15; Schrank in LEAS 28.1.1.Nr.5; andere Ansicht Schindler in Brodil aaO [2016] 83 f; ders in ZellKomm³ § 4 AÜG Rz 3/1 und §§ 16, 16a AÜG Rz 14, wonach das Urteil des EuGH für innerösterreichische Sachverhalte keine Auswirkung hat).

OGH hält an bisheriger Rechtsprechung fest

Ausgehend davon sieht der OGH grundsätzlich keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 4 Abs 2 AÜG abzugehen und begründet dies folgt:

Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Aus dem Wort "oder" in Verbindung mit der Wendung, dass Arbeitskräfteüberlassung "insbesondere auch vor[liegt], wenn ...", ergibt sich zwingend, dass jeder der vier im Folgenden vom Gesetzgeber aufgezählten Tatbestände (Fälle) zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung führt. Dieses Verständnis war - wie aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich - auch jenes des historischen Gesetzgebers. § 4 Abs 2 AÜG konkretisiert zu Verhinderung von Umgehungskonstruktionen die wirtschaftliche Betrachtungsweise.

Die Kritik an der Rechtsprechung und dem Gesetzgeber ist verständlich, wenn man § 3 AÜG als Darstellung von Rechtsgeschäften (Abs 1: "... Zurverfügungstellung von Arbeitskräften ..."; Abs 2: "... wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet ...") versteht und einen "Beschäftiger" nur dort annimmt, wo jemandem die typischen Arbeitgeberbefugnisse übertragen werden. Dieser Ansatz kommt aber schon bei § 3 Abs 4 AÜG an seine Grenzen, bei dem der Begriff der Arbeitskräfte auf arbeitnehmerähnliche Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, erweitert wird (unerörtert bleiben können hier die Tatbestandsvoraussetzungen einzelner Bestimmungen des AÜG). § 4 Abs 1 AÜG ordnet dann ja auch deutlich an, dass es um den "wahren wirtschaftlichen Gehalt" - also nicht die Vertragskonstruktion und auch nicht die "äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes" - geht. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise rechtfertigt sich auch aus dem Ziel des AÜG, nicht nur die überlassenen Arbeitskräfte, sondern auch die Stammarbeitnehmer zu schützen und arbeitsmarktpolitisch nachteilige Entwicklungen zu vermeiden. Dem Ansatz einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt insoweit gerade bei der zentralen Anordnung des AÜG zur Sicherung des Niveaus der kollektivvertraglichen Ansprüche in den Beschäftigerbetrieben Bedeutung zu (§ 10 AÜG; vgl im Übrigen § 9 Abs 3 ArbVG).

Insoweit ist es für den OGH auch schlüssig, wenn nach § 4 Abs 2 AÜG, "insbesondere auch" dann Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, wenn die Erbringung von Arbeitsleistungen "im Betrieb des Werkbestellers" in Erfüllung von Werkverträgen erfolgt, aber kein "von den Produkten ... des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk" erstellt wird oder die Arbeiten nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers geleistet werden. Dass in jedem dieser Fälle dieser Faktor "wirtschaftlich" (§ 4 Abs 1 AÜG) so relevant sein muss, dass dies die Gleichstellung rechtfertigt, erfordert noch nicht eine Gesamtbetrachtung, schließt diese aber auch nicht aus, vermeidet aber die in der Kritik genannten Befürchtungen, dass schon das Zurverfügungstellen eines Isolierbandes an einen beauftragten Elektriker zur Annahme einer Arbeitskräfteüberlassung nach § 4 Abs 2 Z 2 AÜG führen könnte. Weder zu 8 ObA 7/14h (Prüfung von Werkteilen im Betrieb) noch 8 ObA 6/16i (Sachbearbeiter im Betrieb) lag ein abweichendes unterscheidbares "Produkt" vor. Dieses setzt wohl voraus, dass - auch außerhalb der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen - wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden, die es sinnhaft erscheinen lassen, die Leistungen als eigenes Werk allgemein am Markt anzubieten oder zu beziehen. Dies kann wohl bei den in der Kritik genannten im Betrieb eines Auftraggebers erbrachten Leistungen eines Softwareunternehmens oder eines Reinigungsunternehmens nicht ausgeschlossen werden.

Anhand der Vorschrift des § 4 Abs 2 AÜG kann der Arbeitnehmer zudem leicht ermitteln, ob sein Arbeitsverhältnis den Vorschriften über die Arbeitskräfteüberlassung unterliegt. Käme es insofern primär auf den Vertrag zwischen seinem Arbeitgeber und dem Unternehmen, in dessen Betrieb er seine Arbeit erbringt an, so wäre dies für ihn mit beträchtlicher Rechtsunsicherheit verbunden, zumal er in die diesbezügliche Vereinbarung gerade nicht eingebunden ist und sie für ihn daher in der Regel auch im Dunkeln liegt.

Eine richtlinienkonforme Auslegung darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]). Das Verbot des Judizierens contra legem gilt gleichermaßen für die verfassungskonforme Interpretation (1 Ob 9/03k [Pkt 3.2]). Gleichgültig, ob die in der Literatur verbreitete Forderung, eine Arbeitskräfteüberlassung nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt ist, sondern nur dann, wenn sie nach einer Gesamtbetrachtung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliege, methodisch auf einer richtlinienkonformen oder - zur Vermeidung einer allenfalls unzulässigen Inländerdiskriminierung - verfassungskonformen Interpretation beruhen sollte, vermag der OGH aufgrund des strikten Wortlauts von § 4 Abs 2 AÜG dieser Forderung de lege lata nicht näherzutreten. Dies ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, auch bei Beachtung der EuGH-Entscheidungen nicht erforderlich.

Nach dem vom OGH weiterhin vertretenen Verständnis liegt im vorliegenden Fall eine Arbeitskräfteüberlassung vor. Dies ergibt sich ansatzweise schon daraus, dass die Klägerin die Arbeit im Betrieb der Brauerei nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug der Beklagten leistete (§ 4 Abs 2 Z 2 AÜG), vor allem aber daraus, dass kein abweichendes unterscheidbares, der Beklagten zurechenbares Produkt vorliegt (§ 4 Abs 2 Z 1 AÜG). Für die Qualifizierung als Arbeitskräfteüberlassung spricht auch, dass die B**** entscheidet, ob sie gerade mehr oder weniger Flaschen braucht, und sie das der Teamvorgesetzten S**** mitteilt, die den Wunsch umsetzt, indem sie die Arbeitnehmer entsprechend anweist. Es macht bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen Unterschied, ob die einzelnen Arbeitnehmer direkt von einem B****-Vertreter Anweisungen erhalten, oder ob dazwischen noch eine Hierarchieebene auf Beklagtenseite eingezogen wird, die ihrerseits Weisungen der B**** entgegennimmt und formal als von der Beklagten stammend einfach weitergibt. In beiden Fällen verfügt die B**** über den Einsatz der Arbeitskräfte so, wie wenn es ihre eigenen wären.

Keine Inländerdiskriminierung

Selbst wenn das Beibehalten der bisherigen Rechtsprechung zu einer Inländerdiskriminierung führen sollte, wäre zu prüfen, ob diese nicht sachlich gerechtfertigt wäre. Ob es dazu ausreicht, dass schon aufgrund der Entfernungen rein inländische Arbeitskräfteüberlassungen ungleich häufiger als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassungen vorkommen, und es dem Gesetzgeber wohl darum ging, einfache Kriterien aufzustellen, bei denen aufgrund ihrer Typizität unwiderlegbar das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung vermutet wird, wäre näher zu prüfen. Es wäre der Beklagten aber freigestanden, nach ihrer Ansicht allenfalls vorliegende Zweifel an der sachlichen Rechtfertigung einer ihrer Beurteilung nach vorliegenden Inländerdiskriminierung zum Anlass zu nehmen, einen Parteiantrag auf Normenkontrolle zwecks Aufhebung des § 4 Abs 2 Z 1, 2, 3 und/oder 4 AÜG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, was sie aber unterließ.

Für den OGH liegt aber ohnedies (entgegen der Ansicht der Beklagten) keine Inländerdiskriminierung vor:

Die RL 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-RL) wäre - hätte die Beklagte zB in der Slowakei ihren Sitz - aufgrund von Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Satz 2 der (Änderungs-)Richtlinie (EU) 2018/957 im vorliegenden Fall noch in ihrer Stammfassung anzuwenden.

Die Entsende-RL 96/71/EG enthält in ihrem Art 3 Abs 1 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für alle in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Ortes der Arbeitsleistungen ua hinsichtlich der Mindestlöhne und der Bedingungen für Leiharbeitsunternehmen zu garantieren. § 6 Abs 2 LSD-BG legt fest, dass die für gewerblich überlassene Arbeitskräfte geltenden Kollektivverträge auch für aus dem Ausland überlassene Arbeitskräfte gelten. Art 3 Abs 9 der RL 96/17/EG legt noch "zusätzlich" fest, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass alle für Leiharbeitsunternehmen geltenden Bedingungen anzuwenden sind. § 6 Abs 3 LSD-BG ordnet an, dass das AÜG und vergleichbare österreichische Rechtsvorschriften auch für grenzüberschreitend überlassene Arbeitskräfte gelten.

Die Entsende-RL 96/71/EG gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden. Nach Art 1 Abs 3 findet die Entsenderichtlinie Anwendung, "soweit die in Abs 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen:

a) einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder
b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder
c) als Leiharbeitsunternehmen oder als einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellendes Unternehmen einen Arbeitnehmer in ein verwendendes Unternehmen entsenden, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht."

Nach dem Urteil des EuGH in der Rs Martin Meat, C-586/13, liegt eine Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c der Entsende-RL vor, wenn drei Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind (Rz 33): "Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird. Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist. Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen."

Die erste Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offenkundig erfüllt. Die zweite Voraussetzung erfordert nach dem EuGH eine Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens. Dabei ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstellt oder nicht darstellt. Insbesondere ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Dienstleistungserbringer nicht die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt.

Nach dem VwGH soll es deshalb darauf ankommen, ob der für einen Werkvertrag essenzielle "gewährleistungstaugliche" Erfolg vereinbart wurde, "nach welchen die für den Werkvertrag typischen Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden können" (vgl VwGH 2013/09/0097). Dem ist insofern beizupflichten, als der EuGH erkennbar aus dem Umstand, dass ein Unternehmen dem anderen für eine Schlechtleistung einzustehen hat, ableitet, dass es diesfalls eben nicht nur dem anderen Unternehmen die Arbeitskräfteüberlassung schuldet, sondern vielmehr die Abarbeitung eines Auftrags.

Im zu beurteilenden Fall war zwischen der Beklagten und der B**** vereinbart, dass die Beklagte der B**** die "palettenweise Lieferung von sortierten Bierflaschen mit funktionstüchtigen Schnellverschlüssen" schuldet. Zu diesem Zweck muss sie nach dem Vertrag die ihr von der B**** zur Verfügung gestellten (gebrauchten) Flaschen sortieren und (gegebenenfalls) reparieren. Als Preis je (sortierter und gegebenenfalls reparierter) Flasche wurde bei Bestellungen einer Mindestmenge von 2,5 Millionen Flaschen pro Jahr € 0,024 vereinbart. Die Beklagte als "Dienstleistungserbringer" hatte damit iSd Rz 35 des Urteils des EuGH in der Rs Martin Meat die "Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung" zu tragen, weil sie nur pro (ordnungsgemäß) sortierter und gegebenenfalls (ordnungsgemäß) reparierter Flasche das vereinbarte Entgelt erhielt. Eine Subsumtion des Sachverhalts (hätte sich dieser grenzübergreifend ereignet) unter die lit c des Art 1 Abs 3 Entsende-RL wäre daher wohl nicht möglich.

Damit wäre die Anwendbarkeit der Entsende-RL nach ihrem Art 1 Abs 3 lit a und b zu prüfen.

Die lit a erfasst alle Fälle, in denen Unternehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags mit einem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger entsenden. Weder die Rechtsnatur noch die Natur der Dienstleistung ist entscheidend. Soweit also eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit releviert würde, könnte die Anwendung von § 3, § 4 und § 10 AÜG auch auf diese Bestimmung gestützt werden.

Näher liegt hier aber noch die Prüfung nach der lit b des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG. Dieser Fall nennt folgende länderübergreifende Maßnahme, bei deren Vorliegen die Richtlinie Anwendung findet, soweit sie von einem in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen gesetzt wird: "b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht".

Nach dem Vorschlag der Kommission für die Entsende-RL könnte ein Verzicht auf Art 1 Abs 3 lit b die ganze Richtlinie zur Bedeutungslosigkeit verurteilen. Ein Unternehmen bräuchte nur eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen und einige seiner Arbeitnehmer zur Erbringung einer zeitlich befristeten Arbeitsleistung dieser Niederlassung oder Tochtergesellschaft zuzuweisen, um nicht mehr an die Richtlinie gebunden zu sein (KOM [91] 230 endg 15). Somit soll lit b (auch) Umgehungstatbestände erfassen. Lit b erfasst jedenfalls Fälle, in denen dem Muster von lit a folgend der Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer einen Auftrag annimmt, den er mit seinen Arbeitnehmern in der Zweigniederlassung oder dem anderen zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen erledigt.

Weil eine Niederlassung reicht, ist nicht zwingend erforderlich, dass der Dienstleistungsempfänger eine bestimmte Rechtsform annimmt. Nach der Judikatur des EuGH zu Art 49 AEUV ist der Begriff der Niederlassung ein sehr weiter, der die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der selbstständigen Tätigkeiten gefördert wird. Die Aufrechterhaltung einer ständigen Präsenz in einem Mitgliedstaat durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen kann daher den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit unterliegen, auch wenn diese Präsenz nicht die Form einer Zweigniederlassung oder einer Agentur angenommen hat, sondern lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, das gegebenenfalls von einer Person geführt wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln (vgl EuGH 8. 9. 2010, C-316/07, Stoß ua, Rz 59). Die Niederlassungsfreiheit findet damit Anwendung, wenn Dritte als verlängerter Arm des Unternehmens und damit "wie eine Agentur" fungieren.

Diesen Maßstab zu Grunde gelegt wäre im vorliegenden Fall - hätte sich der Sachverhalt grenzüberschreitend ereignet - ein Fall der lit b des Art 1 Abs 3 Entsende-RL zu bejahen: Nimmt man die Weisungsfreiheit der Klägerin ernst, handelte diese gegenüber der B**** unabhängig, aber auf Dauer als verlängerter Arm der Beklagten. Ferner hatte sich nach den Feststellungen in der alten Halle ein Schild mit der Aufschrift "S****" befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Beklagten abzugrenzen. Es wurde zwar nach rund zwei Wochen entfernt, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen. Durch seine Anbringung zielte die Beklagte aber erkennbar darauf ab, einen Betriebsteil und damit eine Niederlassung zu errichten. Es lag eine "Fabrik in der Fabrik" vor. Damit wäre auch unter Annahme eines grenzüberschreitenden Sachverhalts die Entsende-RL anzuwenden.

Wie bereits ausgeführt sieht die Entsende-RL 96/71/EG in Art 3 Abs 1 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, für alle in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Ortes der Arbeitsleistungen, ua hinsichtlich der Mindestlöhne und der Bedingungen für Leiharbeitsunternehmen, zu garantieren.

Nach Abs 10 des Art 3 der RL 96/71/EG können die Mitgliedstaaten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen festgelegt sind, auch auf andere als die im Anhang genannten (Bau-)Tätigkeiten ausdehnen. Es ist nun nicht ersichtlich, warum die Anordnung der Geltung der für das Gewerbe der Leiharbeitsunternehmen geltenden kollektivvertraglichen Mindestlöhne in § 6 Abs 3 LSD-BG bei dauerhaften Beschäftigungen wie den vorliegenden nicht schon aufgrund der lit c des Art 3 Abs 1 der RL 96/71/EG mit der Dienstleistungsfreiheit in Übereinstimmung stehen sollte (vgl auch Art 3 Abs 1 und Abs 1a der ÄRL 2018/957). Welche Art der Entsendung iSd Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG vorliegt, ist bei dauerhaften Entsendungen insoweit irrelevant (vgl zu den zeitlichen und inhaltlichen Untergrenzen etwa die Abs 2 bis 6 des Art 3 der RL 96/71/EG). Dass im Ergebnis für "Entsendungen" im Rahmen von Leiharbeitsunternehmen vom EuGH und dem nun folgend auch vom VwGH der Begriff des Leiharbeitsunternehmens nach Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/EG offenbar enger als in § 4 Abs 2 AÜG verstanden wird, ist insoweit ohne Bedeutung, weil sich die Anwendung gar nicht auf die lit c des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG stützen muss.

Eine Inländerdiskriminierung liegt damit nicht vor.

Dass ausgehend von der Anwendung des § 4 Abs 2 AÜG in der bisherigen höchstgerichtlichen Auslegung sich die Klagsforderung als berechtigt erweist, ist vor dem OGH nicht strittig. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Artikel-Nr.
ARD digital exklusiv 2021/15

11.02.2021