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EuGH: Insolvenzverfahren – Hauptniederlassung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EuInsVO 2015: Art 2, Art 3

Art 3 Abs 1 Unterabs 3 VO (EU) 2015/848 [über Insolvenzverfahren; EuInsVO 2015] bestimmt, dass bei einer natürlichen Person, die eine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre Hauptniederlassung ist.

1. Der Begriff „Hauptniederlassung“ iSd Art 3 Abs 1 Unterabs 3 VO (EO) 2015/848 EuInsVO 2015 entspricht nicht dem Begriff „Niederlassung“ nach Art 2 Nr 10 EuInsVO 2015:

Der Unionsgesetzgeber hat sich dafür entschieden, eine klare Unterscheidung zwischen dem Hauptinsolvenzverfahren iSv Art 3 Abs 1 EuInsVO 2015 einerseits und dem Sekundärinsolvenzverfahren nach Art 3 Abs 2 EuInsVO 2015 andererseits vorzunehmen. Wie sich aus den Erwägungsgründen 23, 24, 37 und 38 EuInsVO 2015 ergibt, ist das Vorhandensein einer „Niederlassung“ iSv Art 2 Nr 10 EuInsVO 2015 in einem Mitgliedstaat nur für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in diesem Mitgliedstaat das entscheidende Kriterium. Dieser Begriff kann daher im Rahmen von Art 3 Abs 1 EuInsVO 2015 nicht relevant sein.

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel der EuInsVO 2015, die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit der Bestimmung des zuständigen Gerichts durch Rückgriff auf objektive Kriterien zu gewährleisten. Dieses Ziel würde jedoch gefährdet, wenn der Begriff „Hauptniederlassung“ iSv Art 3 Abs 1 Unterabs 3 EuInsVO 2015 und der Begriff „Niederlassung“ in Art 2 Nr 10 EuInsVO 2015 übereinstimmten, was zu einer Vermischung der für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens auf der einen und der für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens maßgeblichen Kriterien auf der anderen Seite führen würde.

2. Der bloße Umstand, dass für die selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit des Betroffenen keine Vermögenswerte oder kein Personal erforderlich sind, reicht für sich genommen nicht aus, um die Vermutung nach Art 3 Abs 1 Unterabs 3 EuInsVO 2015 zu widerlegen.

EuGH 19. 9. 2024, C-501/23, Finanzamt Wilmersdorf (Actifs d’indépendant)

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35904 vom 30.09.2024