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Wird ein neuerlicher Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) mehr als 18 Monate nach rechtskräftiger Abweisung eines zuvor gestellten Pensionsantrags und somit nach Ablauf der Sperrfrist des § 362 ASVG gestellt, von der Behörde jedoch wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG – und damit ohne Entscheidung in der Sache selbst – zurückgewiesen, kann dieser Zurückweisungsbescheid nur durch eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, nicht aber durch eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht bekämpft werden. Eine analoge Anwendung des § 68 ASGG, der ausnahmsweise in den Fällen des § 362 ASVG den ordentlichen Rechtsweg gegen die Zurückweisung eines Leistungsantrags durch den SV-Träger zulässt, kommt im Hinblick auf das Fehlen einer Gesetzeslücke nicht in Betracht.
OGH 28. 4. 2015, 10 ObS 17/15w
Sachverhalt
Mit Bescheid vom 6. 8. 2009 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag des Kl auf Gewährung einer Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass er nicht die erforderliche Mindestzahl von 120 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung erworben habe.
Am 6. 2. 2012 beantragte der Kl neuerlich die Gewährung der Invaliditätspension. Dieser Antrag wurde von der PVA unter Bezugnahme auf § 357 ASVG und § 68 Abs 1 AVG mit der Begründung zurückgewiesen, dass über den Antrag vom 29. 4. 2009 auf Invaliditätspension bereits mit rechtskräftigem Bescheid vom 6. 8. 2009 entschieden worden sei. Seit dieser Entscheidung hätten sich weder Änderungen in der Sachlage noch in der Rechtslage ergeben, sodass der Antrag zurückzuweisen sei.
Der Kl bekämpfte den Bescheid, indem er neben einem Einspruch an den Landeshauptmann auch beim ErstG Klage einbrachte. Zu dem durch den neuerlichen Antrag ausgelösten Stichtag 1. 3. 2012 sei die Wartezeit nunmehr erfüllt.
Das ErstG wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Da der Versicherungsträger eine meritorische Entscheidung verweigert habe, sei eine Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz ausgeschlossen. Das RekursG gab dem Rekurs des Kl nicht Folge.
Der Revisionsrekurs wurde vom OGH zur Klarstellung der Rechtslage zugelassen, ob eine analoge Anwendung des § 68 ASGG in Betracht kommt, wenn ein neuerlicher Antrag auf Pensionsgewährung erst nach Ablauf der Sperrfrist des § 362 ASVG gestellt wurde.
Entscheidung
Grundsatz der sukzessiven Kompetenz
In seinen Entscheidungsgründen erinnert der OGH zunächst daran, dass die sukzessive Kompetenz des ASG in Sozialrechtssachen gem § 67 Abs 1 ASGG grds erfordert, dass der mit der Klage angefochtene Bescheid eine Sachentscheidung darstellt. Hat der bekl Versicherungsträger jedoch bescheidmäßig nicht über die Kernfrage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen entschieden, sondern liegt nur eine bloße Formalentscheidung vor – etwa eine Antragszurückweisung –, erfülle diese nicht die Voraussetzung einer „Entscheidung des Versicherungsträgers über den Anspruch“ und unterliege grundsätzlich nicht der Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz. Eine dennoch erhobene Klage sei wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (§ 73 ASGG).
Ausnahmeregelung des § 68 ASGG
Von diesem Grundsatz statuiert § 68 ASGG eine Ausnahme: Obwohl der Versicherungsträger zuvor keine Sachentscheidung getroffen hat, sondern „in den Fällen des § 362 ASVG“ den Leistungsantrag zurückgewiesen hat, kann das Gericht ausnahmsweise in der Sache entscheiden, wenn eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands durch den Versicherten glaubhaft gemacht wird (§ 68 Abs 1 ASGG).
Dazu stellt der OGH nun zunächst klar, dass sich § 362 ASVG insb auf Versehrtenrenten sowie auf Anträge auf Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits-, Knappschafts- oder Knappschaftsvollpension bezieht und zu einer Verfahrenserleichterung führt: Stellt der Versicherte einen neuerlichen Antrag innerhalb der dort genannten Sperrfrist (von einem Jahr bzw 18 Monaten) und vermag er dabei eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands nicht glaubhaft zu bescheinigen, kann der Versicherungsträger den Antrag wegen entschiedener Rechtssache zurückweisen.
Anknüpfungspunkt für die Klage gemäß § 68 ASGG ist somit – so der OGH – eine spezielle Konstellation im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren. Wird im Verfahren vor dem ASG eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands glaubhaft gemacht, kann das Gericht ausnahmsweise in der Sache entscheiden, obwohl der Versicherungsträger zuvor keine Sachentscheidung getroffen, sondern den Leistungsantrag im Hinblick auf die Sperrfrist (und das Fehlen einer wesentlichen Änderung) zurückgewiesen hat.
Ansonsten unterliegen verfahrensrechtliche Bescheide der Versicherungsträger wie Antragszurückweisungen grundsätzlich nicht der Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz.
Für den vorliegenden Fall stellt der OGH klar, dass § 68 ASGG nicht zum Tragen kommt, weil der neuerliche Antrag nach Ablauf der in § 362 Abs 1 ASVG genannten Sperrfrist (nach Rechtskraft des Bescheids vom 6. 8. 2009) gestellt wurde und eine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers gegenüber der früheren Antragstellung gar nicht behauptet bzw bescheinigt wurde. Es liege daher eine Zurückweisung eines neuerlichen Pensionsantrags durch die PVA außerhalb der Fälle des § 362 ASVG vor, sodass die in § 68 ASGG genannte Voraussetzung einer Zurückweisung des Antrags „in den Fällen des § 362 ASVG“ nicht gegeben sei.
Keine analoge Anwendung des § 68 ASGG
Nach Ansicht des OGH kommt im vorliegenden Fall aber auch eine analoge Anwendung des § 68 ASGG nicht in Betracht:
Abgesehen davon, dass Ausnahmebestimmungen im Allgemeinen nicht ausdehnend auszulegen sind, fehlt es für die begehrte analoge Anwendung des § 68 ASGG im vorliegenden Fall am Vorliegen einer Gesetzeslücke, also einer planwidrigen Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung. Bei der Zurückweisung eines Leistungsantrags (wie hier) handelt es sich nämlich nach stRsp des OGH und des VwGH um eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG. Während somit die Zurückweisung eines Leistungsantrags gemäß § 362 ASVG zu den Leistungssachen iSd § 354 ASVG gehört, handelt es sich bei der Zurückweisung eines Leistungsantrags wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG um einen verfahrensrechtlichen Bescheid in Leistungssachen, der als Verwaltungssache iSd § 355 ASVG zu beurteilen ist. Der Bescheid eines Versicherungsträgers, mit dem in einer Leistungssache ein Leistungsantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, ist daher (nunmehr) durch eine Beschwerde an das BVwG zu bekämpfen (vgl § 414 ASVG).
Entscheidungsbefugnis beim BVwG
Abschließend hält der OGH fest, dass somit die Zurückweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 73 ASGG zu Recht erfolgt ist.
Eine Beurteilung der Richtigkeit der weiteren Rechtsmittelausführungen, wonach im Hinblick auf die zwischenzeitig erworbenen weiteren Versicherungszeiten keine Identität der Sache bzw der Rechtslage vorliege, weshalb der neuerliche Leistungsantrag von der PVA nicht unter Bezugnahme auf § 68 Abs 1 AVG hätte zurückgewiesen werden dürfen, obliege daher – so der OGH – dem BVwG, das nunmehr für die Behandlung des vom Kl auch erhobenen Einspruchs an den Landeshauptmann zuständig ist.