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Wird ein Arbeitnehmer während der Corona-Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist gekündigt, so ist Kündigung rechtswirksam. Aus den Bestimmungen des § 37b AMSG iVm den Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen (hier: Pkt IV Abs 2 lit a bis c der im März 2020 geschlossenen Vereinbarung zur Corona-Kurzarbeit, Phase 1) ergibt sich keine Unwirksamkeit einer Kündigung. Die Vereinbarungen über die Corona-Kurzarbeit (hier: „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“) müssen nicht in einem Sinn ausgelegt werden, dass damit neben dem allgemeinen Beendigungsschutz mit seinen austarierten Abwägungen und Grenzen ein weiterer individueller Kündigungsschutz vereinbart worden wäre.
Die Förderung (Kurzarbeitsbeihilfe) ist im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens „betriebliche Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) zu berücksichtigen.
Sachverhalt und bisheriges Verfahren
Mit Gültigkeit ab 23. 3. 2020 schloss die Arbeitgeberin während des ersten COVID-19-Lockdowns mit 15 Mitarbeitern – nicht aber dem Kläger – eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ über Corona-Kurzarbeit. Am 15. 4. 2020 wurde per Videokonferenz die Ausdehnung der Kurzarbeit auf alle Mitarbeiter angekündigt. Am Nachmittag des 23. 4. 2020 wurde ein Entwurf dazu sowie eine Gleitzeitvereinbarung für die Kurzarbeitsphase mit der Bitte in den Firmenchannel gestellt, sie bis Montag, den 27. 4. 2020 zu retournieren. Der Kläger stellte im für alle Mitarbeiter sichtbaren Chatportal Fragen und kündigte an, Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 27. 4. 2020 wurde der Kläger zum 31. 7. 2020 gekündigt und für die Dauer der Kündigungsfrist dienstfrei gestellt.
Die Arbeitgeberin hatte sich zur Kündigung des Klägers entschlossen, weil seine Gesprächsbasis mit den Geschäftsführern schwer erschüttert war. Der Kläger hatte in den vorangegangenen Videokonferenzen „Sonderfragen“ ua zur Möglichkeit der Lockerung des Nebenbeschäftigungsverbots zwecks Leistung selbstständiger Programmiertätigkeiten während der Kurzarbeit und Wünsche bezüglich individueller Urlaubsplanungen gestellt. Die Fragen waren so formuliert, dass die Vorgangsweise der Arbeitgeberin dabei in Frage gestellt wurde. Die Geschäftsführer haben die Äußerungen des Klägers als Vorwurf, Bloßstellung und Quertreiben gegen deren Maßnahmen aufgefasst.
Der aufgrund der Kündigung des Klägers ab August 2020 reduzierte Beschäftigtenstand wurde durch Neuaufnahmen wieder aufgefüllt.
Der Kläger macht ua die Zahlung einer Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung bis 31. 10. 2020 geltend. Die Arbeitgeberin sei aufgrund der für die gesamte Belegschaft geltenden dreimonatigen Kurzarbeitsvereinbarung nicht berechtigt gewesen, das Dienstverhältnis vor dem Ende der Behaltefrist aufzulösen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Kündigung des Klägers habe den Bedingungen der Corona-Kurzarbeitsvereinbarung nicht widersprochen. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die festgestellte erschütterte Gesprächsbasis mit dem Kläger und dessen geringe Bereitschaft, in der Krise auf die Unternehmensinteressen Rücksicht zu nehmen, als ein in seiner Person gelegener Kündigungsgrund anzusehen seien. Eine Abwägung der Interessen der Arbeitgeberin mit jenen des Klägers sei nicht erforderlich. Es könne bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die Sozialpartnervereinbarung-Einzelvereinbarung überhaupt einen individuellen Kündigungsschutz gewährt.
Der OGH hat die Revision zur Klarstellung von über den Einzelfall hinaus wesentlichen Rechtsfragen für zulässig erklärt, im Ergebnis bestätigte er die Rechtsansicht des Berufungsgerichts mit der folgenden (zusammengefassten) Begründung:
Individueller Kündigungsschutz: unterschiedliche Literaturansichten
Der Kläger stützt seinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung auf Pkt IV Abs 2 lit a bis c der im März 2020 von der Arbeitgeberin auf Grundlage des § 37b AMSG geschlossenen Vereinbarung zur Corona-Kurzarbeit (Phase I). Aus dieser geht ua hervor, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginnes der Kurzarbeitsvereinbarung bestanden hat (Behaltepflicht). Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat. Kündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden. Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus personenbezogenen Gründen und das Recht zum vorzeitigen Austritt ist unbenommen. In diesen Fällen ist der Beschäftigtenstand aufzufüllen.
Die Revision wendet sich sowohl gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der in der Sozialpartnervereinbarung verwendete Begriff „personenbezogener Grund“ iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG zu interpretieren sei, als auch gegen die Auffassung, dass aus der Corona-Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz abzuleiten sei. Aus systematischen Gründen geht der OGH zunächst auf die letztgenannte Argumentation ein:
In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung wurde die Frage, ob die Kündigungsbeschränkungen der Sozialpartnervereinbarung bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen, noch nicht behandelt. In der Literatur wird die Diskussion über das Bestehen eines individuellen Kündigungsschutzes innerhalb der Sozialpartnervereinbarung kontrovers geführt. Einigkeit besteht insoweit, dass der Beschäftigungsstand im Unternehmen grundsätzlich erhalten und Arbeitslosigkeit vermieden werden soll.
Zum Teil wird die Meinung vertreten, dass sich aus der Sozialpartnervereinbarung zur Kurzarbeit kein individueller Kündigungsschutz ableiten lässt. In diesem Sinne siehe etwa Spitzl in ecolex 2020, 474 (476 f), Kühteubl und Müller in ZAS 2021, 26 (30), Schedle in ARD 6728/4/2020. Dieses Ergebnis wird von den Autoren vorrangig damit begründet, dass die beihilfengestützte Kurzarbeit primär arbeitsmarktpolitische Ziele verfolge, nämlich die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsstandes und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit, und somit gerade nicht den Schutz der Einzelnen. Der allgemeine Bestandschutz des § 105 ArbVG bestehe ohnedies weiterhin parallel. Die Sanktionierung von Verstößen gegen die Corona-Kurzarbeitsvereinbarung erfolge auf förderungsrechtlicher Ebene.
Andererseits wird die Meinung vertreten, dass gegen die Sozialpartnervereinbarung verstoßende Kündigungen unwirksam seien. In diesem Sinn vgl bspw Auer-Mayer in ZAS 2020, 202 (227), Drs in DRdA 2010, 203 (208 f). Diese Rechtsansicht basiert überwiegend auf der Prämisse, dass die Vereinbarung zusätzlich zur Verfolgung arbeitsmarktpolitischer Ziele auch die individuellen Arbeitnehmer schützen solle. Dies ergebe sich aus dem konkreten Wortlaut und dem Zweck des Dienstgeberkündigungsverbots.
Abstellen auf den Beschäftigtenstand
Wesentlicher Zweck der auf der Sozialpartnervereinbarung gegründeten Corona-Kurzarbeitsvereinbarungen ist es, die Voraussetzung für die Erlangung von Kurzarbeitsbeihilfen gemäß § 37b Abs 2 AMSG zu schaffen. Mit der Voraussetzung des Vorliegens einer Sozialpartnervereinbarung will der Gesetzgeber offenbar die Fachexpertise der Sozialpartner bei den im Gesetz genannten Bereichen – „Entschädigung“, „nähere Bedingungen“, „Beschäftigungsstand“ – nutzen. Alle „Vereinbarungen“ sind daher im Lichte der Erfordernisse des Gesetzes zu lesen, wonach zumindest hinsichtlich des von der Kurzarbeit erfassten „Beschäftigtenstandes“ sichergestellt sein muss, dass während der Kurzarbeit und in einem allenfalls darüber hinaus zusätzlich vereinbarten Zeitraum nach deren Beendigung der Beschäftigtenstand aufrechterhalten wird, es sei denn, dass die regionale Organisation des AMS in besonderen Fällen eine Ausnahme bewilligt. Das Gesetz stellt explizit auf die Zahl der insgesamt Beschäftigten ab, ohne einen individuellen Kündigungsschutz zu statuieren (vgl § 38 AMSG; anders § 45a Abs 5 AMFG – zuletzt etwa OGH 24. 6. 2021, 9 ObA 47/21h, ARD 6757/5/2021).
Dem entsprechend definiert die Sozialpartnervereinbarung in ihrem Punkt IV Abs 2 lit a die Behaltepflicht als Verpflichtung, den „Beschäftigtenstand“ im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginns der Kurzarbeitsvereinbarung bestanden hat. Auf die so zu verstehende Behaltepflicht bezieht sich dann auch die in Punkt IV lit b genannte Monatsfrist.
Diese Definition der Behaltepflicht entspricht dem Zweck der Kurzarbeitsbeihilfe, die pandemiebedingten finanziellen Einbußen auf Arbeitgeberseite in einem ersten Schritt durch die Verringerung der Kosten auszugleichen und in diesem „Wirtschaftszweig“ Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Nehmen Arbeitgeber Kurzarbeit und somit eine Kostenverringerung in Anspruch ist dies im Rahmen der Beurteilung, inwieweit Kündigungen aus betrieblichen Erfordernissen iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG gerechtfertigt werden können, zu berücksichtigen. Unter dem Aspekt von § 37b AMFG liegt der „Preis“ der Förderung in der Aufrechterhaltung des „Beschäftigungsstandes“. Hinter diesem System stehen somit durch finanzielle Anreize verfolgte arbeitsmarktpolitische Aspekte.
Ein bloßer Austausch von Arbeitnehmern ist für ein Unternehmen idR so wenig erstrebenswert wie der Verlust der Beihilfe im Fall des Verstoßes gegen die Beendigungsbeschränkungen. Mittelbar werden dadurch aber auch über die Effekte im bestehenden Kündigungsschutz (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) individuelle Arbeitsverhältnisse geschützt, weil dadurch trotz wirtschaftlicher Krise des Arbeitgebers Arbeitslosigkeit im Regelfall verhindert werden kann. Ein über diese Zwecke hinausgehender Eingriff in das System des Beendigungsschutzes hat der Gesetzgeber hier offenbar nicht für geeignet erachtet (vgl § 45a Abs 5 AMFG einerseits und § 38 AMSG andererseits). Auch die hier herangezogenen Vereinbarungen müssen nicht in einem Sinn ausgelegt werden, dass damit neben dem allgemeinen Beendigungsschutz mit seinen austarierten Abwägungen und Grenzen ein weiterer individueller Kündigungsschutz vereinbart worden wäre. Dafür spricht neben den gesetzlichen Grundlagen etwa auch, dass selbst bei unberechtigten Entlassungen offenbar nur eine bloße Auffüllpflicht vereinbart wurde. Es braucht daher auch gar nicht darauf eingegangen werden, inwieweit ein darüber hinausgehender Beendigungsschutz mit den Zielen der Förderung vereinbar wäre, weil in derartigen Krisen doch häufig ein Bedarf nach rascher Umstrukturierung bestehen kann, der zwar zu keiner Reduktion der Gesamtzahl der Arbeitnehmer führen muss, aber doch zu einer Verschiebung.
Kündigung nicht unwirksam
Zusammenfassend hält der OGH fest, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG iVm den hier maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt, sondern die Förderung im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens „betriebliche Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) zu berücksichtigen ist. Ebenso wenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und -termine.
Es kann dahingestellt bleiben, ob als zulässiger (lediglich die Auffüllpflicht begründender) personenbezogener Kündigungsgrund iSd Punktes IV Abs 2 der Sozialpartnervereinbarung zur Corona-Kurzarbeit jedes auf die Person des Arbeitnehmers bezogene Motiv in Frage kommt, oder ob es sich um besonders gewichtige und dem Arbeitnehmer vorwerfbare Beendigungsgründe handeln muss.