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Rechtsschutzversicherung: „Streitigkeiten iZm Insolvenzrecht“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: §§ 914 f

Nach dem hier vereinbarten Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ gelten zunächst „die Kosten der Forderungsanmeldung und Vertretung im Insolvenzverfahren (...)“ als versichert. Weiters gelten pro Versicherungsjahr „drei Streitigkeiten iZm Insolvenzrecht mitversichert. Der Versicherungsschutz gilt unabhängig davon, ob der Allgemeine Vertragsrechtsschutz gem Art 23 ARB vereinbart wurde.“

Die Abwehr einer Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters (hier gestützt auf § 30 Abs 1 Z 2 und § 28 Z 3 und Z 4 IO) ist als eine „Streitigkeit iZm Insolvenzrecht“ vom hier vereinbarten Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ erfasst. Dass ein Anfechtungsprozess auch im Rechtsschutzbaustein des Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutzes in Art 23.2.1 ARB 2012 versichert sein kann, steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

OGH 17. 4. 2024, 7 Ob 14/24w

Entscheidung

Anfechtungsprozess als „Streitigkeit iZm Insolvenzrecht“

Der hier gegenständliche „Insolvenzrechtsschutz-Baustein“ ist Teil der allgemeinen Risikoumschreibung. Er beinhaltet zusätzlich zu der im ersten Satz beschriebenen Deckung im eigentlichen Insolvenzverfahren für die Forderungsanmeldung (erste Risikoumschreibung) auch Streitigkeiten iZm dem Insolvenzrecht (zweite Risikoumschreibung). Das ergibt sich aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bereits aus dem Wort „mitversichert“, das ansonsten keinen Bedeutungsgehalt hätte. Der erste Absatz spricht im Übrigen von Kosten „im Insolvenzverfahren“, während der zweite Absatz „Streitigkeiten iZm Insolvenzrecht“ anführt. Daran lässt sich erkennen, dass die beiden Absätze andere Fälle vor Augen haben. Im eigentlichen Insolvenzverfahren liegt überdies nicht zwangsläufig eine „Streitigkeit“ vor, was die Bekl in ihrer Revision selbst einräumt. Hätte die Bekl mit dem zweiten Teil der Bestimmung eine Beschränkung auf drei Fälle pro Versicherungsjahr für das erste Risiko zum Ausdruck bringen wollen, hätte sie das ohne Weiteres in den ersten Absatz aufnehmen können. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers regelt dieser Baustein daher zwei verschiedene versicherte Risiken.

Es ist damit zu prüfen, was von dem Begriff „Streitigkeiten iZm Insolvenzrecht“ aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers umfasst ist. Nach dem Wortlaut geht die Bedeutung des zweiten versicherten Risikos über das eigentliche Insolvenzverfahren hinaus. Dies entspricht auch dem Verständnis der Bekl, die in ihrer Revision selbst davon ausgeht, dass Prüfprozesse in diesem Baustein gedeckt wären.

Eine nähere Definition des Begriffs enthält das Vertragswerk der Parteien nicht. Allerdings wird der verwandte, wenn auch engere Begriff der „Klagen, die in (engem) Zusammenhang mit Insolvenzverfahren stehen“ gesetzlich verwendet, namentlich in Art 6 EuInsVO und § 63a IO. Auch wenn es sich dabei um verfahrensrechtliche Vorschriften handelt, können sie für die Auslegung des hier interessierenden Begriffs wichtige Anhaltspunkte liefern:

Art 6 der VO (EU) 2015/848 (EuInsVO) nennt ausdrücklich die Anfechtungsklage als Beispiel für eine Klage mit – sogar – engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren. Ähnlich hat der Fachsenat des OGH sie in 17 Ob 12/21w (Rn 30 mwN), RdW 2022/504, als „klassisches Beispiel“ für eine insolvenznahe Klage bezeichnet. Ebenso werden in der Lehre Klagen aus dem Anfechtungsrecht nach §§ 27 ff IO als „insolvenznahe“ angesehen (vgl Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO2 § 63a IO Rz 7). Auch § 43 Abs 5 IO verweist – wie auch bereits die Vorgängerbestimmung der KO – Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters (Masseverwalters) in die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, was diese Sichtweise bestärkt.

Es ist daher folgerichtig, dem hier verwendeten weiteren Begriff der Streitigkeiten iZm – nicht nur – dem Insolvenzverfahren, sondern dem „Insolvenzrechtschlechthin auch den vorliegenden Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters zu unterstellen.

Dieses Ergebnis wird auch aus materiell-rechtlicher Sicht erhärtet, ist doch der Anfechtungsanspruch (hier gestützt auf § 30 Abs 1 Z 2 und § 28 Z 3 und Z 4 IO) ein Forderungsanspruch eigener Natur, dessen Ziel nicht bloß die Wiederherstellung des Zustands der Insolvenzmasse vor der Rechtshandlung, sondern die Herstellung des Zustands ist, in dem sich die Masse befände, wenn die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden wäre (RS0050372). Die Anfechtung will eine Verkürzung der Insolvenzmasse ausgleichen und bezieht sich somit nur auf das im Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen (vgl Bollenberger/Spitzer in Koller/Lovrek/Spitzer, IO2 § 27 IO Rz 16). Eine Anfechtung kann gem § 27 IO (nur) dazu führen, dass Rechtshandlungen den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt werden. Es besteht daher materiell-rechtlich ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der gegenständliche Anfechtungsprozess als eine „Streitigkeit iZm Insolvenzrecht“ vom hier vereinbarten Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutzerfasst ist.

Keine Streitwertobergrenze

Dass ein Anfechtungsprozess auch im Rechtsschutzbaustein des Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutzes in Art 23.2.1 ARB 2012 versichert sein kann (vgl zu den gleichlautenden ARB 2008: 7 Ob 96/13p, Rechtsnews 15970), steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Zwar ist grundsätzlich Voraussetzung für die problemfreie Nutzung des flexiblen Systems zur Produktgestaltung eine klare Abgrenzung der Deckung zwischen den einzelnen Rechtsschutz-Bausteinen (7 Ob 91/22s Pkt 5.3.1., Rechtsnews 33038).

Die Bekl weist aber selbst im Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ darauf hin, dass „der Versicherungsschutz unabhängig davon gilt, ob der Allgemeine Vertragsrechtsschutz gem Art 23 ARB vereinbart wurde“. Diese „Unabhängigkeit von“ kann nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nur bedeuten, dass die Bekl selbst die Geltung des Insolvenzrechtsschutz-Bausteins nicht von einer allfälligen Deckung in Art 23 ARB 2012 – und damit auch der dort geltenden Streitwertobergrenze – abhängig macht. Die von der Bekl vertretene Auslegung, es solle sich aus diesem Hinweis ergeben, dass vom Insolvenzrechtsschutzbaustein nur solche Fälle erfasst wären, die nicht unter Art 23 ARB 2012 fallen würden, lässt sich dieser Beifügung gerade nicht entnehmen.

Die Bekl hat der Kl daher für den Anfechtungsprozess – ohne Geltung der unstrittig im „Insolvenzrechtsschutz“ nicht vereinbarten Streitwertobergrenze – Deckung zu gewähren.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35631 vom 08.07.2024