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Geschäftsführer-Vertrag: Einseitiges Sonderkündigungsrecht?

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

AngG: § 20 Abs 4

Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer (hier: ein Geschäftsführer) für die ersten drei Jahre des Dienstverhältnisses einen beiderseitigen Kündigungsverzicht, wird aber dem Arbeitgeber zusätzlich ein Sonderkündigungsrecht bei Vorliegen eines konkreten (hier: wirtschaftlichen) Grundes eingeräumt, wird die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers stärker eingeschränkt als jene des Arbeitgebers. Dieser Verstoß gegen das Symmetriegebot bei den Kündigungsmöglichkeiten führt dazu, dass auch dem Arbeitgeber das Sonderkündigungsrecht vor Ablauf des Kündigungsverzichts nicht zusteht und eine auf das Sonderkündigungsrecht gestützte Kündigung unwirksam ist (dh das Dienstverhältnis wird dadurch nicht aufgelöst).

OGH 25. 6. 2019, 9 ObA 53/18m

Sachverhalt

Der Geschäftsführervertrag vom 7. 5. 2014 zwischen dem Kläger und der beklagten GmbH sah vor, dass der Dienstvertrag von beiden Parteien unter Einhaltung einer 6-monatigen Kündigungsfrist jeweils zum 30. 6. oder zum 31. 12. gekündigt werden kann. Für die ersten 3 Jahre wurde ein beiderseitiger Verzicht auf das ordentliche Kündigungsrecht vereinbart. Während dieses Zeitraums durfte der Geschäftsführer den Dienstvertrag bei Vorliegen eines Austrittsgrundes nach § 26 AngG auflösen und der Arbeitgeber bei Vorliegen eines Entlassungsgrundes nach § 27 AngG. Darüber hinaus wurde (nur) der GmbH ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall eingeräumt, dass der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder der Verwaltungsrat beschließen, die GmbH nicht so wie bislang beabsichtigt fortzuführen (wie zB im Falle einer Unterschreitung des Business Plan, die eine weitere Finanzierung der Gesellschaft nicht mehr tunlich erscheinen ließe). In diesem Fall durfte die Arbeitgeberkündigung zum Monatsletzten unter Einhaltung einer 3-monatigen Kündigungsfrist ausgesprochen werden.

Wegen der Verfehlung des ursprünglichen Businessplans wurde der Kläger unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht am 30. 6. 2016 gekündigt. Da das Kündigungsschreiben dem Kläger aber zunächst nicht zugestellt werden konnte, sprach der Arbeitgeber am 25. 7. 2016 eine erste und am 16. 12. 2016 eine weitere Eventualkündigung aus. Vom 10. 12. 2016 bis 1. 1. 2017 war der Kläger urlaubsbedingt im Ausland.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger ua die Feststellung, dass die Kündigungen unwirksam sind. Mit diesem Begehren hatte er vor dem OGH letztlich nur teilweise Erfolg:

Entscheidung

Kein Ausgleich durch hohes Gehalt

Im Anwendungsbereich des AngG sind bei der vertraglichen Gestaltung der Kündigungsmöglichkeiten die Bestimmungen des § 20 Abs 2 bis 4 AngG zu beachten. Diese Regelungen sind einseitig zwingend zugunsten des Arbeitnehmers (§ 40 AngG). Von der gesetzlichen Vorgabe abweichend können demnach nur Regelungen getroffen werden, die für den Arbeitnehmer günstiger sind. Bei der Prüfung der Günstigkeit hat weder ein Gesamtvergleich, noch ein punktueller Vergleich der Bestimmungen zu erfolgen, sondern ein Gruppenvergleich rechtlich und sachlich zusammenhängender Normen. Ein rechtlicher und tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen. Einzelne günstigere Tatbestandsmerkmale sind nicht isoliert zu betrachten. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen.

Dem Argument des Arbeitgebers, dass die Kündigungsregelung im Dienstvertrag des Klägers in Zusammenhang mit dem hohen Gehalt gesehen werden müsse, kommt keine Bedeutung zu:

Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Kündigungsregelung eine Entgeltregelung nicht in den Gruppenvergleich einzubeziehen (vgl OGH 23. 5. 2001, 9 ObA 224/00g, ARD 5274/48/2002). Bei diesem darf nämlich auch der sozialpolitische Zweck der jeweiligen Bestimmung nicht außer Acht gelassen werden. Es soll verhindert werden, dass im Wege der Individualvereinbarung die Zwecke der Regelung Einkommensinteressen geopfert und damit Strukturverschiebungen ermöglicht werden, dh Verschiebungen von einer Regelung, die auch gesundheitliche, kulturelle und soziale Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt, zu einer ausschließlich leistungsbezogenen individuellen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, die sich vor allem an Arbeitgeberinteressen orientiert.

Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen grds zulässig

Betrachtet man allein die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers, bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der entsprechenden Regelung. Der Arbeitgeber verzichtet für drei Jahre auf die ordentliche Kündigungsmöglichkeit und behält sich die Kündigung nur aus einem bestimmten Grund vor. Soweit das Berufungsgericht darin eine unzulässige Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf den Kläger sieht, ist dem nicht zu folgen. Da die Kündigung grundsätzlich keiner Begründung bedarf, ist die Vereinbarung eines bestimmten Kündigungsgrundes bei Ausschluss jeder sonstigen Kündigungsmöglichkeit nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers, auch wenn die Möglichkeit zur Kündigung hier von der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers abhängt.

Betrachtet man ausschließlich das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers, ergibt sich für die ersten drei Jahre ein Verzicht auf eine Kündigungsmöglichkeit. Ob eine solche Vereinbarung zulässig ist, muss hier nicht geprüft werden, weil die Unzulässigkeit von keiner der Parteien eingewendet wurde. Anders als dem Arbeitgeber wurde dem Kläger jedoch in der Vereinbarung keine Sonderkündigungsmöglichkeit eingeräumt.

Verstoß gegen Symmetriegebot

Zu beachten ist weiters, dass nach § 20 Abs 4 AngG die vom Dienstgeber einzuhaltende Kündigungsfrist nicht kürzer sein darf als die mit dem Angestellten vereinbarte. Das ist Ausfluss eines generelleren Gleichheitsgebots, das ebenfalls aus dem das Arbeitsrecht beherrschenden Günstigkeitsprinzip folgt, wonach dem Angestellten die Lösbarkeit des Dienstverhältnisses jedenfalls nicht schwerer gemacht werden darf als dem Dienstgeber. Dies folgt neben § 20 Abs 4 AngG und § 1159c ABGB auch aus diversen sonderrechtlichen Bestimmungen. Dieser allgemeine Grundsatz ist nicht nur auf den in § 20 AngG unmittelbar geregelten Bereich von Kündigungsfristen und -terminen bezogen, sondern ganz allgemein auf eine Ungleichgewichtung der Einschränkung der Kündigungsfreiheit. So darf etwa die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht durch andere Abreden eingeschränkt werden, wie etwa den Verfall von Kautionen, die Vereinbarung von Vertragsstrafen, den Wegfall von Erfolgsbeteiligungen oder die Abrede, dass der Arbeitnehmer im Fall der Kündigung bereits empfangene Leistungen wieder zurückerstatten muss (vgl OGH 8. 7. 1992, 9 ObA 142/92, ARD 4386/14/92).

Stellt man im konkreten Fall die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers gegenüber, ist es offenkundig, dass die des Klägers stärker eingeschränkt ist als die des Arbeitgebers, weil ihm ein Sonderkündigungsrecht nicht zukommt.

Soweit der Arbeitgeber geltend macht, dass eine Lösungsmöglichkeit aus demselben Grund wie beim Arbeitgeber für den Arbeitnehmer sinnlos wäre, mag dies zutreffen. Es bleibt jedoch der Umstand bestehen, dass dem Arbeitnehmer keine gleichwertige Lösungsmöglichkeit aus für ihn relevanten Gründen eingeräumt wurde.

Während daher der Arbeitgeber trotz dreijährigem Kündigungsverzicht das Dienstverhältnis aufkündigen kann, wenn auch nur aus einem konkreten Grund, kann dies der Kläger nicht. Damit verstößt die Vereinbarung gegen das Symmetriegebot.

Das Gleichheitsgebot erfordert es daher, dass die Lösungsmöglichkeit des Dienstgebers eingeschränkt wird und der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ebenso wie der Kläger vor Ablauf der Frist für den Kündigungsverzicht nur aus den Gründen des § 27 AngG auflösen kann. Ein Kündigungsrecht vor Ablauf der drei Jahre steht ihm dagegen nicht zu.

Der Arbeitgeber war daher nach dem Gleichheitsgebot nicht berechtigt, das Dienstverhältnis unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht im Geschäftsführerdienstvertrag vor Ablauf der drei Jahre aufzulösen.

Kündigungen nach dem Sonderkündigungsrecht unwirksam

Es ist daher weiters zu prüfen, ob die rechtswidrige Kündigung zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses geführt hat.

Grundsätzlich beenden auch fristwidrige oder unzulässige Kündigungen das Arbeitsverhältnis; der Arbeitnehmer ist auf Schadenersatzansprüche verwiesen. Ein vertraglicher Ausschluss der freien Kündbarkeit des Dienstverhältnisses wirkt aber ähnlich wie ein besonderer gesetzlicher Kündigungs- oder Entlassungsschutz. Eine trotz vereinbarten Ausschlusses der freien Kündbarkeit erfolgte Kündigung ist daher nicht wirksam; sie löst das Dienstverhältnis nicht auf. Dies gilt auch dann, wenn das Kündigungsrecht nur für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen wird oder an bestimmte Gründe gebunden wird.

Durch die Vereinbarung einer solchen Einschränkung des Kündigungsrechts wird in der Regel der Wille der Parteien zum Ausdruck gebracht, dass vor Ablauf der vereinbarten Zeit oder bei Nichtvorliegen der vereinbarten Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis nicht enden soll. Davon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen und es würde daher – entgegen der Ansicht des BerufungsG – dem Willen der Parteien zuwider laufen, würde man innerhalb der ersten drei Jahre auch eine unberechtigte Kündigung als wirksam ansehen.

Dies muss sowohl für den Fall gelten, dass sich der Arbeitgeber zu Unrecht auf das Vorliegen des vereinbarten Sonderkündigungsrechts beruft, als auch für den Fall, dass das Sonderkündigungsrecht insgesamt unwirksam vereinbart worden ist.

Damit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die Kündigungen vom 30. 6. 2016 und 25. 7. 2016, die der Arbeitgeber jeweils unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht ausgesprochen hat, gegen den vertraglich vereinbarten besonderen Kündigungsschutz verstoßen und das Arbeitsverhältnis nicht beendet haben. Eine Konversion der unwirksamen Beendigung zu einer wirksamen zu einem späteren Zeitpunkt ist nach herrschender Judikatur abzulehnen (RS0101989).

Ordentliche Kündigung wirksam

Mit der Kündigung vom 16. 12. 2016 sollte das Dienstverhältnis zum 30. 6.  2017 beendet werden, sohin nach Ablauf der vereinbarten dreijährigen Bestanddauer und unter Ausübung des ordentlichen Kündigungsrechts nach Pkt 9.1 des Geschäftsführerdienstvertrages, damit zu einem Zeitpunkt, zu dem auch kein vertraglicher Kündigungsschutz mehr bestehen sollte. Damit wäre aber auch eine fristwidrige Kündigung wirksam. Das Dienstverhältnis endete daher mit 30. 6. 2017.

Die Kündigung ist dem Kläger zwar erst nach dem 1. 1. 2017 zugegangen, weil er nach den Feststellungen bis zu diesem Zeitpunkt im Ausland auf Urlaub war. Das ändert aber nichts daran, dass die Kündigung – wie ausgeführt – das Dienstverhältnis zum 30. 6. 2017 beendet hat.

Die Revision des Klägers ist daher insoweit teilweise berechtigt, als festzustellen ist, dass das Dienstverhältnis über den 30. 9. 2016 (bzw 31. 10. 2016) hinaus bis 30. 6. 2017 aufrecht fortbestanden hat. Das Feststellungsbegehren, dass es über den 30. 6. 2017 hinaus besteht, wurde dagegen zu Recht abgewiesen. Bis zum 30. 6. 2017 hat der Kläger daher Ansprüche aus dem aufrechten Dienstverhältnis.

Da die Beendigung zum 30. 6. 2017 fristwidrig erfolgte, hat der OGH auch dem Begehren des Klägers auf Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden aus der Kündigung vom 16. 12. 2016 Folge gegeben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27909 vom 06.09.2019