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EuGH: Zulässige Verjährungsfrist bei Unterentlohnung

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

AVRAG: § 7i Abs 7 idF BGBl I 2014/94

Aus dem Unionsrecht geht ua hervor, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert werden darf und jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen Gericht innerhalb „angemessener Frist“ verhandelt wird (Effektivitätsgrundsatz). Die national festzulegenden Sanktionen (hier: betreffend Unterentlohnung bei Entsendung) dürfen außerdem nicht strenger sein als diejenigen, die bei entsprechenden nationalen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz).

Die Strafbarkeitsverjährungsfrist von 5 Jahren gem § 7i Abs 7 AVRAG idF BGBl I 2014/94 (nunmehr: § 29 Abs 4 LSD-BG) für Fälle der Unterentlohnung ist mit diesen Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar und daher nicht unionsrechtswidrig.

EuGH 10. 2. 2022, C-219/20, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld

Zum Vorabentscheidungsersuchen LVwG Steiermark vom 12. 5. 2020 siehe ARD 6735/7/2021

Ausgangsfall

Eine Gesellschaft mit Sitz in der Slowakei entsandte mehrere Arbeitnehmer nach Österreich.

Nach einer Kontrolle am 19. 6. 2016 verhängte die Bezirksverwaltungsbehörde Hartberg-Fürstenfeld über den Vertreter der Gesellschaft auf Grundlage von § 7i Abs 5 AVRAG eine Geldstrafe iHv € 6.600,- wegen Nichteinhaltung von Lohnverpflichtungen in Bezug auf vier entsandte Arbeitnehmer. Diese Entscheidung wurde am 20. 2. 2020 zugestellt.

Das Verfahren über die Beschwerde gegen dieses Straferkenntnis wurde vom LVwG Steiermark unterbrochen, weil es Zweifel an der Vereinbarkeit von § 7i Abs 7 AVRAG mit dem Unionsrecht hegt. Diese Bestimmung sieht für eine Übertretung nach § 7i Abs 5 AVRAG wie hier eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vor.

Entscheidung

Mit einer nationalen Regelung wie im Ausgangsverfahren (Ahndung der Unterentlohnung entsandter Arbeitnehmer und Verjährungsfrist von 5 Jahren für diese Übertretung) soll die Einhaltung der Verpflichtung des Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Buchst c der RL 96/71/EG (EntsendeRL) in Bezug auf den Mindestlohnsatz sichergestellt werden.

Der grenzüberschreitende Charakter der Entsendung von Arbeitnehmern und der Verfolgung einer solchen Übertretung kann die Arbeit der zuständigen nationalen Behörden relativ komplex machen und damit die Festsetzung einer Verjährungsfrist rechtfertigen, die hinreichend lang ist, um den zuständigen nationalen Behörden die Verfolgung und Ahndung einer solchen Übertretung zu ermöglichen.

Außerdem kann angesichts der Bedeutung, die die EntsendeRL der Verpflichtung in Bezug auf den Mindestlohnsatz beimisst, von den Entsendern vernünftigerweise erwartet werden, dass sie die Belege über die Zahlung der Löhne an diese Arbeitnehmer mehrere Jahre lang aufbewahren. Art 9 Abs 1 Buchst c der RL 2014/67/EU (DurchführungsRL zur EntsendeRL 96/17/EG) ermächtigt die Mitgliedstaaten auch ausdrücklich, von den Entsendern zu verlangen, nach der Entsendung auf Ersuchen der zuständigen Behörden innerhalb einer angemessenen Frist bestimmte Dokumente vorzulegen, darunter die Belege über die Entgeltzahlung. Dass sie diese Belege aufgrund einer Verjährungsfrist wie im Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von fünf Jahren aufbewahren und vorlegen müssen, erscheint nicht unangemessen.

Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass eine Verjährungsfrist von fünf Jahren für eine Übertretung in Bezug auf die Unterentlohnung entsandter Arbeitnehmer geeignet wäre, einen sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer dem Risiko auszusetzen, nicht in der Lage zu sein, seinen Standpunkt sachdienlich vorzutragen, oder nicht in der Lage zu sein, seinen Standpunkt sowie seine Beweise vor einem Gericht vorzutragen.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art 5 der RL 96/71/EG iVm Art 47 der Charta und im Licht des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Rechts auf eine gute Verwaltung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für Verstöße gegen Verpflichtungen in Bezug auf die Entlohnung entsandter Arbeitnehmer eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsieht.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32094 vom 16.02.2022