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Keine Schwerarbeitszeiten während Freistellung als Betriebsrat

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

APG § 4 Abs 3

ASVG § 607 Abs 14

ArbVG § 115 Abs 3

Zur Beurteilung, ob die von einem Versicherten erworbenen Versicherungsmonate als Schwerarbeitsmonate anzuerkennen sind, ist auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen; wird tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet, können auch keine Schwerarbeitszeiten erworben werden. Zeiten, in denen eine diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester für die Ausübung ihres Betriebsratsmandats vom Dienst freigestellt war, können daher nicht als Schwerarbeitszeiten qualifiziert werden, auch wenn sie vor der Freistellung Schwerarbeit verrichtet hat.

Darin liegt auch keine Verletzung des Benachteiligungsverbots von BR-Mitgliedern nach § 115 Abs 3 ArbVG.

OGH 20. 12. 2016, 10 ObS 117/16b

Entscheidung

Tatsächlich ausgeübte Tätigkeit

Für die Maßgeblichkeit der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit sprechen nach Ansicht des OGH va die Formulierungen in § 607 Abs 14 ASVG („erbracht wurden“), § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV („geleistet werden“) und § 4 SchwerarbeitsV („ausgeübt wurden“) sowie der - wenn auch nicht eindeutig - aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9) hervorleuchtende Zweck der Regelung. Außerdem wird diese Ansicht durch die bisherige Rsp gestützt (vgl OGH 10. 5. 2016, 10 ObS 30/16h, ARD 6504/13/2016) und durch die Rsp zur Anerkennung von Zeiten des Urlaubsverbrauchs als Schwerarbeitszeiten nicht beeinträchtigt (vgl OGH 27. 7. 2010, 10 ObS 96/10f, ARD 6082/4/2010): Beim Urlaubsanspruch handelt es sich um einen verpflichtenden gesetzlichen Freistellungsanspruch, der nach der Intention des Gesetzgebers va der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers dienen soll, während Arbeitnehmer freiwillig entscheiden, ob sie durch eine Mandatsausübung die Interessen der Belegschaft vertreten möchten. Ein weiterer Wertungsunterschied in Bezug auf die mögliche fiktive Annahme von Schwerarbeitszeiten besteht im zeitlichen Ausmaß der Freistellung.

Keine Benachteiligung als BR durch Nichtanerkennung

In der Revision beruft sich die Klägerin in erster Linie auf eine Verletzung des Benachteiligungsverbots von BR-Mitgliedern (§ 115 Abs 3 ArbVG).

Dazu hält der OGH ua fest, dass das OLG Wien als seinerzeitiges Höchstgericht in Sozialversicherungssachen die Pflicht zur Gleichbehandlung von (freigestellten) BR-Mitgliedern insofern auf das Leistungsrecht der Sozialversicherung ausgedehnt hat, als es auch die Berücksichtigung von Zeiten als freigestellter Betriebsrat für die Beurteilung des Berufsschutzes verlangte (vgl OLG Wien 15. 2. 1962, 16 R 3/62, ARD 1506/11/62 = SSV 2/17). Die weitere Aussage, dass das freigestellte BR-Mitglied weiterhin Dienstnehmer sei und wegen seiner BR-Tätigkeit weder eine dienstrechtliche noch eine sozialversicherungsrechtliche Benachteiligung erleiden dürfe, wurde in einer weiteren Entscheidung obiter wiederholt (OLG Wien 16. 11. 1981, 31 R 298/81, ARD 3429/5/82 = SSV 21/112).

Daraus kann jedoch nach Ansicht des OGH nicht der Schluss gezogen werden, dass sich das Diskriminierungsverbot auch auf Schwerarbeitszeiten auswirkt:

Betrachtet man die Bestimmung des § 115 Abs 3 ArbVG in ihrem Zusammenhang, handelt es sich um eine Regelung des Betriebsverfassungsrechts, die die Beziehungen zwischen Belegschaft und Betriebsinhaber regelt. Dies spricht dafür, dass Adressat des Beschränkungs- und Benachteiligungsverbots der Betriebsinhaber bzw Arbeitgeber ist.

Aufgrund des Entgeltschutzes dürfen freigestellte Mitglieder des Betriebsrats in Bezug auf ihr Entgelt nicht benachteiligt werden. Das bedeutet für den Fall, dass eine vor der Freistellung ausgeübte Schwerarbeit mit einem höheren Entgelt verbunden war, dass dieses höhere Entgelt auch während der Freistellung gebührt. Eine darüber hinausgehende Qualifikation der Monate der Freistellung als Schwerarbeitsmonate ist jedoch vom Entgeltschutz nicht umfasst.

Während das OLG Wien in der E 16 R 3/62 die Berücksichtigung der Freistellungszeiten beim Berufsschutz va mit dem Vorliegen einer Gesetzeslücke begründete und entsprechend dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers schloss, liegt im hier zu entscheidenden Fall keine planwidrige Gesetzeslücke vor: Wie bereits dargestellt wurde, will der Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, erkennbar auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abstellen. Wird tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet, können auch keine Schwerarbeitszeiten erworben werden.

Der Klägerin geht es um den Erwerb von Schwerarbeitszeiten durch fiktive Ausübung von Schwerarbeit. Sie wird nicht benachteiligt, wenn der nach dem Gesetz ausschlaggebende Umstand, dass sie die belastende Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeübt hat, zur Nichtanrechnung von Schwerarbeitszeiten führt. Im Gegenteil würde sie einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil aus der BR-Mitgliedschaft ziehen, wenn sie die belastende Tätigkeit tatsächlich nicht ausüben musste, aber trotzdem die Zeiten der Freistellung als Schwerarbeitszeiten qualifiziert würden.

Der OGH gab der Revision daher nicht Folge.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23031 vom 30.01.2017