News

Sozialplan: Rechtswirksamer Verzicht auf Kündigungsanfechtung

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

ArbVG: § 97 Abs 1 Z 4, § 105

In Sozialplänen kann die Sozialplanleistung einer freiwilligen Abfindung vom Unterlassen der Anfechtung der Kündigung bei Gericht durch den Arbeitnehmer abhängig gemacht werden.

OGH 29. 4. 2021, 9 ObA 9/21w

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Die vorliegende Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat über einen Sozialplan regelt betr ihres persönlichen Anwendungsbereichs, dass sie ua für alle Dienstnehmer gilt, deren Dienstv119876aerhältnis aufgrund eines Umstands gemäß Punkt 1.2. (sachlicher Geltungsbereich) einvernehmlich aufgelöst oder vom Dienstgeber aufgekündigt wird, es sei denn, dass diese Kündigung entweder vom Betriebsrat oder vom Dienstnehmer gemäß § 105 ArbVG angefochten wird (Pkt 1.6. der BV). Dienstnehmer, die in diesen persönlichen Anwendungsbereich des Sozialplans fallen, erhalten ua eine freiwillige Abfindung.

Mit dem Kläger kam eine einvernehmliche Auflösung nicht zustande; die daraufhin ausgesprochene Kündigung wurde von ihm (ua) nach § 105 ArbVG angefochten. Die vorliegende Klage ist nun auf die freiwillige Abfindung laut Sozialplan gerichtet.

In Abänderung der E des BerufungsG (OLG Wien 12 Ra 55/20z, ARD 6740/7/2021) geht der OGH mit dem ErstG davon aus, dass der Kläger infolge seiner Kündigungsanfechtungsklage nicht vom personellen Geltungsbereich des Sozialplans erfasst ist und seine Klage daher abzuweisen ist.

Entscheidung

Sozialplan – zulässige Beschränkung des Anwendungsbereichs

Mit einem Sozialplan (Betriebsvereinbarung [BV] nach § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG) sollen wesentliche Nachteile einer Betriebsänderung für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft verhindert, beseitigt oder gemildert werden. Derartige BV verfolgen grundsätzlich das Ziel, die bisherigen Rechtspositionen von Arbeitnehmern so lange wie möglich zu erhalten bzw deren Verlust auszugleichen. Typischer Inhalt eines Sozialplans ist ua die Gewährung freiwilliger Abfertigungen.

Die Parteien eines Sozialplans – Betriebsinhaber und (idR) Betriebsrat – können bei der Gestaltung der Anspruchsvoraussetzungen nach der Rsp auch im Rahmen der Zuerkennung von freiwilligen Abfertigungen darauf abstellen, ob es zu einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist (vgl OGH 29. 3. 2004, 8 ObA 77/03m, ARD 5513/8/2004). Ein Sozialplan darf auch danach differenzieren, ob eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses „auf Initiative“ des Dienstnehmers oder des Dienstgebers erfolgte (vgl OGH 26. 11. 2012, 9 ObA 129/12d, ARD 6298/3/2013 = RdW 2013, 215 [Riegler]). Durch eine solche Vereinbarung wird verhindert, dass der Arbeitgeber einerseits Sozialplanleistungen zu erbringen hat, andererseits aber dem Risiko von Kündigungsanfechtungen ausgesetzt ist.

Dieser Zweck rechtfertigt es somit auch, dass in Sozialplänen die Sozialplanleistung einer freiwilligen Abfertigung vom Unterlassen der Anfechtung der Kündigung durch den Arbeitnehmer bei Gericht (§ 105 ArbVG) abhängig gemacht wird. Eine derartige Vereinbarung kann für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen und den Rechtsfrieden wahren.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich auch von der E OGH 30. 10. 2003, 8 ObA 79/03f, ARD 5534/6/2004, in der ein genereller Vorabverzicht des BR in einem Sozialplan auf seine absolut zwingenden Mitwirkungsrechte nach dem ArbVG iZm der Kündigung von Arbeitnehmern als unwirksam beurteilt wurde. Im gegenständlichen Sozialplan verzichtet der BR nicht vorab auf seine Mitwirkungsrechte nach dem ArbVG (§ 105 Abs 1, Abs 2 Satz 1, Abs 4 Satz 2 ArbVG) und auch dem Arbeitnehmer wird durch die Gestaltung des Sozialplans nicht sein (subsidiäres) Recht auf Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 4 ArbVG genommen.

Der Arbeitnehmer kann bei der konkreten Gestaltung des vorliegenden Sozialplans wählen, ob er einer angebotenen einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustimmt oder ob er eine allfällige Arbeitgeberkündigung hinnimmt. Möchte er das Arbeitsverhältnis nicht durch einvernehmliche Auflösung beenden, lehnt er das Anbot des Arbeitgebers ab (Anm d Red: würde also nach der Rsp zulässigerweise keine Sozialplanleistung erhalten). Wird er vom Arbeitgeber gekündigt, steht ihm die Möglichkeit einer Anfechtung der Kündigung bei Gericht ebenso offen wie einem Arbeitnehmer, der nicht dem Sozialplan unterliegt. Dringt der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsanfechtung durch, ist das Arbeitsverhältnis weiter aufrecht und es stellt sich die Frage einer Sozialplanleistung nicht. Wird die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen, bleibt es bei der Kündigung und der Arbeitnehmer erhält – wie bei der Ablehnung der einvernehmlichen Auflösung – keine Sozialplanleistung, weil diese nach der Rsp und (überwiegenden) Lehre zulässigerweise an die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses geknüpft ist (vgl Wolf, Die Sozialplan-Betriebsvereinbarung in Körber-Risak/Wolf, Die Betriebsvereinbarung vor der Schlichtungsstelle² 267).

Keine Aufklärungsverpflichtung

Soweit der Kläger der Arbeitgeberin eine Verletzung der Fürsorgepflicht iZm dem bloß eingeschränkten Anbot einer einvernehmlichen Auflösung vorwirft, hält ihm der OGH entgegen, dass aus den § 1157 ABGB, § 18 AngG keine allgemeine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Aufklärung des Arbeitnehmers über Arbeitnehmerrechte abgeleitet werden kann (vgl zuletzt OGH 27. 1. 2021, 9 ObA 114/20k, ARD 6746/9/2021). Dies gilt auch für das Stadium der Vertragsbeendigung.

Die Arbeitgeberin vertrat bei ihrem Anbot auf einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Standpunkt, der Kläger fiele gar nicht in den persönlichen Geltungsbereich der BV. Diese Frage wurde von den Vorinstanzen nicht geklärt und kann nach Lage des Falls auch offen bleiben: Durch die Arbeitgeberkündigung eröffnete die Arbeitgeberin dem Kläger ohnehin noch einen anderen Weg, um ihm den Zugang zur Abfindung laut Sozialplan zu eröffnen, sofern er unter die BV fällt (Anm d Red: Einklagung der Sozialplanleistungen, ohne jedoch die Kündigung anzufechten).

Nach ordnungsgemäßer Kundmachung entfaltet die BV ihre normative Wirkung (§ 30 Abs 1 ArbVG). Kundmachungsmängel hat der Kläger nicht behauptet, vielmehr legt auch er seinem Klagsanspruch die Wirksamkeit zumindest eines Teils der BV zugrunde.

Zusammengefasst kann in Sozialplänen die Sozialplanleistung einer freiwilligen Abfindung vom Unterlassen der Anfechtung der Kündigung bei Gericht durch den Arbeitnehmer gemäß § 105 ArbVG abhängig gemacht werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31057 vom 17.06.2021