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Wird eine schwangere Arbeitnehmerin aufgrund des Verbots der Nachtarbeit bei Schwangerschaft (§ 6 MSchG) nicht mehr zu Nachtdiensten eingeteilt, hat sie gemäß § 14 Abs 1 MSchG Anspruch auf das Entgelt, das “dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat“. Befand sich die Arbeitnehmerin in diesem Referenzzeitraum durchgehend in Bildungskarenz und bezog sie währenddessen Weiterbildungsgeld, aber kein Entgelt vom Arbeitgeber, so bemisst sich der Durchschnittsverdienst nach dem Arbeitsentgelt, das sie in den letzten 13 Wochen vor Antritt der Bildungskarenz erzielt hat. Als Referenzzeitraum kommt nämlich nur ein solcher in Betracht, in dem die Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber überhaupt ein Entgelt bezogen hat.
OGH 18. 12. 2020, 8 ObA 66/20v
In Bestätigung von OLG Wien 7 Ra 3/20t, ARD 6711/8/2020
Entscheidung
Durchschnittsverdienst im Referenzzeitraum
Nach der Konzeption des § 14 Abs 1 Satz 1 MSchG kommt es regelmäßig nicht darauf an, wie viel die Dienstnehmerin hypothetisch verdient hätte, wäre sie nicht schwanger geworden. Maßgeblich ist vielmehr ihr „Durchschnittsverdienst […], den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses “vor dieser Änderung“ bezogen hat“. Unter der „Änderung“ ist hier unstrittig der Eintritt des Verbots der Nachtarbeit nach § 6 MSchG zu verstehen. Es wird nicht auf einen fiktiven Sachverhalt abgestellt, sondern – der Rechtssicherheit dienend – auf einen Sachverhalt, der sich bereits ereignet hat. Das Abstellen auf einen Durchschnittsverdienst in einem Referenzzeitraum ist mit Art 11 RL 92/85/EWG (Mutterschutz-RL) vereinbar (EuGH 1. 7. 2010, C-194/08, Gassmayr).
Fallen in den Referenzzeitraum Zeiten, während derer die Dienstnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat, ordnet § 14 Abs 1 Satz 2 HalbS 2 MSchG an, dass diese Zeiten bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht bleiben. Der Gesetzgeber scheidet somit diese Zeiten aus dem Referenzzeitraum aus und lässt an ihre Stelle vorangegangene, nicht von Krankheit oder Kurzarbeit beeinflusste Zeiften treten. Daraus ist die Wertung ersichtlich, dass der Referenzzeitraum von 13 Wochen vor dem Eintritt der Änderung kein Selbstzweck ist. Vielmehr muss er eine taugliche Vergleichsgrundlage bieten.
Aus Art 11 Nr 1 und Nr 4 der Mutterschutz-RL leitet der OGH weiters ab, dass der nationale Gesetzgeber bei Umsetzung der Mutterschutz-RL einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Die Vergütungssicherung muss nicht vollständig sein. Es darf aber das Ziel der Mutterschutz-RL – der weitreichende Gesundheitsschutz – nicht beeinträchtigt werden; dazu ist auch die Gewährleistung einer Entgeltfortzahlung unabdingbar.
Referenzzeitraum: 13 Wochen vor der Bildungskarenz
Eine Gesetzesauslegung, die auf ein Durchschnittseinkommen von Null hinausläuft, lässt sich mit dem Ziel von Art 7 Mutterschutz-RL und mit § 14 MSchG nicht vereinbaren. Ein solcher „Nullverdienst“ läge hier aber vor: Das Entgelt umfasst jede Leistung, die eine Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass sie ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Kein Entgelt ist damit das Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG, das die Klägerin hier während ihrer Bildungskarenz bezogen hat.
In unionsrechtskonformer Auslegung ist daher der Auslegung der Vorzug zu geben, dass als Referenzzeitraum nur ein solcher in Betracht kommt, in dem die Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber überhaupt ein Entgelt bezog. Da dies für die Zeit der Bildungskarenz (hier: vom 1. 3. 2018 bis 28. 2. 2019) nicht der Fall war, scheidet dieser Zeitraum (Bildungskarenz) als Referenzzeitraum von vornherein aus. Als Referenzzeitraum kommen damit nur die 13 Wochen vor dem Antritt der Bildungskarenz in Betracht. In diesem Referenzzeitraum verrichtete die Klägerin nach den Feststellungen aber Nachtdienste und verdiente durch diese (zusätzliche) € 205,54 brutto pro Monat, somit um diesen Betrag monatlich mehr als schwangerschaftsbedingt nach Rückkehr aus der Bildungskarenz.
Es besteht entgegen der Ansicht des Arbeitgebers keine Gefahr, dass sich während einer allenfalls mehrjährigen Karenz der Betrieb derart ändert, dass zwischenzeitig kein Mitarbeiter mehr Nachtarbeit leistet und die aus der Karenz zurückgekehrte Arbeitnehmerin trotzdem einen Anspruch auf Nachtdienstzulage hätte. In einem solchen Fall wäre die „Änderung der Verwendung“ nicht durch die Schwangerschaft erforderlich, sodass kein Anspruch nach § 14 MSchG bestünde.