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Keine Lohnunterlagen vom Überlasser – Beschäftiger nicht strafbar

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

LSD-BG: § 22 Abs 2, § 28 Z 3

Bei einer grenzüberschreitenden Überlassung von Arbeitskräften nach Österreich trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der Lohnunterlagen den inländischen Beschäftiger (22 Abs 2 erster Satz LSD-BG). Der Überlasser hat dem Beschäftiger die Lohnunterlagen nachweislich bereitzustellen (§ 22 Abs 2 zweiter Satz LSD-BG). Kommt der Überlasser seiner Verpflichtung zur Bereitstellung der Lohnunterlagen nicht nach, begeht er eine Übertretung des § 28 Z 2 iVm § 22 Abs 2 zweiter Satz LSD-BG, der Beschäftiger hingegen verwirklicht nicht (auch) das Tatbild des § 28 Z 3 iVm § 22 Abs 2 erster Satz LSD-BG. Die Bereithaltungsverpflichtung soll eine wirksame Lohnkontrolle ermöglichen, um eine Mindestentlohnung der überlassenen Arbeitnehmer sicherzustellen. Zur Erreichung dieses Zwecks ist eine Bestrafung sowohl des Überlassers als auch des Beschäftigers iZm der Bereithaltung derselben Lohnunterlagen nicht erforderlich.

Eine Bestrafung des Beschäftigers (Verwirklichung des Tatbildes des § 22 Abs 2 erster Satz LSD-BG) setzt voraus, dass der Beschäftiger über die Lohnunterlagen auch verfügen kann, entweder weil sie ihm vom Überlasser bereitgestellt wurden, oder weil er über sie aus eigenem verfügen kann (wie etwa über die Arbeitszeitaufzeichnungen).

VwGH 26. 5. 2020, Ro 2019/11/0001

Sachverhalt

Im Rahmen einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung beschäftigte die B GmbH in Österreich einen Arbeitnehmer, der ihr von der A d.o.o., einer slowenischen Firma, überlassen worden war. Bei der Kontrolle durch die Finanzpolizei waren der Arbeitsvertrag, Lohnzettel und Teile der Arbeitszeitaufzeichnungen „vor Ort“. Lohnaufzeichnungen, Unterlagen für die Lohneinstufung und einige Teile der Arbeitszeitaufzeichnungen wurden hingegen nicht bereitgehalten oder in elektronischer Form zugänglich gemacht. Von der A d.o.o. wurden der B GmbH nur jene Lohnunterlagen nachweislich bereitgestellt, die bei der Kontrolle vor Ort auch bereitgehalten wurden. Unterlagen für eine Lohneinstufung hatte die B GmbH bei der A d.o.o. nicht „nachgefragt“.

Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass für die Nichtbereithaltung der Lohnunterlagen gemäß § 28 Z 3 LSD-BG zwar ausschließlich der Beschäftiger strafbar sei; habe der inländische Beschäftiger die Unterlagen jedoch nicht erhalten oder seien die erhaltenen Unterlagen nicht vollständig, sei der Beschäftiger gemäß § 28 Z 3 LSD-BG nicht strafbar, weil keine Aufforderungs- oder Kontrollpflicht gegenüber dem Überlasser normiert sei und der genannte Straftatbestand nur die Nichtbereithaltung erhaltener Lohnunterlagen umfasse. Strafbar sei hingegen gemäß § 28 Z 2 LSD-BG der Überlasser. Da im vorliegenden Fall der Nachweis nicht vorlag, dass der Überlasser dem Beschäftiger die Lohnunterlagen bereitgestellt hätte, sei der Mitbeteiligte als gemäß § 9 VStG nach außen vertretungsbefugtes Organ der B GmbH nicht strafbar.

Wegen fehlender Rechtsprechung zu den strafbewehrten Verpflichtungen des § 22 Abs 2 LSD-BG erachtete der VwGH die Revision für zulässig.

Entscheidung

Rechtsprechung bisher

Bereits klargestellt hat der VwGH, dass die die Verpflichtung des § 22 LSD-BG zur Bereithaltung von Lohnunterlagen einer wirksame Lohnkontrolle ermöglichen soll, um eine Mindestentlohnung der entsandten oder überlassenen Arbeitnehmer sicherzustellen (vgl VwGH 25. 2. 2020, Ra 2018/11/0110, ARD 6699/6/2020, unter Hinweis auf VwGH 20. 9. 2018, Ra 2017/11/0233, ARD 6625/8/2018, zur Vorgängerbestimmung § 7d AVRAG .

Außerdem hat der VwGH bereits ausgesprochen, dass sich die Verpflichtung des Beschäftigers zur Bereithaltung der Lohnunterlagen und die Verpflichtung des Überlassers, dem inländischen Beschäftiger diese Unterlagen nachweislich bereitzustellen, nur auf solche Unterlagen bezieht, die (schon) vorliegen können (vgl VwGH 7. 4. 2020, Ra 2018/11/0105, ARD 6710/8/2020).

Beschäftiger muss über Lohnunterlagen verfügen können

Nach den Gesetzesmaterialien zu § 22 LSD-BG (RV 1111 BlgNR 25. GP 18) ist der Überlasser zur nachweislichen Bereitstellung der Lohnunterlagen an den Beschäftiger verpflichtet, „um etwa Beweisproblemen, die im vorsätzlichen Zusammenwirken von Überlasser und Beschäftiger ausgenützt werden können, entgegenzuwirken“. Durch die „nachweisliche“ Bereitstellungsverpflichtung des Überlassers werden die Verpflichtungen iZm der Bereithaltung der Lohnunterlagen bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung zwischen dem Überlasser einerseits und dem Beschäftiger andererseits so voneinander abgegrenzt, dass deren jeweilige Verpflichtung auch nicht durch ein (kollusives) Zusammenwirken verschoben werden kann.

Während also der Überlasser – als Arbeitgeber der überlassenen Arbeitskraft im arbeitsvertraglichen Sinn (vgl VwGH 8. 9. 2016, Ra 2014/11/0083, ARD 6520/6/2016) – zur Bereitstellung der Lohnunterlagen an den Beschäftiger verpflichtet ist und die Bereitstellung im Rahmen einer Lohnkontrolle nachzuweisen hat, trifft den Beschäftiger die Bereithaltungsverpflichtung, sobald ihm die Lohnunterlagen bereitgestellt wurden oder soweit er über sie aus eigenem verfügen kann (wie etwa über die Arbeitsaufzeichnungen, die der Beschäftiger gemäß § 26 Abs 1 AZG iVm § 6 Abs 1 AÜG zu führen hat).

Die in § 22 Abs 2 erster und zweiter Satz LSD-BG normierten Tatbilder ergänzen einander, überschneiden sich demnach aber nicht. Kommt der Überlasser seiner Verpflichtung zur Bereitstellung der Lohnunterlagen nicht nach, wodurch er eine Übertretung des § 28 Z 2 iVm § 22 Abs 2 zweiter Satz LSD-BG begeht, so verwirklicht der Beschäftiger, der diese Unterlagen nicht bereithält, nicht (auch) das Tatbild des § 28 Z 3 iVm § 22 Abs 2 erster Satz LSD-BG. Eine Bestrafung sowohl des Überlassers als auch des Beschäftigers iZm der Bereithaltung derselben Lohnunterlagen ist auch zur Erreichung des Zwecks der Bereithaltungsverpflichtung (wirksame Lohnkontrolle) nicht erforderlich.

Keine Kontrolllücke

Diese Auslegung führt auch nicht zu einer Kontrolllücke:

Die Abgabenbehörden sind nämlich gemäß § 12 Abs 1 LSD-BG berechtigt, das Bereithalten der Unterlagen nach den §§ 21 und 22 LSD-BG zu überwachen. Dabei können sie gemäß § 12 Abs 1 Z 3 LSD-BG vom Überlasser die Übermittlung der zum Zweck der Lohnkontrolle erforderlichen Lohnunterlagen fordern, die (schon) vorliegen oder deren Beschaffung zumutbar ist (vgl VwGH 20. 9. 2018, Ra 2017/11/0233, ARD 6625/8/2018, zur Vorgängerbestimmung § 7f Abs 1 Z 3 AVRAG).

Insoweit hingegen der Beschäftiger aus eigenem über Lohnunterlagen nach § 22 Abs 1 LSD-BG verfügen kann (wie etwa über die Arbeitszeitaufzeichnungen), können die Abgabenbehörden deren Übermittlung vom Beschäftiger fordern.

Damit steht den Abgabenbehörden eine – verwaltungsstrafrechtlich bewehrte (vgl § 27 Abs 1 LSD-BG) – Handhabe gegen eine versuchte Vereitelung der Lohnkontrolle zur Verfügung (vgl in diesem Zusammenhang VwGH 26. 4. 2018, Ro 2017/11/0016, ARD 6625/7/2018, zu § 7g Abs 2 AVRAG, der Vorgängerbestimmung des § 14 Abs 2 LSD-BG).

Arbeitszeitaufzeichnungen

Im Revisionsfall ist das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Lohnaufzeichnungen und der Unterlagen betreffend die Lohneinstufung somit zu Recht davon ausgegangen, dass für den inländischen Beschäftiger mangels Bereitstellung durch den Überlasser keine Verpflichtung zur Bereithaltung bestanden hat.

Hinsichtlich der – vom Beschäftiger selbst zu führenden – Arbeitszeitaufzeichnungen hat das Verwaltungsgericht hingegen zu Unrecht angenommen, dass auch deren Bereithaltung die Bereitstellung durch den Überlasser voraussetzt. Dadurch hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es aufzuheben war.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29724 vom 30.09.2020