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Besondere Arbeitsplatzevaluierung für Menschen mit Behinderungen

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

ASchG: § 4 Abs 2, § 6

Bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer (Arbeitsplatzevaluierung) sind insbesondere auch „besonders gefährdete oder schutzbedürftige Arbeitnehmer“ (va schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen, Jugendliche und Behinderte) zu berücksichtigen und ist zu ermitteln und zu beurteilen, inwieweit sich an bestimmten Arbeitsplätzen oder bei bestimmten Arbeitsvorgängen spezifische Gefahren für diese Arbeitnehmergruppe ergeben können. Dabei liegt dem ASchG ein weites Verständnis des Begriffs „Behinderung“ zugrunde - umfasst werden etwa auch Krankheiten wie Diabetes, Asthma oder sonstige Lungenfunktionserkrankungen, weil auch diese Krankheiten besondere Schutzmaßnahmen erforderlich machen können.

VwGH 20. 11. 2015, Ra 2015/02/0131

Sachverhalt

Über den handelsrechtlichen Geschäftsführer einer GmbH wurde eine Geldstrafe von insgesamt € 1.000,- verhängt, weil in Bezug auf die Beschäftigung von zwei als behindert bekannten Arbeitnehmerinnen keine Maßnahmen unter Bedachtnahme auf deren körperliche und psychische Bedürfnisse ermittelt, beurteilt oder dokumentiert worden seien. Die körperlichen Einschränkungen der beiden Arbeitnehmerinnen (einerseits feinmotorische Störungen nach einem Schlaganfall und andererseits eine psychische Erkrankung) waren dem Arbeitgeber bekannt und er bezog vom Land Steiermark für die beiden Mitarbeiterinnen einen Lohnkostenzuschuss nach dem Stmk Behindertengesetz. Eine allgemeine Arbeitsplatzevaluierung gemäß § 4 ASchG wurde zwar durchgeführt, dabei jedoch nicht speziell auf die besonderen Bedürfnisse der beiden behinderten Arbeitnehmerinnen Bedacht genommen; auch wurden keine Maßnahmen festgelegt (zB Befreiung von bestimmten Tätigkeiten oder Unterstützung bei deren Ausführung) und schriftlich dokumentiert.

Gegen die Vorschreibung der Geldstrafe richtet sich die Beschwerde des Geschäftsführers.

Entscheidung

Bei der Evaluierung etwaiger Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verlangt § 4 Abs 2 ASchG auch die Berücksichtigung von „besonders gefährdeten oder schutzbedürftigen Arbeitnehmer“. Dieser Begriff wird im ASchG nicht definiert und aus den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung des § 4 Abs 2 ist zu entnehmen, dass zu den „besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen“ nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen, Jugendliche und Behinderte zählen (vgl RV 1590 BlgNR 18. GP, 73).

Nun ist aber den Bestimmungen des ASchG auch keine Definition des Begriffs „Behinderter“ bzw „Behinderung“ zu entnehmen und der VwGH verweis zunächst darauf, dass die österreichische Rechtsordnung verschiedene „Behinderungsbegriffe“ kennt und zB im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (§ 3) bewusst eine weite Definition gewählt wurde, die ua auch Fälle einer Ungleichbehandlung aufgrund einer diagnostizierten, aber noch nicht virulenten Multiplen Sklerose oder einer HIV Diagnose ohne Merkmale von AIDS einschließt (vgl RV 836 BlgNR 22. GP, 6 f).

Auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 6 Abs 5 ASchG, der auf die Beschäftigung von „behinderten Arbeitnehmern“ Bezug nimmt, ergibt sich, dass dem ASchG ebenfalls ein weites Verständnis des Begriffes „Behinderung“ zugrunde liegt. Umfasst werden sollen etwa auch Krankheiten wie Diabetes, Asthma oder sonstige Lungenfunktionserkrankungen, weil auch diese Krankheiten besondere Schutzmaßnahmen erforderlich machen können (vgl RV 1590 BlgNR 18. GP, 75).

Für den konkreten Fall hält der VwGH daher fest, dass den beiden Arbeitnehmerinnen unstrittig ein Lohnkostenzuschuss nach § 13 des Stmk BHG (idF vor LGBl 94/2014) gewährt wurde und sie demnach als „Menschen mit Behinderung“ iSd Stmk BHG galten. Aufgrund des weiten Verständnisses des Begriffs „Behinderung“ im Rahmen des ASchG und des damit verbundenen Schutzgedankens hegt der VwGH daher keine Bedenken dagegen, Personen, die als „Menschen mit Behinderung“ iSd Stmk BHG gelten und für die aufgrund dieser Behinderung ein Lohnkostenzuschuss nach diesem Gesetz gewährt wurde, jedenfalls als „Behinderte“ und somit als „besonders gefährdete oder schutzbedürftige Arbeitnehmer“ iSd § 4 Abs 2 ASchG anzusehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21055 vom 04.02.2016