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EpiG 1950: § 32
Nach dem Epidemiegesetz kann die Absonderung nach einem positiven COVID-19-Test nur gegenüber jenen Arbeitnehmern angeordnet werden, die ihren Wohnsitz in Österreich haben. Erfolgt eine Absonderung bei Arbeitnehmern mit ausländischem Wohnsitz (etwa Grenzgängern) von den Gesundheitsbehörden ihres Wohnsitzstaates, hat der Arbeitgeber keinen Anspruch auf Vergütung des während der Absonderung fortgezahlten Entgelts nach § 32 EpiG. Über ein Vorabentscheidungsersuchen des VwGH hat der EuGH nun aber klargestellt, dass dieser Regelung die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegensteht, da eine solche Regelung zu einer mittelbaren Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer führen kann.
EuGH 15. 6. 2023, C-411/22, Thermalhotel Fontana -> zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 24. 5. 2022, Ra 2021/03/0098, ARD 6824/9/2022
Sachverhalt und bisheriges Verfahren
Ende 2020 wurden mehrere Arbeitnehmer des österreichischen Hotels Thermalhotel Fontana auf COVID-19 getestet. Das Hotel teilte der zuständigen österreichischen Gesundheitsbehörde die positiven Testergebnisse mit. Einige der betroffenen Arbeitnehmer hatten ihren Wohnsitz in Slowenien und Ungarn. Daher verhängte österreichische Gesundheitsbehörde keine Quarantänemaßnahmen nach dem Epidemiegesetz über sie, und unterrichtete statt dessen die zuständigen ungarischen und slowenischen Behörden. Letztere ordneten gegenüber diesen Arbeitnehmern gemäß dem lokalen Recht Quarantänemaßnahmen an ihren jeweiligen Wohnsitzen an.
Während dieser Quarantänezeiten zahlte die Dienstgeberin den betroffenen Arbeitnehmern weiterhin ihre Arbeitsentgelte aus. Da sie davon ausging, dass mit der Auszahlung des Entgelts an die Arbeitnehmer der Anspruch gegenüber dem (österreichischen) Staat auf Vergütung des Verdienstentganges von den (im Ausland abgesonderten) Arbeitnehmern auf sie übergegangen sei, beantragte sie gemäß § 32 EpiG die Vergütung für den Verdienstentgang für die Zeit der Absonderungen.
Sowohl die zuständige Bezirkshauptmannschaft als auch das zuständige Landesverwaltungsgericht wiesen diesen Antrag ab, weil sie der Ansicht waren, dass nur Bescheide, die auf einer behördlichen Maßnahme nach dem EpiG beruhten und den Arbeitnehmern einen Verdienstentgang verursachten, den Vergütungsanspruch nach diesem Gesetz entstehen ließen. Weil der angerufene VwGH Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Unionsrecht hat, hat er beim EuGH ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet. Der VwGH wollte vom EuGH ua wissen, ob der Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der in den Art 45 AEUV und Art 7 der Verordnung Nr. 492/20113 zum Ausdruck kommt, der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, welche die Gewährung der Vergütung davon abhängig macht, dass die Quarantänemaßnahme durch denselben Mitgliedstaat verfügt wurde. Dies wurde vom EuGH bejaht:
Mittelbare Diskriminierung von Wanderarbeitnehmer
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Somit genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer. Daraus folgt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass eine Vorschrift des nationalen Rechts als mittelbar diskriminierend anzusehen ist, wenn sie sich stärker auf Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, als auf inländische Arbeitnehmer auswirken und Erstere dadurch benachteiligen kann. Die Vergütung nach dem EpiG wird nur Personen geleistet, über die nach diesem Gesetz aufgrund einer Durchführungsmaßnahme der nationalen Gesundheitsbehörden eine Quarantäne verhängt wurde, dh also ausschließlich Personen mit Wohnsitz im österreichischen Hoheitsgebiet. Somit ist diese Vergütung mittelbar an die Voraussetzung eines Wohnsitzes im österreichischen Hoheitsgebiet geknüpft, was sich eher auf Wanderarbeitnehmer auswirkt und daher eine mittelbare Diskriminierung darstellt.
Hinsichtlich des Vorliegens einer objektiven Rechtfertigung für die Maßnahme ist der EuGH davon ausgegangen, dass es zwar im Interesse der öffentlichen Gesundheit – die es erlaubt, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu beschränken – liegt, wenn Quarantänemaßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden angeordnet werden und wenn die Zahlung einer Vergütung vorgesehen ist, um deren Einhaltung zu fördern. Es eignet sich jedoch ganz offenbar nicht für die Erreichung dieses Ziels, die Vergütung nur an Personen auszuzahlen, die nach der nationalen Regelung in Quarantäne geschickt wurden, nicht aber insbesondere an Wanderarbeitnehmer, über die aufgrund der in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat geltenden Gesundheitsmaßnahmen Quarantäne verhängt wurde. Demnach könnte die Leistung einer Vergütung an solche Wanderarbeitnehmer diese ebenso ermutigen, die ihnen auferlegte Quarantäne einzuhalten, und zwar zugunsten der öffentlichen Gesundheit.