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Dauer der Entgeltfortzahlung bei Kündigung bzw einvernehmlicher Auflösung im Krankenstand

Bearbeiter: Bettina Sabara

EFZG: § 2, § 5

Wird ein Arbeitnehmer im Krankenstand gekündigt oder wird das Dienstverhältnis während des Krankenstandes oder im Hinblick darauf einvernehmlich aufgelöst, bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die gesetzlich vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet (§ 5 EFZG, § 9 AngG). Auch wenn hinsichtlich der Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf das Arbeitsjahr abgestellt wird („Kontingentsystem“), so folgt daraus nicht, dass der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nur bis zum (fiktiven) Ende seines letzten Arbeitsjahrs beanspruchen könnte. Dem erkrankten Arbeitnehmer bleibt daher der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr gewahrt, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt.

OGH 23. 7. 2024, 9 ObA 54/24t -> zu OLG Wien 7 Ra 23/24i, siehe ARD 6910/6/2024

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin von 6. 3. 2019 bis 28. 2. 2023 als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung während eines Krankenstands des Klägers, der von 17. 1. bis 14. 5. 2023 dauerte. Die Arbeitgeberin zahlte dem Kläger das Entgelt bis einschließlich 5. 3. 2023 fort.

Der Kläger begehrte von der Arbeitgeberin zuletzt € 1.217,35 brutto an Entgeltfortzahlung für die Zeit von 6. 3. bis 6. 4. 2023. Es steht außer Streit, dass es sich dabei um den richtig berechneten Entgeltfortzahlungsbetrag bis zur Erschöpfung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsdauer für das am 6. 3. 2022 begonnene Arbeitsjahr, dh aus dem letzten Arbeitsjahr, handelt.

Die Arbeitgeberin beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, der Entgeltfortzahlungsanspruch sei jeweils als Kontingent eines Arbeitsjahres zu sehen. Da der 5. 3. 2023 der letzte Tag des am 6. 3. 2022 begonnenen Arbeitsjahres des Klägers gewesen sei, ende die Entgeltfortzahlung an diesem Tag.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Der OGH hat die Revision für zulässig erklärt, da keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage besteht, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem fiktiven Beginn eines neuen Arbeitsjahres endet, auch wenn im alten Arbeitsjahr noch ein Entgeltfortzahlungsanspruch offen gewesen ist. Er gab der Revision nicht Folge und bestätigte die Rechtsansicht der Vorinstanzen mit der folgenden Begründung:

Entgeltfortzahlung: Bezug auf das Arbeitsjahr

§ 5 EFZG geht davon aus, dass das Arbeitsverhältnis auch während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG beendet werden kann (vgl bereits OGH 22. 10. 2010, 9 ObA 36/10z, ARD 6098/2/2010: „dass ein Krankenstand der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Dauer der Arbeitsverhinderung nicht entgegensteht“). In den in § 5 EFZG genannten Fällen – darunter die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG – bleibt aber der Entgeltfortzahlungsanspruch „für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer“ bestehen, „wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet“.

Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei einer nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführten Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) ergibt sich aus § 2 Abs 1 EFZG. Bei wiederholter Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) innerhalb eines Arbeitsjahres besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 2 Abs 4 EFZG nur insoweit, als die Dauer gemäß Abs 1 noch nicht erschöpft ist. Diese Bestimmung hat (lediglich) die folgende Konsequenz: Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Abs 1 verringert sich um alle innerhalb desselben Arbeitsjahres gelegenen Zeiträume, für die der Arbeitnehmer bereits einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach Abs 1 hatte. Mit anderen Worten: Die in Abs 1 geregelte Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs darf innerhalb eines Arbeitsjahres nicht überschritten werden.

Eine darüber hinausgehende „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Weder aus §§ 2, 5 EFZG noch aus einer sonstigen Bestimmung des EFZG ergibt sich, dass der Arbeitnehmer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zu jenem Zeitpunkt beanspruchen könnte, in dem das bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses laufende Arbeitsjahr (fiktiv) geendet hätte, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitpunkt noch aufrecht gewesen wäre. Der Senat kommt damit zum selben Auslegungsergebnis wie die Vorinstanzen sowie Drs (Entgeltfortzahlung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, DRdA 2011, 285 [Punkt 2.2.2. aE]) und Schimanko (Zur Grenze der Entgeltfortzahlung nach dem EFZG, RdW 2011/104, 98 [103 f]).

Voller Anspruch aus laufendem Arbeitsjahr

Die in der Revision für die gegenteilige Ansicht der Arbeitgeberin ins Treffen geführten Argumente – die den Ausführungen von Rauch folgen (Jüngste Judikatur zum Krankenstand, ASoK 2005, 122; EFZG 2 § 5 Rz 2.3) – überzeugen den Senat nicht:

Der OGH betonte wiederholt, dass mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres ein „neuer Anspruch“ auf Entgeltfortzahlung entstehe (vgl OGH 28. 1. 1999, 8 ObA 163/98y, ARD 5009/11/99). Bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung entstehe mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten habe (RS0111429 [Abgehen von OGH 17. 4. 1997, 8 ObA 2132/96d, ARD 4841/36/97]). Ende das Arbeitsverhältnis vor Beginn des neuen Arbeitsjahres und könne daher kein neues Arbeitsjahr zu laufen beginnen, so gebe § 5 EFZG trotz weiterdauernden Krankenstandes „keine geeignete Grundlage“ dafür ab, einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 2 Abs 1 EFZG entstehen zu lassen (RS0126339 [Abgehen von OGH 7. 6. 2006, 9 ObA 115/05k, ARD 5708/8/2006]). Diese Entscheidungen sind hier aber von vornherein nicht einschlägig, weil der Kläger keinen „neuen“ Entgeltfortzahlungsanspruch geltend macht, sondern nur die „alte“ Entgeltfortzahlung jenes Arbeitsjahres ausschöpft, in dem die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erfolgte.

Der OGH bezeichnete die Regelungen des §§ 2 Abs 1, 4 EFZG mehrmals als „Kontingentsystem“. Der Entgeltfortzahlungsanspruch sei „auf das Arbeitsjahr abgestellt“ (vgl zB OGH 21. 1. 2004, 9 ObA 144/03x, ARD 5526/4/2004). Jüngst hielt er (auch) zur vergleichbaren Bestimmung des § 8 Abs 1 AngG fest, dass sie „die Kontingente der Entgeltfortzahlung“ auf das Arbeitsjahr beziehe (vgl OGH 23. 11. 2023, 9 ObA 73/23k, ARD 6889/5/2024). Die beklagte Arbeitgeberin nennt das „Grundsatz der Jahreskontingenz“. Daraus folgt aber nicht, dass der Arbeitnehmer in einem Fall des § 5 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende seines letzten Arbeitsjahres beanspruchen könnte. Eine solche „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr gewährleistet § 5 EFZG in den darin geregelten Fällen die Ausschöpfung des noch nicht verbrauchten Kontingents des Entgeltfortzahlungsanspruchs für das laufende Arbeitsjahr (vgl OGH 23. 2. 2018, 8 ObA 53/17b, ARD 6597/6/2018). Dem kranken Arbeitnehmer soll „der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt“ (vgl OGH 27. 4. 2011, 9 ObA 59/10g, ARD 6148/5/2011). Die Ansicht der Arbeitgeberin, der Kläger könne die Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende des letzten Arbeitsjahres beanspruchen, würde diesen Zweck des § 5 EFZG aushöhlen und stünde auch mit dem oben wiedergegebenen Wortlaut des § 5 und des § 2 Abs 1, 4 EFZG in Widerspruch.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35794 vom 28.08.2024