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Leiharbeitnehmer: Arbeitnehmereigenschaft für BR-Wahl beim Beschäftiger

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

ArbVG: § 36, § 59

Unter den Arbeitnehmerbegriff der Betriebsverfassung (§ 36 Abs 1 ArbVG) fallen “alle im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen einschließlich der Lehrlinge und der Heimarbeiter ohne Unterschied des Alters“. Bei einer Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG sind die überlassenen Arbeitnehmer aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht nicht nur als Arbeitnehmer des Überlasserbetriebs, sondern auch als Arbeitnehmer des Beschäftigerbetriebs anzusehen. Dafür ist keine Mindestbeschäftigungsdauer erforderlich, dh überlassene Arbeitehmer zählen von Beginn der Überlassung an auch zu den Arbeitnehmern des Beschäftigerbetriebs.

Bei einer Betriebsratswahl im Beschäftigerbetrieb sind daher Leiharbeitnehmer, die am Stichtag (= Tag der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes) im Beschäftigerbetrieb tätig sind, bei der Ermittlung der Zahl der Betriebsratsmitglieder nach § 50 ArbVG zu berücksichtigen.

OGH 29. 9. 2020, 9 ObA 65/20d

Hinweis:

Die Zahl der BR-Mitglieder ist in § 50 ArbVG geregelt. Diese Bestimmung ist dem II. Teil des ArbVG zuzuordnen, der mit § 36 ArbVG über einen eigenen Arbeitnehmerbegriff verfügt. Aufgrund welchen Rechtstitels die Beschäftigung im Betrieb erfolgt ist grundsätzlich gleichgültig.

Der OGH hat sich bisher in zwei Entscheidungen mit der Einbeziehung von Leiharbeitnehmern in den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auseinandergesetzt: OGH 15. 7. 1987, 9 ObA 63/87, ARD 3921/10/87, und OGH 13. 2. 1991, 9 ObA 22/91, ARD 4261/17/91.

Allgemein anerkannt war seither, dass ein überlassener Arbeitnehmer jedenfalls der Belegschaft des Überlasserbetriebes iSd § 36 ArbVG zugehörig bleibt, also auch im Fall längerer Überlassung. Umstritten war hingegen, ob eine gewisse zeitliche Dauer der Arbeitskräfteüberlassung erforderlich ist, um den überlassenen Arbeitnehmer als beschäftigte Person des Beschäftigerbetriebs iSd § 36 ArbVG qualifizieren zu können.

Entscheidung

Nach Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansichten in der Literatur kommt der OGH zu folgendem Schluss:

-Durch die Einführung des AÜG wurden schon ex lege gewisse Arbeitgeberaufgaben auf den Beschäftiger übertragen – vgl dazu etwa die Regelungen iZm Arbeitnehmerschutz und Fürsorgepflichten (§ 6 AÜG), Gleichbehandlung (§ 6a AÜG), Arbeitszeit und Urlaub (§ 10 Abs 3 AÜG), Zugang zu Wohlfahrtseinrichtungen und -maßnahmen (§ 10 Abs 6 AÜG) oder Mitteilungspflichten (§ 12 Abs 3 und 4 AÜG). Daraus ergibt sich ein breites Betätigungsfeld für den BR des Beschäftigerbetriebes zur Wahrnehmung der Interessen der überlassenen Arbeitnehmer. Hinzu kommt, dass die Rechtsstellung des BR (§§ 89 bis 92b ArbVG) aufgrund der Verweisung in § 99 Abs 5 letzter Satz ArbVG auch bei den überlassenen Arbeitnehmern greift.
-Das zahlenmäßige Verhältnis von Arbeitnehmern zu BR-Mitgliedern nach § 50 ArbVG ist eine nach dem gesetzlich vermuteten Aufwand normierte Größe: In der Zahl der BR-Mitglieder kommt der mögliche Aufwand für das Belegschaftsorgan zum Ausdruck. Eine Differenzierung nach der Art der Beschäftigten ist § 50 ArbVG nicht zu entnehmen wie es auch irrelevant ist, ob ein Arbeitnehmer das aktive oder passive Wahlrecht besitzt.
Da der Beschäftigerbetrieb gegenüber dem überlassenen Arbeitnehmer in vielen Bereichen wie ein arbeitsvertraglicher Arbeitgeber auftritt, kann es im konkreten Fall für den Umfang des Betätigungsfeldes des BR keinen Unterschied machen, ob sich die Gesamtzahl der zu vertretenden Arbeitnehmer aus Stammpersonal oder überlassenen Arbeitskräften zusammensetzt, also uU nur kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmern. Dass die Zahl der überlassenen Arbeitskräfte naturgemäß zu stärkeren Schwankungen neigt, ist nicht ins Kalkül zu ziehen, weil der Gesetzgeber in § 50 Abs 2 ArbVG klar eine Stichtagsregelung eingeführt und sogar ausdrücklich festgehalten hat, dass eine spätere Änderung der Zahl der Arbeitnehmer auf die Zahl der BR-Mitglieder keinen Einfluss hat.
Vor diesem Hintergrund würde es dem Sinn von § 50 ArbVG zuwiderlaufen, wenn nicht sämtliche überlassenen Arbeitskräfte bei der Ermittlung der Anzahl der BR-Mitglieder einbezogen würden.
Dass ihre Zugehörigkeit zur Belegschaft des Überlasserbetriebes weiterbesteht und der dortige BR – falls ein solcher besteht – auch bestimmte Interessen der überlassenen Arbeitnehmer zu vertreten hat, steht dem nicht entgegen, zumal sich die Zuständigkeiten der zwei BR – von Überlasser- und Beschäftigerbetrieb – ergänzen.
-Ein Bedürfnis der Arbeitnehmer an der Wahrung ihrer Interessen im Beschäftigerbetrieb besteht von Beginn an. ArbVG und AÜG bieten keinen Anhaltspunkt für eine zeitliche Einschränkung der Interessenwahrung durch den Beschäftiger-BR.
Auch Arbeitnehmer des Stammpersonals werden unabhängig von der zeitlichen Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses betriebsverfassungsrechtlich von Beginn an als „vollwertige“ Arbeitnehmer angesehen. Dass § 53 ArbVG das passive Wahlrecht und § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG die Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit an eine Mindestdauer der Beschäftigung im Betrieb knüpft, ist jeweils aus dem Zweck der Bestimmung heraus erklärbar (und gilt im Übrigen für alle Arbeitnehmer, also auch für jene des Stammpersonals).
-Letztlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 50 (iVm § 36) ArbVG über die Anzahl der BR-Mitglieder um eine wahlrechtliche Vorschrift handelt. Um Streitigkeiten über das Wahlergebnis bzw die Gültigkeit des Wahlvorgangs hintanzuhalten, muss das Wahlrecht grundsätzlich formalistisch sein. Weder dem Wortlaut des § 36 ArbVG noch jenem des § 50 ArbVG kann unmittelbar entnommen werden, dass überlassene Arbeitnehmer nicht oder nur unter bestimmten Umständen bei Bestimmung der Zahl der BR-Mitglieder zu berücksichtigen wären. Auch der Gedanke der Rechtssicherheit spricht daher dagegen, nach § 50 ArbVG überlassene Arbeitnehmer nur unter gewissen Voraussetzungen zu berücksichtigen – die im Gesetzestext aber gerade nicht verankert sind.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29930 vom 12.11.2020