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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
Kommt es zu einem (Teil-)Betriebsübergang und unterliegt der Erwerber einem anderen Kollektivvertrag als der Veräußerer, so kommt ausschließlich der Erwerber-KV zur Anwendung und bestimmt sich das „kollektivvertragliche“ Entgelt ausschließlich nach dem Erwerber-KV. Dabei ist der früherere Mindeststandard insofern gesichert, als das Entgelt betragsmäßig nicht geschmälert werden darf, das dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang nach dem Veräußerer-KV für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührte.
Bei der Einstufung in den Erwerber-KV sind für die Beurteilung von Verwendungsgruppenjahren die beim Veräußerer zurückgelegten Dienstzeiten zu berücksichtigen. Diese sind als Dienstzeiten beim Erwerber zu betrachten und dementsprechend ist eine „Anrechnung“ der früheren Dienstzeiten gar nicht erforderlich.
Durch diese Regelung wird einerseits der frühere Mindeststandard gesichert (Untergrenze laut Veräußerer-KV) und andererseits das der neuen Branche angemessene Entgelt für Arbeitnehmer mit diesen Erfahrungen.
OGH 18. 12. 2014, 9 ObA 109/14s
Sachverhalt
Die Klägerin wurde mit 1. 9. 2000 als „Ground Hostess“ bei einer Fluggesellschaft angestellt. Es kam der KV für das kaufmännisch-technische Personal und das Bordpersonal von Tyrolean Airways zur Anwendung. Die Arbeitnehmerin arbeitete zunächst in den Bereichen „Gate“, „Check in“ und „Lost & Found“. Im Laufe der Zeit übernahm sie aber auch weitere höher qualifizierte Aufgaben. Ab 1. 1. 2007 wurde sie in die Verwendungsgruppe 5 im dritten Jahr eingereiht.
Mit 1. 5. 2012 kam es zu einem Teilbetriebsübergang auf die beklagte Flughafengesellschaft, dh das Bodenpersonal wurde ausgegliedert und in die Flughafengesellschaft integriert. Es kam auch zu einem KV-Wechsel zum KV für die Angestellten der öffentlichen Flughäfen in Österreich. Im Zuge dieser Veränderungen wurde auch der „Betrieb“ völlig umstrukturiert und die Tätigkeit der Arbeitnehmerin massiv verändert. Nach dem Betriebsübergang arbeitete sie ausschließlich im Bereich Check in, Gate und Lost & Found. Sie wurde vom beklagten Erwerber in die Verwendungsgruppe III A bei neun Verwendungsgruppenjahren im Erwerber-KV eingestuft.
Mit ihrer Klage begehrt die Arbeitnehmerin der Höhe nach unstrittig die Differenz zur Einstufung in die Verwendungsgruppe IV A mit acht bzw ab Jänner 2013 neun Verwendungsgruppenjahren. Sie stützt sich darauf, dass die Arbeitsbedingungen nach § 3 Abs 3 AVRAG aufrecht zu bleiben hätten. Dies umfasse auch die festgelegten Tätigkeitsbereiche. Auch durch einen KV-Wechsel dürfe eine individualrechtliche Rechtsposition des Arbeitnehmers nicht verschlechtert werden. Dazu zählten auch die Verwendungsgruppenjahre.
Das Erstgericht ging ua davon aus, dass die Dienstjahre nur insoweit zu berücksichtigen seien, als dies nicht zu einem höheren Gehalt als vor dem Übergang führe. Das Berfungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab, erklärte aber die ordentliche Revision an den OGH für zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliegt, inwieweit die beim Veräußerer zurückgelegten Dienstzeiten für die Einstufung in den Erwerber-KV zu berücksichtigen sind.
KV-Entgelt bestimmt sich nach Erwerber-KV
Beurteilt man nun vorweg die strittige Frage der Einstufung in den Erwerber-KV allein nach den einschlägigen Bestimmungen des AVRAG, so ist hervorzuheben, dass nach § 3 Abs 1 AVRAG der „Erwerber“ mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Nach § 3 Abs 3 AVRAG bleiben die Arbeitsbedingungen grundsätzlich aufrecht, soweit sich hier nicht aus den Bestimmungen über den Wechsel der KV-Angehörigkeit nach § 4 AVRAG anderes ergibt. Nach § 4 Abs 1 AVRAG gelten die in einem KV vereinbarten Arbeitsbedingungen ua nur bis zur Anwendung eines anderen KV. Ergänzend sieht allerdings § 4 Abs 2 AVRAG vor, dass durch den Wechsel der KV-Angehörigkeit infolge des Betriebsübergangs das dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt nicht geschmälert werden darf.
Der OGH hat nun bereits geklärt, dass im Falle eines KV-Wechsels kraft Betriebsübergangs eine vollständige Ablösung des Veräußerer-KV durch den Erwerber-KV eintritt (vgl OGH 26. 1. 2010, 9 ObA 123/09t, ARD 6037/5/2010). Das bedeutet also, dass nach dem Betriebsübergang als KV ausschließlich der Erwerber-KV, hier also der Flughafen-KV zur Anwendung kommt. Dabei wurde auch bereits klargestellt, dass für allfällige Biennalsprünge nicht mehr der Veräußerer-KV, sondern nur der Erwerber-KV als KV wirkt, der ein „normatives Entgelt“ schafft (vgl OGH 11. 10. 1995, 9 ObA 97/95, ARD 4720/9/96).
§ 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG über den weiteren Anspruch des Arbeitnehmers auf das für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt nach dem früheren Veräußerer-KV bedeutet nur die statische Festlegung einer Untergrenze durch eine eigene gesetzliche Anordnung. Das „kollektivvertragliche“ Entgelt bestimmt sich aber ausschließlich nach dem Erwerber-KV hier also dem Flughafen-KV.
Veräußerer-Dienstzeiten sind Erwerber-Dienstzeiten
Ausgehend davon stellt sich nun die Frage, wie die beim früheren Arbeitgeber-Veräußerer verbrachten Dienstzeiten zu beurteilen sind. Dazu kann auf die Anordnung des § 3 Abs 1 AVRAG verwiesen werden, wonach der neue Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten sind also so zu beurteilen, als wären sie beim neuen Arbeitgeber verbracht worden.
Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtsprechung zu den Abfertigungsansprüchen, wonach die beim früheren Arbeitgeber zurückgelegten Dienstzeiten dem neuen Arbeitgeber zuzurechnen sind und für den Erwerb der Abfertigung maßgeblich sind (vgl OGH 25. 6. 2009, 2 Ob 16/09f, ARD 6024/8/2010). Dafür spricht aber auch, dass § 6 AVRAG über die Haftung des Betriebserwerbers und des Betriebsveräußerers dahin verstanden wurde, dass die Regelungen des § 6 AVRAG nur soweit gelten soll, als nicht ohnehin nach § 3 Abs 1 AVRAG wegen des „Eintritts“ des Erwerbers in das Arbeitsverhältnis von einer umfassenden Haftung auszugehen ist (vgl OGH 17. 11. 1999, 9 ObA 213/99k, ARD 5107/3/2000).
Im Ergebnis ist also davon auszugehen, dass es sich bei dem übergegangenen Arbeitsverhältnis schon immer um ein solches des Arbeitnehmers zum Erwerber gehandelt hat und dementsprechend eine „Anrechnung“ der früheren Dienstzeiten gar nicht erforderlich ist, weil sie als solche Dienstzeiten zum Erwerber sind.
Veräußerer-Dienstzeiten sind heranzuziehen
Gegen dieses Auslegungsergebnis sprechen auch keine Überlegungen aus der nach dem Grundsatz der richtlinenkonformen Interpretation maßgeblichen Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG. Sieht doch auch Art 3 Abs 1 RL 2001/23/EG vor, dass die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber übergehen und geht also insoweit von einer Kontinuität des Arbeitsverhältnisses aus (vgl zB EuGH 9. 3. 2006, C-499/04, Werhof, ARD 5672/5/2006). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass durch den Erwerber-KV Veränderungen und auch Verschlechterungen eintreten können (vgl zB EuGH 6. 9. 2011, C-108/10, Scattolon). Einerseits hat der EuGH gerade zuletzt betont, dass die Regelungen der RL nur eine teilweise Harmonisierung der im Fall eines Unternehmensübergangs geltenden Regelungen vorsehen, aber kein einheitliches Schutzniveau schaffen, grundsätzlich aber darauf abzielen zu verhindern, dass sich die Lage der Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs verschlechtert (vgl auch EuGH 11. 9. 2014, C-328/13, ÖGB, ARD 6416/13/2014). Andererseits besteht ein Ziel laut Auslegung aber auch darin, dass der Erwerber in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen (EuGH C-328/13, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Rn 29; EuGH 18. 7. 2013, C 426/11, Alemo Herron, ARD 6379/5/2013).
Vor dem Hintergrund des österreichischen KV-Systems, das im Wesentlichen darauf abzielt für die jeweiligen Branchen angemessene Mindestentgelte festzulegen, passt sich die gewählte Auslegung genau an diese vom EuGH vorgegebenen Zielrichtungen an. Einerseits wird der frühere Mindeststandard durch die spezifische gesetzliche Festlegung der Untergrenze des Entgelts nach § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG gesichert. Andererseits ist die Eingliederung in den neuen Erwerber-KV und die sich in diesem jeweils widerspiegelnde wirtschaftliche Situation dieser Branche unter Berücksichtigung aller Dienstzeiten und das der neuen Branche angemessene Entgelt für Arbeitnehmer mit diesen Erfahrungen gesichert.
Abschließend ist also festzuhalten, dass im vorliegenden Fall auch die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten für die Beurteilung von Verwendungsgruppenjahren nach dem Erwerber-KV heranzuziehen sind.
Hinweis: Weiters stellt sich die Frage, in welche Verwendungsgruppe die Arbeitnehmerin überhaupt mit ihrer neuen Tätigkeit einzustufen ist. Diesbezüglich erweist sich aber das Verfahren als ergänzungsbedürftig und die Rechtssache wurde vom OGH zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Vorinstanzen haben nicht erörtert, ob auch die eingeschränkte Tätigkeit der Klägerin beim Erwerber die Voraussetzungen für die begehrte Einstufung erfüllt, ob ihre Arbeitsverpflichtung schon vom Veräußerer ausschließlich auf die höheren Dienste eingeschränkt wurde bzw wann sie das erstmalig geltend gemacht hat.