Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement des ARD erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
Der Weg zu einem Bankomaten, um dort Bargeld zu Lasten des Gehaltskontos zu beheben, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 90 Abs 2 Z 7 B-KUVG (§ 175 Abs 2 Z 8 ASVG), selbst wenn es sich um die erste Bargeldbehebung nach der Entgeltüberweisung handelt.
OGH 19. 1. 2021, 10 ObS 132/20i
Entscheidung
Gesetzeslage
Nach § 90 Abs 2 Z 7 B-KUVG sind Dienstunfälle „auch Unfälle, die sich ereignen: … auf einem mit der unbaren Überweisung des Entgelts zusammenhängenden Weg von der Dienststätte oder der Wohnung zu einem Geldinstitut zum Zweck der Behebung des Entgelts und anschließend auf dem Weg zurück zur Dienststätte oder zur Wohnung“.
§ 90 Abs 2 Z 7 B-KUVG wurde mit der 6. B-KUVG-Novelle (BGBl 1976/707) eingeführt, zeitgleich mit der Einfügung einer entsprechenden Bestimmung in das ASVG (32. ASVG-Novelle, BGBl 1976/704).
Bisherige Rechtsprechung
Der OGH war bislang nur selten mit dem Unfallversicherungsschutz auf dem Bankweg befasst, hat § 175 Abs 2 Z 8 ASVG in seiner Rsp jedoch – ausgehend von den Intentionen des Gesetzgebers – stets eng ausgelegt: Geschützt ist danach nur der „erste“ Weg zum eigenen Geldinstitut, um das Entgelt bei diesem ersten Besuch des eigenen Geldinstituts nach der unbaren Gehaltsüberweisung zur Gänze zu beheben (vgl va 10 ObS 400/89, ARD 4166/4/90; 10 ObS 2458/96k, ARD 4833/23/97; 10 ObS 70/04y, ARD 5528/9/2004).
Die Frage des UV-Schutzes auf dem Weg zu einem Bankomaten wurde bisher allein in der E OGH 16. 12. 2003, 10 ObS 263/03d, ARD 5528/10/2004, behandelt. Der Kläger hatte am 14. 8. 2000 am Bankschalter seines Geldinstituts eine Barauszahlung von 500 ATS entgegengenommen. Ein weiterer Weg zu seinem Geldinstitut, um dort über einen Bankomaten eine weitere Geldbehebung vorzunehmen, wurde nicht als unter UV-Schutz stehend qualifiziert, wäre es doch dem Kläger „im maßgeblichen Lohnauszahlungszeitraum … möglich gewesen, sein Entgelt bereits am 14. 8. 2000 zur Gänze zu beheben“.
Auch die Literatur übernimmt die einengende Interpretation der Bestimmung (UV-Schutz idR nur für den „ersten“ Weg zur Entgeltbehebung und auch nur der Weg zur [eigenen] Bank). Der Fall, dass die „erste“ Behebung bei einem Bankomaten erfolgt, wird in der sozialrechtlichen Literatur nicht unmittelbar behandelt; aus den Äußerungen von R. Müller in SV-Komm (264. Lfg) § 175 ASVG Rz 229, und Puhr-Zeismann in Poperl/Trauner/Weißenböck, ASVG-Praxiskommentar (70. Lfg 2020) § 175 ASVG Rz 238, („mehr oder weniger totes Recht“) lässt sich aber schließen, dass sie den Weg zu einer Bargeldbehebung bei einem Bankomaten generell als nicht unter UV-Sachutz stehend ansehen.
Kein UV-Schutz als “Bankweg“
Der Gesetzgeber hat sowohl die räumlichen als auch die sachlichen Voraussetzungen der Regelung (§ 90 Abs 2 Z 7 B-KUVG bzw § 175 Abs 2 Z 8 ASVG) eng gefasst, indem er
- | auf einen Weg von der Dienststätte oder der Wohnung zu einem Geldinstitut und anschließend zurück sowie |
- | auf den Zweck der Behebung des Entgelts abstellt. |
Der Wortlaut der Bestimmung erfasst den Weg zu einer Geldbehebung bei einem Bankomaten nur dann, wenn sich der Bankomat bei „einem Geldinstitut“ befindet und dort die „Behebung des Entgelts“ vorgenommen werden kann. Um eine Ausdehnung auf Wege zu Bankomaten zu erreichen, die sich nicht beim „Geldinstitut“ befinden und die in aller Regel auch keine Behebung „des Entgelts“ (in voller Höhe, Anm d Red) ermöglichen, ist eine Analogie erforderlich, die eine planwidrige Lücke voraussetzt.
Eine solche Lücke ist jedoch angesichts der gesetzgeberischen Intention nicht zu ersehen:
Dem Gesetzgeber ging es darum, den UV-Schutz bei der innerbetrieblichen Lohnauszahlung (in Form einer Barzahlung) auf den vergleichbaren Vorgang der Geldbehebung beim Geldinstitut zu übertragen, ihn aber nicht auszudehnen. In diesem Sinn wurde der UV-Schutz auf einen engeren räumlichen Bereich beschränkt, der iZm der Dienststätte oder der Wohnung steht; um eine Vergleichbarkeit mit der innerbetrieblichen Entgeltauszahlung zu wahren, musste der Dienstnehmer außerdem in der Lage sein, nach der Überweisung beim ersten Aufsuchen der Bank das Entgelt bei der Bank (mehr oder weniger zur Gänze) zu beheben.
Einer Analogie steht auch entgegen, dass der gesetzlich geschützte Bankweg mit dem „Bankomatweg“ nicht vergleichbar ist: Abgesehen davon, dass die Bargeldbehebung bei „irgendeinem Bankomaten“ in aller Regel ein Abheben des gesamten Entgelts der Entgeltzahlungsperiode nicht zulässt (wegen der betraglichen Begrenzung bei Bankomaten außerhalb von Bankfoyers), würden die räumlichen Grenzen des UV-Schutzes in kaum eingrenzbarer Weise ausgedehnt. Würde § 90 Abs 2 Z 7 B-KUVG so gelesen, dass das Wort „Geldinstitut“ mit „Bankomat“ gleichgesetzt wird und die Wortfolge „zum Zweck der Behebung des Entgelts“ als „zum Zweck der Behebung von Entgelt“ verstanden wird, müssten unter UV-Schutz auch Fahrten stehen wie zB von Wien an den Bodensee nach Bregenz, Rorschach oder Konstanz, um dort bei einem Bankomaten den üblichen Grenzbetrag von € 400 zu beheben, samt der Fahrt zurück nach Wien.
Darüber hinaus würde eine Differenzierung danach, ob es typischerweise (wegen der Begrenzung der Höhe der Einzelbehebung) möglich ist, das Entgelt an einem Bankomaten zu beheben, den Unfallversicherungsschutz in sachlich nicht erklärbarer Weise von der Entgelthöhe abhängig machen, allenfalls sogar von Vereinbarungen der Zahlungsdienstleister mit ihren Kunden.
Wie auch der vorliegende Fall augenscheinlich zeigt (beabsichtigte Behebung von Bargeld, um die beabsichtigte Konsumation von Speisen und/oder Getränken in einer Cafeteria zu begleichen), kann die Bargeldbehebung bei einem Bankomaten regelmäßig nicht der „Behebung des Entgelts“ dienen (so wie früher im Lohnbüro des Arbeitgebers), sondern steht mit der Vorbereitung von eigenwirtschaftlichen Handlungen im Zusammenhang, die der Verwendung eines Teils des Entgelts dienen, wie etwa dem Einkauf von Nahrungsmitteln (vgl OGH 9. 1. 1996, 10 ObS 264/95, ARD 4727/10/96).
Als Ergebnis folgt, dass der Weg zu einem Bankomaten, um dort Bargeld zu Lasten des Gehaltskontos zu beheben, nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 90 Abs 2 Z 7 B-KUVG (§ 175 Abs 2 Z 8 ASVG) steht, selbst wenn es sich um die erste Bargeldbehebung nach der Entgeltüberweisung handelt.
Kein UV-Schutz nach der Generalklausel
Ein UV-Schutz des Klägers lässt sich auch nicht aus der Generalklausel des § 90 Abs 1 B-KUVG (§ 175 Abs 1 ASVG) ableiten:
Eine Subsumtion unter die Generalklausel (“Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen“) kommt nur bei starken Gründen in Betracht die den Mangel in bezug auf den Sondertatbestand auszugleichen vermögen. Dient etwa die Bargeldbehebung beim Bankomaten dazu, eine begonnene dienstliche Tätigkeit fortsetzen zu können (etwa um ein Taxi besteigen zu können, das ein liegen gebliebenes öffentliches Verkehrsmittel auf einer Dienstreise substituiert), ist ein innerer Zusammenhang mit dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung gegeben. Dabei wird bei Unfällen während einer Dienstreise ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen (dienstlichen) Tätigkeit im Allgemeinen eher anzunehmen sein als am Wohn- oder Betriebsort. Dienen zurückgelegte Wege aber privaten („eigenwirtschaftlichen“) Zwecken, ist für diese Wege der Versicherungsschutz auch auf Dienstreisen zu verneinen.
Unterbricht der Versicherte – wie hier – den zur versicherten Tätigkeit gehörenden Weg aus privaten Gründen nicht nur geringfügig und widmet sich persönlichen Belangen, steht er während dieser Zeit nicht unter Versicherungsschutz (hier: Unterbrechung der Fahrt zur nächsten Dienststelle, um zu Fuß ein 200 bis 300 m entferntes Postamt aufzusuchen und dort Briefmarken zu kaufen).