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EuGH: Verbot von religiösen Symbolen am Arbeitsplatz

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2000/78/EG: Art 2

Eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet (im Ausgangsfall: das Tragen eines muslimischen Kopftuches), stellt keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne der GleichbehandlungsrahmenRL 2000/78/EG dar.

Ein solches Verbot kann zwar uU eine mittelbare Diskriminierung darstellen, wenn die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Diese kann jedoch durch den Wunsch des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, seinen öffentlichen und privaten Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, wenn

-die Politik der Neutralität tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird, und
-sich das Verbot, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen der politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugung zu tragen, nur an Arbeitnehmer mit Kundenkontakt richtet.

EuGH 14. 3. 2017, C-157/15, G4S Secure Solutions

Sachverhalt

Am 12. 2. 2003 trat Frau A****, die muslimischen Glaubens ist, als Rezeptionistin in den Dienst des belgischen Unternehmens G4S Secure Solutions. Dieses private Unternehmen erbringt für Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor ua Rezeptions- und Empfangsdienste. Als A**** eingestellt wurde, verbot es bei G4S eine ungeschriebene Regel den Arbeitnehmern, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen.

Im April 2006 kündigte A**** ihrem Arbeitgeber an, dass sie beabsichtige, während der Arbeitszeiten das islamische Kopftuch zu tragen. Die Geschäftsleitung von G4S antwortete ihr, dass das Tragen eines Kopftuchs nicht geduldet werde, da das sichtbare Tragen politischer, philosophischer oder religiöser Zeichen der von G4S bei ihren Kundenkontakten angestrebten Neutralität widerspreche.

Der Betriebsrat von G4S billigte in der Folge eine Anpassung der Arbeitsordnung des Unternehmens, die am 13. 6. 2006 in Kraft trat. Darin heißt es: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“ Am 12. 6. 2006 wurde A**** aufgrund ihrer festen Absicht, an ihrem Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen, entlassen.

Das vorlegenden belgische Gericht möchte vom EuGH wissen, ob das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die allgemein das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, eine durch die GleichbehandlungsrahmenRL verbotene unmittelbare Diskriminierung darstellt.

Entscheidung

Auslegung des Begriffs „Religion“

In seinen Entscheidungsgründen beschäftigt sich der EuGH ua auch mit dem Begriff der Religion, der in der GleichbehandlungsrahmenRL nicht definiert wird. Der EuGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber auf die EMRK und auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten Bezug genommen hat, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden sind.

Da die EMRK und in der Folge die GRC dem Begriff der Religion eine weite Bedeutung beilegen und darunter auch die Freiheit der Personen erfassen, ihre Religion zu bekennen, sei der Begriff der Religion in Art 1 der GleichbehandlungsrahmenRL dahin auszulegen, dass er sowohl den Umstand umfasst, religiöse Überzeugungen zu haben, als auch die Freiheit der Personen, diese in der Öffentlichkeit zu bekunden.

Keine unmittelbare Diskriminierung

Eine unmittelbare Diskriminierung durch die interne Regel von G4S verneint der EuGH, weil sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen und alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleich behandelt werden, indem ihnen allgemein und undifferenziert ua vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden. Den Akten war auch nicht zu entnehmen, dass die interne Regel auf Frau A**** anders angewandt worden wäre als auf andere Arbeitnehmer von G4S.

Prüfung einer mittelbaren Diskriminierung

Der EuGH hält es jedoch nicht für ausgeschlossen, dass das nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die interne Regel eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung begründet, wenn sich erweisen sollte, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.

Eine solche Ungleichbehandlung würde jedoch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung führen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären.

Zwar obliegt diese Beurteilung letztlich allein dem nationalen Gericht, der EuGH gibt hierzu jedoch folgende Hinweise:

Der Wunsch eines Arbeitgebers, seinen öffentlichen und privaten Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, ist insbesondere dann rechtmäßig, wenn nur die Arbeitnehmer einbezogen werden, die mit den Kunden in Kontakt treten. Dieser Wunsch gehört nämlich zu der von der Charta anerkannten unternehmerischen Freiheit.

Zur Angemessenheit einer internen Regelung wie im Ausgangsverfahren stellt der EuGH weiters fest, dass das Verbot des sichtbaren Tragens von Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität geeignet ist, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird. Insoweit muss das vorlegende Gericht prüfen, ob G4S vor der Entlassung von Frau A**** für seine Beschäftigten eine entsprechende allgemeine und undifferenzierte Politik eingeführt hatte.

Für die Erreichung des verfolgten Ziels unbedingt erforderlich ist das gegenständliche Verbot außerdem nur, wenn es sich nur an die Arbeitnehmervon G4S richtet, die mit Kunden in Kontakt treten. Auch dies muss das vorlegende Gericht prüfen.

Letztlich ist noch zu prüfen, ob es G4S, unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Zwänge und ohne eine zusätzliche Belastung tragen zu müssen, möglich gewesen wäre, Frau A**** einen Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt mit Kunden anzubieten, statt sie zu entlassen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Art 2 Abs 2 Buchst a der RL 2000/78/EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung iSv Art 2 Abs 2 Buchst b der RL 2000/78/EG darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23274 vom 16.03.2017