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Arbeitslosengeld: Verlängerung der Widerrufsfrist

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

AlVG: § 24, § 25

1. Ein Widerruf oder eine Berichtigung des Arbeitslosengeldes ist gem § 24 Abs 2 AlVG „nach Ablauf von drei Jahren nach dem jeweiligen Anspruchs- oder Leistungszeitraum nicht mehr zulässig“; korrespondierend dazu besteht eine Verpflichtung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen gem § 25 Abs 6 AlVG „nur, wenn eine solche innerhalb von drei Jahren nach dem jeweiligen Leistungszeitraum verfügt wird“. Gleichlautend sehen beide Bestimmungen vor, dass sich die „Frist von drei Jahren nach dem Anspruchs- oder Leistungszeitraum verlängert [...], wenn die zur Beurteilung des Leistungsanspruches erforderlichen Nachweise nicht vor Ablauf von drei Jahren vorgelegt werden (können), bis längstens drei Monate nach dem Vorliegen der Nachweise“.

Dazu stellt der VwGH nun klar, dass es auf das tatsächliche Vorliegen der Nachweise ankommt und sich die Frist auch dann verlängert, wenn die Nachweise innerhalb der letzten drei Monate der Dreijahresfrist vorliegen; diesfalls verlängert sich die Gesamtfrist im Ergebnis um weniger als drei Monate.

2. Unter „Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ iSd §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG ist der (Kalender-)Monat (bzw Teil eines Monats) zu verstehen, für den ein Anspruch auf die Leistung besteht bzw für den eine solche bezogen wird. Die Dreijahresfrist ist daher ab jedem Anspruchs- bzw Leistungsmonat (bzw Teil des Monats) zu berechnen.

Eine „jahresweise“ Betrachtung ist auch bei selbstständig Erwerbstätigen nicht erforderlich: Auch wenn sich der Nachweis der Einkünfte auf ein gesamtes Kalenderjahr bezieht (wie hier der Einkommensteuerbescheid), verlängert sich die Dreijahresfrist ab dem Vorliegen des Nachweises und ein Widerruf bzw eine Rückforderung ist (innerhalb von drei Monaten ab Vorliegen des Nachweises) auch noch für Leistungszeiträume möglich, für die die Dreijahresfrist grds schon abgelaufen wäre.

VwGH 14. 11. 2018, Ra 2018/08/0088

Sachverhalt

Der Mitbeteiligte bezog im Kalenderjahr 2014 vom 1. 2. bis zum 4. 9. und nach einem Kontrollmeldeversäumnis wieder vom 9. 9. bis zum 17. 9. Arbeitslosengeld. Daneben war er als Zumba-Trainer selbstständig erwerbstätig.

Im Jahr 2017 erhob das AMS die Einkommensteuerdaten des Mitbeteiligten für das Jahr 2014. Daraus ging hervor, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb über der maßgeblichen Geringfügigkeitsgrenze des Jahres 2014 lagen. Das AMS widerrief daher mit Bescheid vom 15. 9. 2017 die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für die Zeiträume 1. 2. bis 4. 9. und 9. 9. bis 17. 9. 2014 und verpflichtete den Mitbeteiligten zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes.

In seiner Beschwerde gegen diesen Bescheid machte der Mitbeteiligte va geltend, dass der Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengeldes außerhalb der dreijährigen Frist nach § 24 Abs 2 und § 25 Abs 6 AlVG erfolgt seien, hätten doch die beiden Leistungszeiträume am 4. bzw 17. 9. 2014 geendet.

Das BVwG gab der Beschwerde Folge und behob den Bescheid des AMS ersatzlos; es ging davon aus, dass das AMS „laut nachgewiesenen eigenen Angaben spätestens am 8. 8. 2017“ Kenntnis vom Einkommensteuerbescheid 2014 erlangt habe, der Widerrufs- und Rückforderungsbescheid am 19. 9. 2017 zugestellt worden sei und sich der „Widerrufs- und Rückforderungszeitraum“ vom 19. 9. 2014 bis 19. 9. 2017 „beläuft“. Der Widerruf und die Rückforderung seien „sohin“ bereits verjährt.

Wegen des Fehlens von Rsp zu den Verjährungsbestimmungen des § 24 Abs 2 und § 25 Abs 6 AlVG idF des SVÄG 2017, BGBl I 2017/38, war die Revision des AMS zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

Entscheidung

Fristverlängerung ab Vorliegen der Nachweise

§ 24 Abs 2 AlVG und § 25 Abs 6 AlVG erhielten ihre derzeitige Fassung durch das SVÄG 2017, BGBl I 2017/38, ARD 6543/15/2017. Aus dem Gesetzestext und den ErläutRV 1474 BlgNR 25. Gp 4 geht hervor, dass die dreijährige Frist für den Widerruf (bzw die Berichtigung) und die Rückforderung von Leistungen sich verlängert, wenn die zur Beurteilung des Leistungsanspruchs erforderlichen Nachweise nicht innerhalb dieser Frist „vorgelegt“ werden – sei es, weil sie noch nicht vorhanden sind, sei es, weil die arbeitslose Person ihre Verpflichtung zur Vorlage verletzt hat. Die Verlängerung der Frist erfolgt dabei um „längstens drei Monate nach dem Vorliegen der Nachweise“. Dabei kommt es darauf an, dass die Nachweise dem AMS tatsächlich vorliegen: Das Gesetz stellt weder darauf ab, ob das AMS sich durch eigene Abfragen schon früher entsprechende Kenntnisse verschaffen hätte können, noch normiert es eine weitere Fristverlängerung, wenn die Nachweise dem AMS zwar vorliegen, die arbeitslose Person aber ihrer Mitwirkungspflicht (vgl §§ 36c und 50 AlVG) nicht nachgekommen ist.

Im vorliegenden Fall lagen die Einkommensteuerdaten dem AMS nach dessen Angaben am 8. 8. 2017 vor, nach den Behauptungen des Mitbeteiligten schon am 9. 3. 2017. Das BVwG hat diesen Daten – auf Basis seiner falschen Rechtsansicht – keine Bedeutung zugemessen, sondern ist von einem Vorliegen „spätestens“ am 8. 8. 2017 ausgegangen. Dem strittigen Zeitpunkt des Vorliegens der Einkommensteuerdaten kommt aber entscheidende Bedeutung zu:

Vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks, eine Vereitelung von Widerruf und Rückforderung durch Verzögerung der Vorlage von Nachweisen zu verhindern, bejaht der VwGH zunächst die Frage, ob eine Verlängerung der Frist von „drei Jahren nach dem Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ auch dann stattfindet, wenn die Vorlage der Nachweise innerhalb der letzten drei Monate der Dreijahresfrist erfolgt: Werden Nachweise etwa erst am letzten Tag der Dreijahresfrist vorgelegt, so führte dies nach dem vom Gesetzeswortlaut zunächst nahegelegten Verständnis zu keiner Verlängerung der Frist, obwohl das AMS keine realistische Chance hat, den Widerruf bzw die Rückforderung durchzuführen. Dieses Ergebnis ist sachlich nicht zu rechtfertigen und würde Missbrauch ermöglichen; es kann dem Gesetzgeber daher nicht unterstellt werden.

Vielmehr deutet nicht zuletzt auch die Formulierung „längstens drei Monate“ darauf hin, dass dem AMS auch in dem dargestellten Fall drei Monate ab Vorlage für die Erlassung eines Widerrufs- oder Rückforderungsbescheides in Bezug auf den Leistungszeitraum zur Verfügung stehen soll, wodurch sich freilich die Gesamtfrist um weniger als drei Monate verlängert.

„Anspruchs- oder Leistungszeitraum“

Weiters hatte der VwGH zu klären, was unter dem „Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ zu verstehen ist. Eine diesbezügliche Definition lässt sich weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien entnehmen.

Da Geldleistungen nach dem AlVG gemäß § 51 Abs 2 AlVG grundsätzlich monatlich ausgezahlt werden, liegt es aber nahe, unter „Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ iSd §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG ebenfalls den (Kalender-)Monat (bzw den Teil eines Monats) zu verstehen, für den ein Anspruch auf die Leistung besteht bzw für den eine solche bezogen wird. Die Dreijahresfrist ist daher ab jedem Anspruchs- bzw Leistungsmonat (bzw Teil des Monats) zu berechnen.

Eine „jahresweise“ Betrachtungsweise ist dagegen nach Ansicht des VwGH auch bei selbstständig Erwerbstätigen nicht erforderlich: Wird ein Nachweis verspätet vorgelegt, der sich auf ein gesamtes Kalenderjahr bezieht, so verlängert sich die Widerrufs-/Rückforderungsfrist um drei Monate nach Vorliegen des Nachweises, sodass eine Rückforderung für den gesamten betroffenen Zeitraum ermöglicht wird.

Fehlende Feststellungen

Im vorliegenden Fall sind die maßgeblichen Leistungszeiträume die Monate Februar bis August 2014 (dreijährige Widerrufs-/Rückforderungs somit regulär jeweils bis zum Ende der Monate Februar bis August 2017) sowie der September 2014 bis zum 17. dieses Monats (dreijährige Widerrufs-/Rückforderungsfrist somit regulär bis zum 17. 9. 2017).

Ausgehend vom Vorliegen der Einkommensteuerdaten am 9. 3. 2017 (laut Vorbringen des Mitbeteiligten) wäre die Frist hinsichtlich der Monate Februar, März, April und Mai 2014 am 9. 6. 2017 abgelaufen, hinsichtlich der übrigen Monate wäre es beim regulären Fristende geblieben.

Ausgehend vom Vorliegen der Einkommensteuerdaten erst am 8. 8. 2017 (laut Angaben des AMS) wäre die Frist am 8. 11. 2017 abgelaufen. Widerruf und Rückforderung mit dem am 19. 9. 2017 zugestelltem Bescheid wären daher zur Gänze rechtzeitig gewesen.

Da das BVwG keine Feststellungen zum Zeitpunkt des tatsächlichen Vorliegens der Einkommensteuerdaten beim AMS getroffen hat, hat der VwGH das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26924 vom 04.03.2019