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EuInsVO: lex fori concursus – lex fori processus – lex libri

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 1346/2000: Art 4, Art 15, Art 17

Die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat entfaltet gem Art 17 Abs 1 der VO (EG) 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) in jedem anderen Mitgliedstaat unmittelbar jene Wirkungen, die das Recht des Eröffnungsstaates dem Verfahren beilegt. Die EuInsVO sieht demnach nicht bloß die Anerkennung der Insolvenzeröffnung als solche vor, sondern normiert vielmehr einen „Export“ der lex fori concursus, der die materiellen und prozessualen Rechtsfolgen der Eröffnungsentscheidung umfasst. Nach der lex fori concursus bestimmt sich auch der Umfang der Verfügungsbeschränkungen des Schuldners (vgl Art 4 Abs 2 lit b und lit c EuInsVO) – und damit auch die Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf die Partei- und Prozessfähigkeit und die Prozessführungsbefugnis des Schuldners.

Nur wenn eine Rechtsstreitigkeit bei Insolvenzeröffnung bereits anhängig war, kommt nach ihrem eindeutigen Wortlaut die Sonderanknüpfung in Art 15 EuInsVO zur Anwendung und bestimmen sich die Wirkungen des Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist (lex fori processus).

Auch Art 11 EuInsVO, der für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Rechte des Schuldners (ua) an einem unbeweglichen Gegenstand die lex libri für maßgebend erklärt (Recht des Mitgliedstaats, unter dessen Aufsicht das Register [Grundbuch] geführt wird), ist für die (vorgelagerte) Frage nach den Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die prozessualen Befugnisse des Schuldners nicht relevant (hier: nach Insolvenzeröffnung in Deutschland fehlt dem Schuldner – nach deutschem Recht – die Befugnis zur Erhebung einer Klage in Österreich betreffend eine Liegenschaft).

OGH 25. 11. 2016, 10 Ob 28/16i

Sachverhalt

Über das Vermögen der Kl war 2013 in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zur Insolvenzmasse gehörte auch eine in Österreich gelegene Liegenschaft, die vom Insolvenzverwalter 2014 an die Rechtsvorgängerin der Bekl verkauft wurde.

Mit der am 16. 12. 2014 eingebrachten Klage begehrt die Kl die Unwirksamerklärung der grundbücherlichen Eintragung und die Löschung des Eigentumsrechts der bekl P an der Liegenschaft. Die Eintragung basiere auf einem nichtigen Titel. Das österreichische Grundbuchsrecht gehe dem deutschen Insolvenzrecht vor und das Recht des Eigentümers iSd § 61 GBG bleibe auch nach Insolvenzeröffnung erhalten.

Entscheidung

Der OGH verneinte (aufgrund lex fori concursus) in Anwendung deutschen Rechts die Prozessführungsbefugnis der Kl. Mit dem umstrittenen Normzweck des Art 11 EuInsVO musste er sich daher nicht näher auseinandersetzen (vgl dazu Maderbacher in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 11 EuInsVO Rz 5 ff).

Das Fehlen der Prozessführungsbefugnis ist zwar in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Ein Auftrag zur Heilung des Mangels in analoger Anwendung des § 6 Abs 2 ZPO war jedoch nicht zu erteilen, weil die Kl im gesamten Verfahren anwaltlich vertreten war, aufgrund des Insolvenzverfahrens in Kenntnis ihrer (auch prozessualen) Verfügungsbeschränkungen war und dennoch eindeutig zu erkennen gab, nur selbst und nicht durch den Insolvenzverwalter handeln zu wollen (RIS-Justiz RS0002293 [T2, T6]).

Hinweis:

Die hier anwendbare VO (EG) 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) wurde durch die VO (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren aufgehoben, die grds ab 26. 6. 2017 gilt. Art 4 VO (EG) 1346/2000 ist nun in Art 7 VO (EU) 2015/848 geregelt, Art 15 VO (EG) 1346/2000 in Art 18 VO (EU) 2015/848 und Art 17 VO (EG) 1346/2000 in Art 20 VO (EU) 2015/848.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23076 vom 03.02.2017