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EuGH: Insolvenz – Schadenersatzklage gegen Großmuttergesellschaft

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EuGVVO 2012: Art 7, Art 8

Rom II-VO: Art 4

1. Im vorliegenden Fall kann eine Gesellschaft die Forderungen ihrer Gläubiger nicht befriedigen, weil die Großmuttergesellschaft dieser Gesellschaft ihre Sorgfaltspflicht gegenüber deren Gläubigern verletzt hat. Für eine Schadenersatzklage des Insolvenzverwalters der insolventen Gesellschaft gegen die Großmuttergesellschaft im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabe zur Verwertung der Insolvenzmasse zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger ist das Gericht am Sitz der insolventen Gesellschaft zuständig. Diese Zuständigkeit gilt auch für einen Fall wie hier, in dem eine Stiftung (als Interventionsklägerin) zur Vertretung der kollektiven Interessen der Gläubiger tätig wird und zu diesem Zweck gegen die Großmuttergesellschaft eine (Verbands-)Klage auf Schadenersatz erhebt, die den individuellen Umständen der Gläubiger nicht Rechnung trägt.

2. Nach Art 8 Nr 2 EuGVVO 2012 ist das für die Entscheidung des Hauptprozesses zuständige Gericht grds auch für die Entscheidung über eine etwaige Interventionsklage zuständig. Hebt das Gericht des Hauptprozesses seine Entscheidung auf, mit der es sich für diesen Prozess für zuständig erklärt hat, verliert es somit automatisch seine Zuständigkeit für die Klage der Interventionsklägerin.

3. Betr die Schadenersatzpflicht wegen Sorgfaltspflichtverletzung der Großmuttergesellschaft wie hier ist nach Art 4 Abs 1 Rom II-VO grds das Recht des Staates anzuwenden, in dem die insolvente Gesellschaft ihren Sitz hat.

Besteht eine Finanzierungsvereinbarung mit einer Gerichtsstandsklausel zwischen diesen beiden Gesellschaften, kann sich daraus eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat iSv Art 4 Abs 3 Rom II-VO ergeben (Finanzierungsvertrag als bestehendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, das mit der unerlaubten Handlung [Sorgfaltspflichtverletzung] in enger Verbindung steht). Das Bestehen einer solchen Verbindung für sich allein erlaubt jedoch nicht eine automatische Anwendung des Vertragsstatuts auf die außervertragliche Haftung. Das Gericht verfügt nämlich im Rahmen von Art 4 Abs 3 Rom II-VO über einen Spielraum bei der Beurteilung, ob zwischen der außervertraglichen Haftung und dem Staat, dessen Rechtsordnung das bereits bestehende Rechtsverhältnis regelt, eine enge Verbindung besteht. Nur wenn das Gericht der Ansicht ist, dass diese Verbindung besteht, muss es das Recht dieses Staates anwenden.

EuGH 10. 3. 2022, C-498/20, BMA Nederland

Zu einem niederländischen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32214 vom 15.03.2022