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RL 2006/112/EG: Art 138, Art 143
Nach der Rsp des EuGH – zu anders gelagerten Sachverhaltsgestaltungen – ist eine Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung/Verbringung zu versagen, wenn der betreffende Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen oder mit einer Steuerhinterziehung verknüpft war. Dem VwGH erscheinen die Reichweite und die Auslegung dieser Begriffe („einbezogen“ bzw „verknüpft“) durch die EuGH-Rsp aber noch nicht ausreichend geklärt und er legt daher dem VwGH zwecks genauerer Bestimmung des Begriffs „Lieferkette“ zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.
VwGH 29. 6. 2017, Ra 2016/16/0061 (EU 2017/0004)
Sachverhalt
Die Revisionswerberin betreibt eine Spedition und reichte als indirekte Vertreterin des jeweiligen Empfängers, darunter auch in mehreren Fällen zweier bulgarischer Unternehmer (K. und B.), bei einem österreichischen Zollamt Anmeldungen zur Überführung von Waren in den zoll und steuerrechtlich freien Verkehr ein und beantragte dabei die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach Art 6 Abs 3 UStG 1994. Dem entsprechend wurden die Waren ohne buchmäßige Erfassung von Einfuhrumsatzsteuer in den zoll und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt.
In der Folge wurde die Revisionswerberin vom Zollamt Feldkirch Wolfurt als Anmelderin und damit Gesamtschuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer gem § 71a ZollRDG in Anspruch genommen, weil die geltend gemachte Steuerbefreiungen jeweils nicht gegeben seien.
Auch das BFG stellte fest, dass die bulgarischen Empfänger die Verfügungsmacht über die Waren von der Verkäuferin der Waren in der Schweiz vor der Verzollung in Österreich erhalten haben. Die bulgarischen Empfänger erklärten die innergemeinschaftlichen Erwerbe der betreffenden Waren in Bulgarien, hätten allerdings eine Steuerhinterziehung in Bulgarien zu verantworten, weil sie zum Weiterverkauf der betreffenden Waren fälschlich steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an die Revisionswerberin erklärten, die allerdings nur als Spedition tätig ist und mit solchen Waren nicht handelt. Aufgrund der Rsp des EuGH sei daher (bereits) die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung in Österreich zu versagen.
Bei Entscheidung über die Revision hält der VwGH zunächst fest, dass die Revisionswerberin nach § 71a ZollRDG als Gesamtschuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer herangezogen wurde und die Gutgläubigkeit eines solchen Gesamtschuldners in einem eigenen Verfahren auf Erlass der Einfuhrumsatzsteuer zu prüfen ist (§ 26 Abs 1 UStG iVm Art 239 Zollkodex und § 83 ZollRDG).
Im Revisionsfall ist (lediglich) zu klären, ob die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden ist.
Entscheidung
Die hier strittige Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (Art 143 Abs 1 Buchst d der 2006/112/EG [MwStRL]) hängt entscheidend von der Frage ab, ob das innergemeinschaftliche Verbringen nach Art 138 Abs 2 Buchst c der MwStRL steuerbefreit war.
Unterschied zur bisherigen Rsp des EuGH
Das BFG hat eine solche Befreiung verneint und sich dabei auf die Rsp des EuGH gestützt, wonach einem Steuerpflichtigen der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung (nach Art 138 Abs 1 der MwStRL) versagt werden muss, wenn er selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um dies zu verhindern. Auch insoweit hat der EuGH das innergemeinschaftliche Verbringen (Art 138 Abs 2 Buchst c der MwStRL) der innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellt.
Nach Darstellung dieser EuGH-Rsp hält der VwGH fest, dass sich die Sachverhaltsgestaltung des vorliegenden Revisionsfalls davon jedoch unterscheidet, weil der EuGH-Rsp – soweit überschaubar – Anlassfälle zugrunde lagen, bei denen sich die Steuerhinterziehung auf betroffenen Umsatz selbst oder auf den diesem vorangegangenen oder nachfolgenden Umsatz bezogen hatte oder beziehen sollte.
Im vorliegenden Fall stellte das BFG jedoch fest, dass die beiden bulgarischen Unternehmer, deren innergemeinschaftliches Verbringen in Rede stand, Steuererklärungen abgegeben und darin den innergemeinschaftlichen Erwerb in Bulgarien erklärt hatten. Erst auf einer nachfolgenden Umsatzstufe, nämlich eines Weiterverkaufs der Waren durch diese Unternehmer, nimmt das BFG eine Steuerhinterziehung an. Die bulgarischen Unternehmer hätten eine innergemeinschaftliche Lieferung „zurück“ an die Revisionswerberin, eine Spedition, erklärt und diese steuerfrei behandelt. Eine solche Lieferung hat nach Ansicht des BFG aber nicht stattgefunden.
Dass die bulgarischen Unternehmer im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens bereits den Vorsatz gefasst hätten, hinsichtlich des späteren Umsatzes mit diesen Gegenständen eine Steuerhinterziehung zu begehen, hat das BFG nicht festgestellt.
Die bisherige Rsp des EuGH erfasst nach Ansicht des VwGH zweifellos einen Zusammenhang zwischen der Steuerfreiheit für das innergemeinschaftliche Verbringen aus Österreich und dem steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb im anderen Mitgliedstaat. Der innergemeinschaftliche Erwerb in Bulgarien ist im Revisionsfall nach den Feststellungen allerdings erklärt worden und eine darauf entfallende Mehrwertsteuer ist nicht hinterzogen worden. Die sich aus den Feststellungen ergebende Steuerhinterziehung betraf einen späteren Folgeumsatz, der zwar dieselben Waren betraf, aber nicht notwendigerweise im selben Zeitraum (Art 252 der MwSt-RL) erfolgt sein muss.
Weitere Klärung erforderlich
Nach der Rsp des EuGH ist das Recht auf Vorsteuerabzug oder auf Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht. Die Rsp des EuGH – zu den anders gelagerten Sachverhaltsgestaltungen – erwähnt dabei neben dem Steuerpflichtigen, der eine Steuerhinterziehung begeht, einen Umsatz, der in eine Steuerhinterziehung einbezogen war oder einen Umsatz, der mit einer Steuerhinterziehung verknüpft war.
Die Frage, in Bezug auf welchen Umsatz ein Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer selbst hinterzogen hat, und die Reichweite und die Auslegung der Begriffe, dass ein Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen oder mit einer Steuerhinterziehung verknüpft war, sind für den vorliegenden Revisionsfall entscheidend, für den VwGH aber nicht ausreichend geklärt. Das Schrifttum, auch soweit es die Rsp des EuGH billigt, hält eine genauere Bestimmung für erforderlich, was unter einer „Lieferkette“ zu verstehen ist (vgl Heuermann, Mit Italmoda auf den Schultern von Larenz, in Deutsches Steuerrecht 2015/26, 1416 ff [1418 und 1420]).
Der VwGH hegt somit Zweifel, ob die als Voraussetzung für die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art 143 Abs 1 Buchst d der MwSt-RL bei der Einfuhr in den Mitgliedstaat A erforderliche Steuerbefreiung für ein innergemeinschaftliches Verbringen (Art 138 Abs 2 Buchst c der MwSt-RL) aus dem Mitgliedstaat A auch dann zu versagen ist, wenn der Steuerpflichtige eine Steuerhinterziehung zu verantworten hat, welche sich weder auf das innergemeinschaftliche Verbringen aus dem Mitgliedstaat A noch auf den mit dem innergemeinschaftlichen Verbringen aus dem Mitgliedstaat A verknüpften innergemeinschaftlichen Erwerb im Mitgliedstaat B bezieht, sondern auf einen späteren Folgeumsatz dieses Steuerpflichtigen im Mitgliedstaat B.
Dabei hält es der VwGH für möglich, dass es einen Unterschied macht, ob der Steuerpflichtige bereits im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens den Vorsatz gefasst hat, hinsichtlich eines späteren Umsatzes mit diesen Gegenständen eine Steuerhinterziehung zu begehen.
Vorlagefragen
Der VwGH legt dem EuGH daher folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. | Ist die Steuerbefreiung nach Art 138 der RL 2006/112/EG des Rates vom 28. 11. 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem für ein innergemeinschaftliches Verbringen aus einem Mitgliedstaat zu versagen, wenn der dieses Verbringen in einen anderen Mitgliedstaat bewirkende Steuerpflichtige im anderen Mitgliedstaat zwar den mit dem innergemeinschaftlichen Verbringen zusammenhängenden innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt, jedoch bei einem späteren steuerpflichtigen Umsatz mit den betroffenen Gegenständen im anderen Mitgliedstaat eine Steuerhinterziehung begeht, indem er zu Unrecht eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung aus diesem anderen Mitgliedstaat erklärt? |
2. | Ist für die Antwort auf die Frage 1 maßgeblich, ob der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens bereits den Vorsatz gefasst hat, hinsichtlich eines späteren Umsatzes mit diesen Gegenständen eine Steuerhinterziehung zu begehen? |