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Kündigungsfrühwarnsystem: Einvernehmliche Auflösungen

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

AMFG: § 45

Gemäß § 45a Abs 1 AMFG haben Arbeitgeber die zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, innerhalb von 30 Tagen eine bestimmte Anzahl von Arbeitsverhältnissen “aufzulösen“, die den jeweiligen Schwellenwert überschreitet. Auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen dieser Bestimmung ist nach stRsp auch die Zahl der einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen anzurechnen, die vom Arbeitgeber veranlasst wurden.

Die Nichtigkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG für verfrühte Kündigungen bezieht sich jedoch nur auf Kündigungen und nicht auch auf einvernehmliche Auflösungen. Die Auslegung der Bestimmung ist nach ihrem Wortlaut („Kündigungen“) vorzunehmen, eine nicht gewollte Lücke in § 45a Abs 5 AMFG liegt nicht vor und auch im Hinblick auf die MassenentlassungsRL ist keine ausdehnende Auslegung dieser Bestimmung geboten.

Hat der Arbeitgeber daher die beabsichtigte Auflösung von Arbeitsverhältnissen über dem jeweiligen Schwellenwert dem AMS angezeigt und kommt es in der Folge zu vom Arbeitgeber initiierten einvernehmlichen Auflösungen, noch bevor das AMS die Zustimmung zur Auflösung der Dienstverhältnisse erteilt (vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG), so sind die einvernehmlichen Auflösungen rechtswirksam erfolgt.

OGH 24. 6. 2021, 9 ObA 47/21h

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Die Klägerin war ab 25. 11. 2019 für die beklagte Arbeitgeberin in deren Hotel in I***** auf Vollzeitbasis beschäftigt. Vereinbart war ein befristetes Arbeitsverhältnisses bis 6. 5. 2020 mit vorzeitiger Kündigungsmöglichkeit (Kündigungsfrist von 14 Kalendertagen). Anfang März 2020 waren im Betrieb 50 bis 57 Mitarbeiter beschäftigt, ein Betriebsrat war nicht errichtet.

Am 12. 3. 2020 übermittelte der Geschäftsführer der zuständigen Geschäftsstelle des AMS die Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG und ersuchte, die Zustimmung zum Ausspruch der Kündigungen vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG möglichst sofort zu erteilen.

Am 13. 3. 2020 schlug der Geschäftsführer zahlreichen Mitarbeitern eine Auflösungsregelung vor, nach der das Arbeitsverhältnis „einvernehmlich zum 14. 3. 2020 aufgelöst“ wird. Diese Auflösungsregelung wurde vom Geschäftsführer aufgrund der herrschenden COVID-19-Situation initiiert. Auch die Klägerin unterschrieb diese Auflösungsvereinbarung am 13. 3. 2020.

Mit Bescheid vom 21. 3. 2020 erteilte das AMS die Zustimmung zum Ausspruch von Kündigungen vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG und sprach aus, dass Kündigungen ab sofort rechtswirksam ausgesprochen werden können.

Die Klägerin vertritt nun die Ansicht, dass die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses iSd § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam sei, weil das AMS erst mit Bescheid vom 21. 3. 2020 auf die Einhaltung der Wartefrist verzichtet habe.

Das ErstG gab dem Klagebegehren statt. Das BerufungsG gab der Berufung der Arbeitgeberin Folge und wies das Klagebegehren ab; § 45a Abs 5 AMFG könne nicht unterstellt werden, dass auch einvernehmliche Auflösungen von der Rechtsunwirksamkeit betroffen sein sollten.

Der OGH ließ die ordentliche Revision der Klägerin zur Auslegung des § 45a Abs 5 AMFG zu, bestätigte aber im Ergebnis die Rechtsansicht des BerufungsG.

Entscheidung

Anzeigepflicht inkl einvernehmliche Auflösungen

Nach dem klaren Wortlaut des § 45a Abs 1 AMFG wird die Verständigungspflicht schon dann ausgelöst, wenn ein Arbeitgeber “beabsichtigt“, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen “aufzulösen“. Damit soll dem Zweck des Frühwarnsystems entsprechend ua erreicht werden, bereits vor Freisetzung einer arbeitsmarktpolitisch relevanten Zahl von Arbeitskräften Beratungen durchführen zu können (vgl OGH 8. 7. 1998, 9 ObA 146/98f, ARD 4969/22/98).

Eine Unterscheidung nach der Art der Auflösung der Arbeitsverhältnisse enthält Abs 1 nicht. Dass neben Kündigungen auch vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Auflösungen darunter zu subsumieren sind, wurde schon in der E 8 ObA 258/95, ARD 4687/3/95, festgehalten, weil die Absicht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse aufzulösen, sowohl zu einseitigen, empfangsbedürftigen Kündigungen als auch zu annahmebedürftigen Anboten von Aufhebungsverträgen führen kann. Nach stRsp ist daher auch die Zahl der einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45a Abs 1 AMFG anzurechnen (RS0053050).

Davon geht auch die Lehre aus (zB Löschnigg/Standeker in RdW 2000/518 mwN; zuletzt etwa Gerhartl in ASoK 2021, 57; Eichmeyer/Andréewitch in RdW 2021/52).

Nichtigkeitssanktion nur für verfrühte Kündigungen

Dagegen ist die Nichtigkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG nach ihrem klaren Wortlaut nur auf Kündigungen bezogen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 bezwecken. Sie bewirkt ein temporäres gesetzliches Kündigungsverbot. In der Lehre werden daraus unterschiedliche Schlüsse gezogen (für die Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen zB Löschnigg/Standeker, aaO; Eichmeyer/Andréewitch, aaO; für die Beschränkung auf Kündigungen zB Olt in ARD 6448/5/2015). In der Rsp bestand noch kein Anlass für eine nähere Auseinandersetzung. Zu prüfen bleibt damit die Frage, ob hier eine bewusste Differenzierung vorgenommen werden sollte oder ob Abs 5 eine planwidrige (Umsetzungs-)Lücke enthält, die im Weg der Analogie zu schließen wäre.

Der unterschiedliche Wortlaut der Abs 1 und 5 des § 45a AMFG spricht zunächst für eine Differenzierung zwischen Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen, der Gesetzeszweck (Möglichkeit für das AMS, der Belastung des Arbeitsmarkts gegenzusteuern) legt dagegen eine Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen nahe. Aus objektiv-teleologischer Sicht wäre eine vom Arbeitgeber initiierte einvernehmliche Auflösung der Arbeitgeberkündigung somit gleichzuhalten. Aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung kommt eine Ausdehnung des temporären Kündigungsverbots und der Nichtigkeitssanktion auf andere Beendigungsarten als Kündigungen aber nur dann in Betracht, wenn der Gesetzeswortlaut entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu kurz greift oder wenn sie einer richtlinienkonformen Auslegung geschuldet ist.

Beides verneint der OGH jedoch:

Mit BGBl 1993/18 wurde § 45a Abs 1 AMFG in Vorbereitung auf den EG-Beitritt Österreichs an die sogenannte MassenentlassungsRL angepasst (damals: RL 75/129/EWG; nunmehr: RL 98/59/EG) und sollte nach den Erläuternden Bemerkungen (RV 823 BlgNR 18. GP S 5) neben Kündigungen auch Entlassungen und einvernehmliche Auflösungen erfassen; die Nichtigkeitssanktion des Abs 5 blieb aber nur auf Kündigungen bezogen (ebenso die Möglichkeit einer vorzeitigen Zustimmung des Landesarbeitsamtes nach Abs 8). Die Annahme einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Lücke in Abs 5 liegt damit nicht nahe.

Die MassenentlassungsRL 98/59/EG brachte zwar eine Erweiterung in Teil I („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“) insofern, als gem Art 1 Abs 1 RL “für die Berechnung der Zahl der Entlassungen“ diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt werden, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus Gründen erfolgen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen. Diese “gleichgestellten Entlassungen“ sind aber nur für die Berechnung der Zahl der Entlassungen ausschlaggebend (vgl ErwGr 8 RL). Nach eingehender Auseinandersetzung mit der RL kommt der OGH daher zum Schluss, dass sich aus der RL nicht ergibt, dass die Sanktionsanordnung des § 45a Abs 5 AMFG in richtlinienkonformer Interpretation auf arbeitgeberseitig initiierte einvernehmliche Auflösungen angewandt werden müsste.

Da sohin insgesamt weder das Vorliegen einer ungewollten Lücke noch die Notwendigkeit eines europarechtlich gebotenen ausdehnenden Verständnisses des § 45a Abs 5 AMFG indiziert ist, ist die Auslegung der Bestimmung nach ihrem Wortlaut („Kündigungen“) vorzunehmen.

Das streitgegenständliche Dienstverhältnis wurde daher rechtswiksam zum 14. 3. 2020 einvernehmlich aufgelöst.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31176 vom 12.07.2021