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1. Kann der Arbeitgeber die Verpflichtung zur Weiterverwendung von ausgelernten Lehrlingen aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfüllen, kann er einen Antrag auf Befreiung von der Behaltepflicht stellen oder eine Bewilligung zur Kündigung vor Ablauf der Weiterverwendungszeit beantragen. Eine gänzliche Erlassung der Behaltezeit kommt dabei nur bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses in Betracht. Eine rückwirkende Befreiung von der Weiterverwendungspflicht ist nicht zulässig. Nach Antritt der Behaltezeit kann daher nur mehr eine Bewilligung zur vorzeitigen Kündigung erteilt werden. Der Antrag auf Erlassung der Weiterverwendungspflicht aus wirtschaftlichen Gründen schließt nicht auch einen Antrag auf Bewilligung einer vorzeitigen Kündigung mit ein.
2. Sieht ein Kollektivvertrag (hier: KV-Handelsangestellte) vor, dass für die Zeit der Weiterverwendung keine Teilzeitbeschäftigung vereinbart werden kann, so ist eine Sondervereinbarung nur dann gültig, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist, als die (einseitig zwingende) kollektivvertragliche Regelung. Berücksichtigt man den Zweck der Weiterverwendungspflicht des Lehrlings im erlernten Beruf und die Tatsache des geringeren Entgelts für eine Teilzeitbeschäftigung, hält die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im neuen Arbeitsvertrag vereinbarte Teilzeitbeschäftigung (hier: im Ausmaß von 30 Wochenstunden) dieser Günstigkeitsprüfung nicht stand. Außerdem hat sich die Arbeitnehmerin im vorliegenden Fall lediglich aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers mit dieser Teilzeitbeschäftigung einverstanden erklärt.
OGH 25. 11. 2020, 9 ObA 78/20s
Entscheidung
Behaltefrist: neues Arbeitsverhältnis
Gemäß § 18 Abs 1 BAG ist der Lehrberechtigte verpflichtet, den Lehrling nach Ablauf der Lehrzeit bzw erfolgreicher Lehrabschlussprüfung im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiter zu beschäftigen („Weiterverwendung von ausgelernten Lehrlingen“). Gemäß Art XVII Z 2 Satz 2 des Handelsangestellten-KV beträgt die Behaltefrist hier fünf Monate.
§ 18 Abs 1 BAG bewirkt nicht einen Vertragsabschluss ex lege; diese Bestimmung normiert lediglich eine einseitige Verpflichtung des Lehrberechtigten zum Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrags, deren Nichtbefolgung dem Lehrling einen Anspruch auf Erfüllung, gegebenenfalls auch auf Schadenersatz gibt. Bei der Weiterbeschäftigung des Lehrlings nach dem Ende der Lehrzeit wird nicht das bestehende Arbeitsverhältnis (= Lehrverhältnis) fortgesetzt, sondern ein neues Arbeitsverhältnis begründet.
Eventualantrag auf Bewilligung zur Kündigung
Ein gänzlicher Entfall der Verpflichtung zur Weiterverwendung durch Befreiung von der Weiterverwendungspflicht nach § 18 Abs 3 BAG setzt voraus, dass der Lehrberechtigte noch während der aufrechten Lehrzeit so rechtzeitig einen entsprechenden Antrag an die zuständige Wirtschaftskammer stellt, dass diese – bzw allenfalls nach Devolution der Entscheidungskompetenz die Bezirksverwaltungsbehörde – noch rechtzeitig vor dem Entstehen der Behaltepflicht eine Entscheidung treffen kann (Aust in Aust/Gittenberger/Knallnigg-Prainsack/Strohmayer, BAG2 § 18 Rz 53).
Aust empfiehlt, zugleich mit dem Antrag auf Befreiung von der Behaltepflicht einen Eventualantrag auf Bewilligung zur Kündigung während der Behaltezeit zu stellen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass im Falle einer nicht rechtzeitigen Entscheidung vor Lehrzeitende bei Vorliegen der gesetzlich verlangten wirtschaftlichen Gründe dem Eventualantrag stattgegeben und die außerordentliche Kündigung bewilligt wird.
Die Meinung im Schrifttum, ein Antrag auf gänzliche Erlassung der Behaltepflicht schließe einen Antrag auf Bewilligung zur vorzeitigen Kündigung mit ein (Preiss/Spitzl in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 18 BAG Rz 19), wird vom Senat nicht geteilt. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ein Antrag auf Erlassung der Behaltepflicht ohnehin auch einen Antrag auf Bewilligung zur vorzeitigen Kündigung miteinschließe, hätte es der ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit einer alternativen Antragstellung nicht bedurft. § 18 Abs 3 BAG sieht eben zwei Arten von Entscheidungen vor (Kinscher, Berufsausbildungsgesetz², Anm 3 zu § 18 Abs 3 BAG).
Teilzeit grds möglich – nicht aber hier
Die Weiterverwendungspflicht des Lehrberechtigten umfasst grundsätzlich dessen Verpflichtung zur Begründung eines neuen Vollzeitarbeitsverhältnisses mit dem ausgelernten Lehrling. Da Letzterer aber auf das Recht der Weiterverwendung ab dem Zeitpunkt des Entstehens der Behaltepflicht – also nach nach Ablauf der Lehrzeit oder erfolgreicher Lehrabschlussprüfung – rechtsgültig sogar zur Gänze verzichten kann, kann er grds ab Entstehen der Behaltepflicht für die Dauer der Weiterverwendungszeit auch bloß ein Teilzeitarbeitsverhältnis eingehen (Aust in Aust/Gittenberger/Knallnigg-Prainsack/Strohmayer, BAG2 § 18 Rz 20).
Auf diesbezügliche Überlegungen muss aber hier nicht näher eingegangen werden, weil Art XVII Z 2 Satz 4 des Handelsangestellten-KV vorrangig bestimmt, dass für die Zeit der Weiterverwendung keine Teilzeitbeschäftigung vereinbart werden kann. Die vorliegende Sondervereinbarung wäre daher nur dann gültig, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist, als die (einseitig zwingende) kollektivvertragliche Regelung (§ 3 Abs 1 Satz 2 ArbVG).
Dieser Günstigkeitsprüfung hält die hier vereinbarte Teilzeitbeschäftigung jedoch nicht stand (Zweck der Weiterverwendungspflicht, geringeres Entgelt als bei einer Vollzeitbeschäftigung). Das (einzige) vom Arbeitgeber dagegen ins Treffen geführte Argument, die Klägerin habe die Teilzeitbeschäftigung im Rahmen der Privatautonomie „freiwillig“ vereinbart, übergeht dieses objektive Prüfungskriterium. Selbst wenn man bei der Günstigkeitsprüfung im vorliegenden Fall darauf abstellen wollte, in wessen Interesse (der Arbeitnehmerin oder des Arbeitgebers) die Vereinbarung der Teilzeitbeschäftigung getroffen wurde, ist für den Arbeitgeber nichts gewonnen. Nach den bindenden Feststellungen hat sich die Klägerin nämlich lediglich aufgrund der wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers mit dieser Teilzeitbeschäftigung einverstanden erklärt.
Kündigungsentschädigung auf Basis Vollzeit
Im vorliegenden Fall hatte die Bezirkshauptmannschaft – allerdings erst nach Beginn der Behaltezeit und des neuen Dienstverhältnisses – dem Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen die Pflicht zur Weiterverwendung der Klägerin erlassen (Bescheid vom 3. 12. 2018). Daraufhin teilte ihr der Arbeitgeber mit Schreiben vom 5. 12. 2018 mit, dass das Arbeitsverhältnis per 5. 12. 2018 ende. Die Klägerin begehrt hier nun vom Arbeitgeber ua Kündigungsentschädigung (einschließlich Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung) bis 15. 5. 2019 (erster möglicher Kündigungstermin nach Ablauf der Behaltezeit) auf Basis des Entgelts für eine Vollzeitbeschäftigung. Mit diesem Begehren war sie im Wesentlichen vor dem OGH erfolgreich (von nicht aufgeschlüsselten Ansprüchen abgesehen).