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AlVG: KV-Lohn – unzumutbarer Abzug für Reinigung der Dienstkleidung

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

AlVG: § 9, § 10

Sieht ein Kollektivvertrag (hier: KV der Sozialwirtschaft Österreich [BAGS-KV]) die Zahlung von Mindestentgelten in Geld vor, so ist aufgrund des zwingend anzuwendenden Geldzahlungsgebots die Vereinbarung eines Abzugs vom kollektivvertraglichen Mindestentgelt (hier: iHv € 14,- monatlich für die Reinigung der Arbeitskleidung) unzulässig und liegt somit eine unterkollektivvertragliche Entlohnung vor. Wird einem Arbeitslosen ein Dienstverhältnis mit einer solchen unterkollektivvertraglichen Entlohnung angeboten (hier: als Transitarbeitskraft in einem Sozialökonomischen Betrieb), so ist die Annahme eines solchen Vertragsangebots dem Arbeitslosen nicht zumutbar und führt die Verweigerung der Unterzeichnung des Dienstvertrages nicht zum Verlust des Arbeitslosengeldes bzw der Notstandshilfe.

VwGH 1. 6. 2017, Ra 2016/08/0120

Sachverhalt

Der Revisionswerber ist gelernter Dreher mit langjähriger Berufserfahrung in diesem Beruf. Nach einem Arbeitstraining in einem Sozialökonomischen Betrieb wurde ihm von diesem Unternehmen ein befristetes Arbeitsverhältnis auf einem Transitarbeitsplatz in der Metallwerkstätte zum kollektivvertraglichen Mindestentgelt für diese Tätigkeit angeboten (€ 1.373,60 brutto nach dem anzuwendenden KV der Sozialwirtschaft Österreich – BAGS-KV).

Der Dienstvertrag sah vor, dass vom Arbeitsentgelt monatlich ein Betrag von € 14,- für die Reinigung des Arbeitsgewandes abgezogen wird. Der Revisionswerber beanstandete diese Regelung und verweigerte eine Unterzeichnung des Dienstvertrages, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass eine Änderung des Vertrages nicht in Betracht komme.

Das AMS verweigerte dem Revisionswerber daraufhin für einen Zeitraum von 6 Wochen die Notstandshilfe und auch das BVwG wies seine Beschwerde als unbegründet ab, weil die Annahme der Beschäftigung dem Revisionswerber zumutbar gewesen sei.

Der VwGH ließ die Revision zur Klärung der Rechtsfrage zu, ob ein Bezieher von Notstandshilfe eine Vereinbarung wie im vorliegenden Fall hinnehmen müsse, um nicht seinen Anspruch auf Notstandshilfe zu verwirken. Die Revision erwies sich auch als berechtigt.

Entscheidung:

Transitarbeitsplatz

In seinen Entscheidungsgründen stellt der VwGH ua klar, dass der Gesetzgeber in § 9 Abs 7 AlVG ausdrücklich auch „ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP)“ als (zumutbare) Beschäftigung erklärt hat und ein Verhalten iSv § 10 Abs 1 AlVG (Verweigerung oder Vereitelung einer Beschäftigung oder Nichtannahme einer vom Sozialökonomischen Betrieb angebotenen Beschäftigung) zum Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe führen kann.

Ein angebotenes Dienstverhältnis als „Transitarbeitskraft“ wäre daher vom Arbeitslosen – bei Vorliegen der weiteren Zumutbarkeitsvoraussetzungen – grundsätzlich einzugehen. Die Zumutbarkeit der Beschäftigung ist aber (schon nach dem Wortlaut des § 9 Abs 7 AlVG) „der erforderlichen Beurteilung im Einzelfall“ zu unterziehen (vgl VwGH 2. 5. 2012, 2012/08/0077, ARD 6301/6/2013), woraus folgt, dass sie insbesondere den Kriterien des § 9 Abs 2 AlVG entsprechen muss.

Entlohnung unter KV unzumutbar

Im vorliegenden Fall sollte ein Dienstverhältnis begründet werden, auf das der KV der Sozialwirtschaft Österreich (BAGS-KV) zur Anwendung gekommen wäre.

Sind Normen der kollektiven Rechtsgestaltung auf ein zugewiesenes Beschäftigungsverhältnis anwendbar, stellen diese Normen den verbindlichen Maßstab für die Beurteilung der „angemessenen Entlohnung“ der Beschäftigung iSd § 9 Abs 2 AlVG dar (vgl VwGH 11. 6. 2014, 2013/08/0084, ARD 6424/15/2014) und das Angebot einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung lässt die zugewiesene Beschäftigung – trotz der rechtlichen Durchsetzbarkeit des kollektivvertraglichen Mindestlohnes – als unzumutbar erscheinen (vgl VwGH 18. 12. 2003, 99/08/0121).

Im konkreten Fall war die angebotene unterkollektivvertragliche Entlohnung somit nach Ansicht des VwGH nicht zumutbar und der Tatbestand des § 10 Abs 1 Z 1 AlVG daher nicht verwirklicht:

Im Geltungsbereich eines KV sind vertragliche Dispositionen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Ansehung der dort geregelten Mindestentgelte nicht zulässig. Diese Mindestentgelte sind idR in Geldbeträgen festgelegt und insoweit daher auch zwingend in Geld zu entrichten. Das im Bereich kollektivvertraglicher Mindestentgelte geltende Geldzahlungsgebot schließt – ungeachtet aller Günstigkeitsüberlegungen – in diesem Bereich abweichende Sondervereinbarungen (§ 3 Abs 1 zweiter Satz ArbVG) aus.

Nicht erheblich ist nach der Rsp dabei auch, ob der Marktwert der vom Arbeitgeber tatsachlich gewährten Naturalbezüge im Ergebnis höher ist als jener Teil des Barentgelts, an dessen Stelle die Sachbezüge geleistet werden sollten (vgl VwGH 17. 11. 2004, 2002/08/0089, ARD 5566/12/2005, bzw auch OGH 27. 8. 2015, 9 ObA 92/15t, ARD 6470/5/2015). Eine Vereinbarung, wonach aus dem ausbezahlten Mindestentgelt bestimmte mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehende Spesen zu decken sind, ist unzulässig (vgl OGH 16. 9. 1986, 14 Ob 122/86).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24078 vom 22.08.2017