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Entgeltfortzahlung: Anrechnung der Arbeiterdienstzeiten bei Übernahme ins Angestelltenverhältnis

Bearbeiter: Bettina Sabara

AngG: § 8 Abs 1

Nach § 8 Abs 1 AngG behält ein erkrankter Angestellter, der an der Leistung seiner Dienste verhindert ist, seinen Anspruch auf das Entgelt für eine bestimmte, von der zurückgelegten Dienstzeit abhängigen Dauer. Als „Dienstzeiten“ im Sinne dieser Bestimmung gelten grundsätzlich sämtliche Zeiten des aufrechten Arbeitsverhältnisses zum selben Arbeitgeber, also auch Zeiten des Arbeitnehmers als Arbeiter. Eine unterschiedliche Behandlung von Arbeiter- und Angestelltendienstzeiten ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 8 AngG, der nicht einschränkend auf „Dienstzeiten als Angestellter“ abstellt, noch aus der mit der Gesetzesänderung BGBl I 2017/153 verfolgten Intention des Gesetzgebers, das Entgeltfortzahlungsrecht der Angestellten und Arbeiter anzugleichen.

Wird ein als Arbeiter begonnenes Dienstverhältnis in ein Angestelltendienstverhältnis umgewandelt und ohne Unterbrechung weitergeführt, kommt es daher zu keiner Änderung des individuellen Eintrittstages des Arbeitnehmers und entsteht mit dem Jahrestag des Eintritts in das (Arbeiter-)Dienstverhältnis ein neues Arbeitsjahr und ein neues Entgeltfortzahlungskontingent iSd § 8 AngG im vollen Umfang.

OGH 28. 7. 2021, 9 ObA 72/21k -> zu OLG Wien 10 Ra 101/20a siehe ARD 6750/7/2021

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Die Klägerin war bei der beklagten Arbeitgeberin von 17. 9. 2018 bis 15. 12. 2019 beschäftigt, und zwar zunächst als Arbeiterin und ab 1. 5. 2019 als Angestellte. Anlässlich des Wechsels der Klägerin in das Angestelltenverhältnis wurde in einer neuen Vertragsurkunde hinsichtlich „Beginn und Dauer“ festgehalten: „Das Dienstverhältnis begann am 17. 9. 2018 als Arbeiterin in der Abteilung Bewachung. Ab 1. 5. 2019 wird das Dienstverhältnis in ein Angestelltendienstverhältnis umgewandelt.“

Von 21. 6. 2019 bis zumindest 15. 12. 2019 befand sich die Klägerin im Krankenstand. Die Arbeitgeberin zahlte ihr an Entgeltfortzahlung ab Beginn des Krankenstands über sechs Wochen (bis 1. 8. 2019) das volle und über weitere vier Wochen (bis 30. 8. 2019) das halbe Entgelt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin eine weitere Entgeltfortzahlung in Höhe des Klagsbetrags für den Zeitraum von 17. 9. 2019 bis 15. 12. 2019. Da ihr zweites Arbeitsjahr mit 17. 9. 2019 begonnen habe, habe sie ab diesem Zeitpunkt einen weiteren Anspruch auf ein volles Entgeltfortzahlungskontingent von acht Wochen voller und vier Wochen halber Entgeltfortzahlung erworben. Zwischen den Parteien habe seit 17. 9. 2018 durchgehend ein einheitliches Dienstverhältnis bestanden.

Die Arbeitgeberin wandte ein, dass der Tag der Übernahme der Klägerin in das Angestelltenverhältnis (1. 5. 2019) als Beginn des Arbeitsjahres anzusehen sei. Mit der Übernahme der Klägerin in das Angestelltenverhältnis sei ein neuer Dienstvertrag abgeschlossen worden.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Der OGH erachtet die Revision für zulässig, weil zum Begriff des Arbeitsjahres iSd § 8 AngG bei Übernahme eines bisher als Arbeiter beschäftigten Dienstnehmers als Angestellter noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt.

Der OGH teilt die Rechtsansicht der Vorinstanzen mit der folgenden Begründung:

Entscheidung

Kein neuer Dienstvertrag

Aufgrund des Wortlauts (§ 914 ABGB) der zwischen den Parteien errichteten Vertragsurkunden wurde das seit 17. 9. 2018 aufrecht bestandene Arbeiterdienstverhältnis mit 1. 5. 2019 in ein Angestelltendienstverhältnis „umgewandelt“. Damit wurde lediglich eine Vertragsänderung vorgenommen, das Vertragsband zwischen den Parteien bestand aber ununterbrochen weiter. Die Arbeitgeberin meint zwar, dass mit der Übernahme der Klägerin in das Angestelltenverhältnis ein neuer Dienstvertrag abgeschlossen worden sei, eine formelle Auflösung des bereits bestehenden Dienstverhältnisses mit 30. 4. 2019 behauptete allerdings auch sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht. Eine andere als auf eine schlichte Abänderung („Umwandlung“) abzielende Parteienabsicht wurde nicht festgestellt.

Anrechnung der Zeiten als Arbeiter

§ 8 Abs 1 AngG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2017/153 lautet: „Ist ein Angestellter nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis ein Jahr gedauert hat, jedenfalls acht Wochen; es erhöht sich auf die Dauer von zehn Wochen, wenn es fünfzehn Jahre, und auf zwölf Wochen, wenn es fünfundzwanzig Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte den Anspruch auf das halbe Entgelt.“

Die Frage, ob ein Dienstnehmer mindestens ein Jahr in einem Angestelltendienstverhältnis zum Dienstgeber gestanden haben muss, um Anspruch auf die nach § 8 Abs 1 Satz 2 AngG erhöhte Dauer der Entgeltfortzahlung zu haben, wurde vom OGH bislang nicht beantwortet.

Aus der Entscheidung OGH 27. 5.2020, 8 ObA 31/20x, ARD 6711/5/2020, ist für den vorliegenden Fall nichts Entscheidendes zu gewinnen. Sie hält zwar fest, dass der Gesetzgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Lehrlinge, Arbeiter und Angestellte jeweils gesondert und abschließend geregelt hat und sich an dieser Trennung auch mit der Novelle des Angestelltengesetzes BGBl I 2017/153, mit der eine grundsätzliche Angleichung der Entgeltfortzahlungsbestimmungen des Angestellten an jene des Arbeiters und eine Ausweitung des Entgeltfortzahlungszeitraums für Lehrlinge vorgenommen wurde, nichts geändert hat. Diese Trennung der Regelungen bedeutet aber nicht per se, dass nur Dienstzeiten als Angestellter nach § 8 Abs 1 AngG zu berücksichtigen sind. Schließlich hat der OGH die in der Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob Vordienstzeiten eines Lehrverhältnisses nicht nur auf Anspruchszeiträume nach dem EFZG, sondern auch auf solche nach § 8 AngG anzurechnen sind, ausdrücklich offen gelassen.

Der OGH schließt sich nun der überwiegenden Auffassung im Schrifttum an, wonach § 8 Abs 1 AngG so auszulegen ist, dass als „Dienstzeiten“ grundsätzlich sämtliche Zeiten des aufrechten Arbeitsverhältnisses zum selben Arbeitgeber gelten, also auch Zeiten des Arbeitnehmers als Arbeiter (siehe ua Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 8 Rz 28; Melzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG10 § 8 Rz 171; Burger in Reissner, AngG3 § 8 Rz 46; Drs in Neumayr/Reissner, Zellkomm3 § 8 AngG Rz 91; Schrenk in ARD 6603/5/2018). Eine unterschiedliche Behandlung von Arbeiter- und Angestelltendienstzeiten ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 8 AngG, der nicht einschränkend auf „Dienstzeiten als Angestellter“ abstellt, noch aus der mit der Gesetzesänderung BGBl I 2017/153 verfolgten Intention des Gesetzgebers, das Entgeltfortzahlungsrecht der Angestellten und Arbeiter anzugleichen.

Da als „Dienstzeiten“ iSd § 8 Abs 1 AngG grundsätzlich sämtliche Zeiten des aufrechten ununterbrochenen Dienstverhältnisses zum selben Dienstgeber zu verstehen sind, also auch Zeiten des Dienstnehmers als Arbeiter, begann das neue Arbeitsjahr der Klägerin im vorliegenden Fall daher am 17. 9. 2019. Mit diesem Zeitpunkt hat die Klägerin einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch. Die klagsstattgebenden Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich daher als zutreffend.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31457 vom 16.09.2021