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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
RL 96/71/EG: Art 1
Im Zusammenhang mit der Entsendung von kroatischen bzw russischen und weißrussischen Arbeitskräften durch eine italienische Gesellschaft zur Erfüllung eines Auftrags in Österreich (hier: Errichtung eines Drahtwalzwerks) möchte der VwGH vom EuGH im Wesentlichen wissen, ob Österreich eine Beschäftigungsbewilligung verlangen darf, wenn zwischen diesen Arbeitskräften und dem italienischen Entsender kein Dienstverhältnis besteht, weil sie jeweils nur - innerhalb eines Konzerns - an ihn überlassen wurden (von einer Gesellschaft mit Sitz in Kroatien bzw von einer anderen italienischen Gesellschaft).
VwGH 13. 12. 2016, Ra 2016/09/0082 bis 0087 (EU 2016/0009 bis 0014); beim EuGH anhängig zu C-18/17
Ausgangsfall
Die Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der italienischen Gesellschaft D S.p.A. (Erstrevisionswerberin) und vier kroatischen, einem russischen und einem weißrussischen Staatsangehörigen (Zweit- bis Siebentrevisionswerber) einerseits und einer regionalen Geschäftsstelle des AMS. Die Erstrevisionswerberin ist eine Gesellschaft mit Firmensitz in Italien, die den Auftrag eines österreichischen Unternehmens zur Errichtung eines Drahtwalzwerks in Österreich übernommen hat. Sie steht in einem Konzernverhältnis zu den Gesellschaften DS mit Sitz in Kroatien und DA-S.p.A. mit Sitz in Italien. Die kroatischen Staatsangehörigen sind Arbeitnehmer der kroatischen Gesellschaft und in Kroatien sozialversichert (Arbeitskräfte I; sie betrifft die erste Vorlagefrage). Der russische und der weißrussische Staatsangehörige sind Arbeitnehmer der anderen italienischen Gesellschaft und in Italien sozialversichert (Arbeitskräfte II; sie betrifft die zweite Vorlagefrage). Alle diese Arbeitskräfte wurden der Erstrevisionswerberin zur Erbringung des Projekts in Österreich überlassen; sie meldete sie bei der Zentralen Koordinationsstelle des Bundes für die Kontrolle illegaler Beschäftigung gem § 7b AVRAG und § 18 Abs 12 AuslBG und stellte Anträge auf Bestätigung der EU-Entsendung.
Die regionale Geschäftsstelle des AMS lehnte diese Anträge ab und untersagte die Entsendung. Auch das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerden dagegen im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass es sich um Entsendungen gem Art 1 Abs 3 lit a der RL 96/71/EG (Entsenderichtlinie) handle und diese RL verlange, dass „für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht“. Ein solches liege hier nicht vor, weil die entsandten Arbeitskräfte in beiden Fällen Dienstnehmer der anderen Konzern-Gesellschaften in Kroatien und Italien blieben.
Entscheidung
Der VwGH nimmt in seinen Entscheidungsgründen ua auf die bisherige Rsp des EuGH zu Überlassung und Entsendung Bezug, va auf EuGH 10. 2. 2011, Vicoplus ua, C-307/09, ARD 6122/12/2011, und EuGH 18. 6. 2015, C-586/13, Martin Meat, ARD 6454/7/2015. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon seiner Ansicht nach aber va dadurch, dass die Überlassung der Arbeitskräfte durch die Gesellschaften in Kroatien bzw Italien nicht grenzüberschreitend nach Österreich erfolgte, sondern die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit in Österreich erst im Wege einer grenzüberschreitenden Entsendung durch die Erstrevisionswerberin ausüben sollten.
Unter Berücksichtigung des Urteils EuGH 11. 9. 2014, C-91/13, Essent Energie Productie, ARD 6426/23/2014, das vor dem Urteil Martin Meat ergangen ist, könnte maßgeblich sein, ob die Arbeitskräfte in Italien legal beschäftigt werden und ihre Haupttätigkeit in Italien ausüben, wo das Dienstleistungsunternehmen (die Erstrevisionswerberin) ansässig ist. Diese Voraussetzung hält der VwGH hinsichtlich der Arbeitskräfte aus Kroatien (Arbeitnehmer I) für nicht erfüllt, weil sie ihre Haupttätigkeit in Kroatien ausüben und in Italien kein Dienstverhältnis besteht. Die Arbeitnehmer II (ein russischer und ein weißrussischer Staatsangehöriger) sind zwar in Italien legal beschäftigt und üben ihre Haupttätigkeit in Italien aus, sie erfüllen jedoch nicht die Voraussetzung des Art 1 Abs 3 lit a der EntsendeRL, wonach „für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer“ bestehen muss. Auch diese Arbeitnehmer II werden von der Erstrevisionswerberin allein für die Errichtung des Drahtwalzwerks in Österreich verwendet.
Vorlagefragen
1. | Sind Art 56 und 57 AEUV, die RL 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, Nr 2 und 12 des Kapitels 2. Freizügigkeit, des Anhangs V der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft dahin auszulegen, dass Österreich berechtigt ist, die Entsendung von Arbeitnehmern, die bei einer Gesellschaft mit Sitz in Kroatien beschäftigt sind, durch das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung einzuschränken, wenn diese Entsendung im Wege der Überlassung an eine in Italien ansässige Gesellschaft zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung durch die italienische Gesellschaft in Österreich erfolgt und sich die Tätigkeit der kroatischen Arbeitnehmer für die italienische Gesellschaft bei der Errichtung eines Drahtwalzwerks in Österreich auf die Erfüllung dieser Dienstleistung in Österreich beschränkt und zwischen ihnen und der italienischen Gesellschaft kein Dienstverhältnis besteht? |
2. | Sind Art 56 und 57 AEUV und die RL 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen dahin auszulegen, dass Österreich berechtigt ist, die Entsendung von bei einer Gesellschaft mit Sitz in Italien beschäftigten russischen und weißrussischen Arbeitnehmern durch das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung einzuschränken, wenn diese Entsendung im Wege einer Überlassung an eine in Italien ansässige zweite Gesellschaft zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung durch die zweite Gesellschaft in Österreich erfolgt und sich die Tätigkeit der russischen bzw weißrussischen Arbeitnehmer für die zweite Gesellschaft auf die Erfüllung von deren Dienstleistung in Österreich beschränkt und zwischen ihnen und der zweiten Gesellschaft kein Dienstverhältnis besteht? |
Hinweise:
Die Übergangsmaßnahmen zur Beschränkung der Freizügigkeit kroatischer Staatsangehöriger werden in Österreich bis 30. 6. 2018 angewendet (vgl Mitteilung der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU an die Europäische Kommission vom 23. 3. 2015).
Im Gefolge des Falls Martin Meat hat der VwGH vor Kurzem auch Fragen betreffend die Bindungswirkung von Dokumenten ausländischer SV-Träger an den EuGH gerichtet: VwGH 14. 9. 2016, EU 2016/0002, 0003 (Ro 2016/08/0013 und Ro 2016/08/0014); beim EuGH offensichtlich anhängig zu C-527/16, Alpenrind ua.