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Pensionsanwartschaften – Abfindung bei Betriebsübergang

Bearbeiter: Bettina Sabara

AVRAG: § 5 Abs 2

Hat ein Betriebsübergang den Wegfall der bisherigen betrieblichen Pensionszusage zur Folge und hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen, so hat er einen Anspruch auf Pensionsabfindung gegenüber dem Veräußerer. Dieser Anspruch entsteht nach dem Gesetzeswortlaut bereits dann, wenn die Pensionszusage des Veräußerers mangels Übernahme durch den Erwerber wegfällt; ob im Unternehmen des Erwerbers eine (andere) Pensionszusage besteht, ist irrelevant.

Die Pensionsabfindung ist nach dem Teilwertverfahren aufgrund der bisherigen Anwartschaften zu berechnen. Im Fall einer Pensionskassenzusage ist von der ermittelten Abfindung der Unverfallbarkeitsbetrag abzuziehen, der sich nach den Rechnungsvorschriften der Pensionskasse ergibt und einen Anspruch gegenüber der Pensionskasse begründet.

OGH 24. 8. 2017, 8 ObA 73/16t

Zu OLG Wien 8 Ra 49/16h, ARD 6548/8/2017 (Änderung)

Sachverhalt

Der Kläger war als Flugkapitän bei der beklagten Partei beschäftigt. Für ihn galt eine (bedingt) leistungsorientierte kollektivvertragliche Betriebspensionszusage, die an eine Pensionskasse ausgelagert ist. 2012 wurde der Kläger über einen bevorstehenden Betriebsübergang und darüber informiert, dass die leistungsorientierten Pensionskassenzusagen von der Übernehmergesellschaft nicht übernommen werden.

Der Kläger hat dem Betriebsübergang nicht widersprochen und das Dienstverhältnis mit dem Übernehmer fortgesetzt. Im Betrieb des Übernehmers besteht eine andere, beitragsorientierte betriebliche Pensionszusage.

Der Kläger begehrt von seinem ehemaligen Arbeitgeber rund € 600.000,- brutto mit der Begründung, dass ihm dieser wegen der Nichtübernahme der leistungsorientierten Pensionszusage gemäß § 5 Abs 2 AVRAG als Veräußerer eine nach dem Teilwertverfahren errechnete Abfindung in der eingeklagten Höhe schulde.

Dagegen wandte die Beklagte ein, dass ein solcher Anspruch das Nichtbestehen einer Pensionszusage im Betrieb des Übernehmers vorausetze; eine bloße Verschlechterung der Bedingungen genüge nicht.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Mit der zulässigen Revision wurde erstmals die Frage geklärt, ob Voraussetzung für eine Pensionsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG der Wegfall oder auch eine Minderung einer betrieblichen Pensionszusage ist. Sie erwies sich auch als berechtigt.

Entscheidung

Dass § 5 Abs 2 AVRAG nicht nur auf den Wegfall einer individualrechtlichen Pensionszusage eingeschränkt ist, sondern generell den Wegfall „der“ betrieblichen Pensionszusage erfasst, sohin insbesondere auch infolge KV-Wechsels oder -wegfalls oder durch Wegfall der Betriebsvereinbarung, ist durch die Rsp bereits geklärt (vgl OGH 30. 7. 2015, 8 ObA 40/15p, ARD 6483/9/2016).

Ob der Gesetzgeber jedoch mit dem „Wegfall“ der betrieblichen Pensionszusage nur den Fall erfassen wollte, dass künftig überhaupt keine betriebliche Pensionszusage für den Arbeitnehmer mehr gelte, wurde in der Lit bsher unterschiedlich beantwortet. Der Wortlaut des ersten Satzes des § 5 Abs 2 AVRAG lässt jedenfalls beide Interpretationen zu, wobei nur die Auslegung des kl Arbeitnehmers unmittelbar aus dem Wortsinn abzuleiten ist.

Keine Differenzabfindung

Der OGH hält dazu nun zunächst fest, dass auch die Überlegungen jener Autoren, die das Modell einer Differenzabfindung und einer Einbringung der alten Anwartschaften in das Betriebspensionssystem des Erwerbers befürworten, nicht als Analyse eines gesetzlichen Istzustandes verstanden werden können, sondern als Überlegungen und Anregungen, deren praktische Umsetzung ein Tätigwerden des Gesetzgebers voraussetzen würde. De lege lata sieht § 5 Abs 2 AVRAG diese Variante und die erforderliche Berechnungsmethode nicht vor und diese Autoren können auch keine Lösung dafür anbieten, wie die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Systeme und Leistungsbedingungen praktisch gegeneinander zu gewichten und eine Wertdifferenz zu errechnen wäre.

Hinzu kommt, dass § 5 Abs 3 AVRAG ausdrücklich einen Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers normiert und damit der Annahme einer zwingenden Einbringung in das System des Erwerbers entgegensteht.

Der OGH folgt dem BerufungsG daher darin, dass die Nichtanordnung einer Differenzrechnung klar dafür spricht, dass der Gesetzgeber tatsächlich keine Differenzabfindung vorsehen wollte.

Schutz nicht übergegangener Anwartschaftsrechte

Allerdings kann daraus entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kein Argument für den Standpunkt der Bekl gewonnen werden.

Die Revision weist in diesem Zusammenhang richtig darauf hin, dass es dem Arbeitnehmer nach § 5 Abs 3 AVRAG freisteht, über die Abfindung iSd BPG zu verfügen. Er kann daher den Unverfallbarkeitsbetrag ua gemäß § 5 Abs 2 bzw § 7 Abs 3 BPG in die Pensionskasse, eine Einrichtung iSd § 5 Z 4 PKG, eine betriebliche Kollektivversicherung oder eine Gruppenrentenversicherung eines neuen Arbeitgebers übertragen. Der Gesetzgeber des AVRAG hat nicht nur offenkundig an die Möglichkeit eines Wechsels in ein neues System gedacht, sondern gleichzeitig eine Verwendungsoption normiert, die nur den Schluss zulässt, dass auch für diesen Fall der Abfindungsanspruch gebühren soll.

Zum selben Ergebnis gelangt man bei näherer Betrachtung des Zwecks der Regelung des § 5 Abs 2 AVRAG:

Art 3 Abs 3 der Betriebsübergangs-RL (nunmehr RL 2001/23/EG) lässt Regelungen der Mitgliedstaaten zu, nach denen die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit – im Unterschied zu den sonstigen Rechten und Pflichten des Veräußerers aus einem bestehenden Arbeitsvertrag – nicht aufgrund des Betriebsübergangs auf den Erwerber übergehen. Wenn Mitgliedstaaten von dieser Ausnahme Gebrauch machen, sind sie aufgefordert, die „notwendigen Maßnahmen“ zum Schutz der Interessen der aktiven und ehemaligen Arbeitnehmer aus den genannten Zusatzversorgungseinrichtungen zu treffen.

Die Auslegung des § 5 Abs 2 AVRAG hat sich somit grundsätzlich am Gedanken des Schutzes der nicht übergegangenen Anwartschaftsrechte der Arbeitnehmer zu orientieren.

Berechnung der Pensionsabfindung

Lehnt der Erwerber den Eintritt in eine betriebliche Pensionszusage ab, entsprechen die Rechtsfolgen dieses Schritts einer Teilkündigung des Dienstverhältnisses durch den Erwerber:

Der Erwerb weiterer Anwartschaften in der (bisherigen) Pensionszusage endet und der Arbeitnehmer beginnt gegebenenfalls im betrieblichen Pensionssystem des Erwerbers ab dem Übergangsstichtag neu mit dem Erwerb von Anwartschaften nach den dort geltenden Regeln.

Hinsichtlich der (bisherigen) betrieblichen Pensionszusage treten jene Konsequenzen ein, die sich aus den Regelungen des BPG ergeben, hier – bei pensionskassenfinanzierter kollektivvertraglicher Pensionszusage – konkret aus § 5 BPG: Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall Anspruch auf den Unverfallbarkeitsbetrag, den er in mehreren Varianten zur weiteren Sicherung seiner künftigen Pensionsversorgung veranlagen (§ 5 Abs 2 BPG) oder sich nach § 5 Abs 4 BPG abfinden lassen kann. Das Recht des Arbeitnehmers, in einer der gesetzlich geregelten Formen über den Unverfallbarkeitsbetrag zu verfügen, ist davon unabhängig, ob ihm in einem nachfolgenden neuen Dienstverhältnis wieder eine betriebliche Pensionszusage gewährt wird und ob diese günstiger oder weniger günstig ist als die beendete Pensionszusage.

Der Unverfallbarkeitsbetrag nach dem BPG repräsentiert aber nur den pro rata temporis ausfinanzierten Wert einer beitragsorientierten Pensionszusage. Der versicherungsmathematische Barwert einer (bedingt) leistungsorientierten Pensionszusage, wie sie zwischen den Parteien bestanden hat, ist in aller Regel höher, weil der Anspruch des Arbeitnehmers nicht auf das angesparte Kapital und dessen Erträgnisse begrenzt ist, sondern der ehemalige Dienstgeber zu Nachschüssen verpflichtet ist, wenn es die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen erfordert.

Dem entsprechend ordnet § 5 Abs 2 AVRAG für die Fälle der leistungsorientierten Pensionszusage, der direkten Leistungszusage und der leistungsorientierten Versicherungsverträge die Berechnung der Abfindung nach dem Teilwertverfahren und den Grundsätzen für die Bildung der Rückstellung an. Mit dieser Abfindung erhält der Arbeitnehmer – iSd Interessenwahrungsprinzips der BetriebsübergangsRL – den bis zum Übergangsstichtag berechneten anteiligen Wert der infolge betriebsübergangsbedingter Teilkündigung beendeten leistungsorientierten Pensionszusage. Der Unverfallbarkeitsbetrag, der einen Anspruch gegenüber der Pensionskasse begründet, ist vom errechneten Teilwert der beitragsorientierten Pensionszusage abzuziehen – wie der Kläger in seinem Begehren auch berücksichtigt hat.

Diese Abfindung weist auch keine Überschneidung mit künftigen Ansprüchen aus einer betrieblichen Pensionszusage des Erwerbers auf. In dieser werden – abgesehen vom Fall einer freiwilligen Übertragung des Unverfallbarkeitsbetrags nach dem BPG – grundsätzlich erst ab dem Stichtag des Übergangs neue Anwartschaften erworben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24274 vom 29.09.2017